Alexander Wendt / 23.08.2017 / 16:47 / 50 / Seite ausdrucken

Liebe Eva Högl, manche Bilder sind Wahrheitsbilder

Liebe Eva Högl,

wahrscheinlich wissen Sie es schon: ich bin derjenige, der die kurze Videosequenz aus dem Bericht eines österreichischen Senders abgefilmt und online gestellt hatte, in der Sie fröhlich winken und den Mund aufreißen, während Martin Schulz vor Ihnen versucht, seine Textbausteine zu dem IS-Massaker von Barcelona einigermaßen zu sortieren. Nein, ich hatte am letzten Freitag nicht geglaubt, dass fast 700 000 Leute mein Video aufrufen würden. Offenbar trifft es also bei sehr vielen einen Nerv. Und zwar völlig unabhängig davon, ob die Leute Ihre Erklärung für plausibel halten oder nicht, Sie hätten anfangs nicht verstehen können, was Ihr Parteivorsitzender sagte. Nach einigen Minuten konnten Sie es offensichtlich doch, jedenfalls setzten Sie dann ein staatstragendes Gesicht auf. In Ihrer selbstexkulpierenden Erklärung hatten Sie übrigens schon im ersten Absatz etwas über "Hetzer*innen" und die AfD geschrieben. Ich weiß nicht, ob Sie mich damit meinen. Ich gehöre keiner Partei an, und das Posten eines Videos, auf dem Sie herumhampeln, wird man schwerlich als Hetze bezeichnen können.

Aber zurück zum eigentlichen Punkt: Warum treffen diese 20 Sekunden den Nerv so vieler Menschen? Weil manche Bilder Wahrheitsbilder sind, die hochkonzentriert einen Zustand zeigen. Sehr, sehr viele Menschen - wie Leute Ihres Berufsstandes sagen: die Menschen draußen im Land - ertragen die Trauerphrasen nach jedem islamischen Anschlag nicht mehr, die gespielte Bestürzung, die ausgiebige Schilderung des Leids, die Versicherung, jetzt dürfe sich die Gesellschaft nicht spalten lassen - als ob das nicht schon längst passiert wäre - , sie ertragen die allfällige Feststellung nicht mehr, gegen den Terror gebe es nun einmal kein Mittel, es gebe "keine absolute Sicherheit".

Nach einer absoluten Sicherheit fragt ja niemand. Eine relative Sicherheit würde den allermeisten schon genügen. Also: Ein Stopp der ungeregelten Einwanderung von papierlosen jungen Männern, die in ihrer übergroßen Mehrheit niemand politisch verfolgt. Eine Abschiebung aller 500 000 abgelehnten Asylbewerbern mit allen Mitteln des Rechts, auch der Abschiebehaft. Eine Schließung aller salafistischen Moscheen. Die Anwendung des Paragraphen 129a (Bildung einer terroristischen Vereinigung) auf alle so genannten Gefährder. Präventivhaft. All das ist nach der Rechtslage nicht nur möglich, sondern sogar geboten. Und es ist Sache von Politikern wie Ihnen, diese größtmögliche relative Sicherheit durchzusetzen. Sie sind stellvertretende Vorsitzende einer Regierungsfraktion. Und was tun Sie? Nach dem Massaker von Paris hielten Sie eine Rede im Bundestag, in der Sie verkündeten, die Schließung der Grenze für wohlgemerkt illegale Einwanderung - um etwas anderes geht es gar nicht - müsse auf jeden Fall unterbleiben, alles andere wäre "ein Kniefall vor den Terroristen und Terroristinnen". Würden Sie in Fragen der ganz normalen Lebenssicherheit von ganz normalen Menschen den gleichen Eifer wie beim Gendern an den Tag legen, wäre das schon ein Schrittchen in die richtige Richtung.

Ich habe mir in den letzten drei Tagen auf Ihrer Facebookseite angesehen, was Sie, Frau Högl, als Abgeordnete tun. Sie winken sehr viel. Sie schütteln Hände. Sie wünschen Musliminnen und Muslimen einen schönen Ramadan. Sie treffen sich mit den Mitgliedern irgendwelcher Vereine, Sie weihen Denkmäler ein. Und Sie ermahnen die Bürger unentwegt zum friedlichen Zusammenleben.

Berlin ist die unsicherste Großstadt Deutschlands

Wissen Sie was, Frau Högl? Das zivile Zusammenleben bekommen die Bürger und Bürgerinnen ganz gut allein hin. Alles, was sie dafür brauchen, ist ein Staat, der die Einhaltung des Rechts durchsetzt, der eine menschenmögliche Sicherheit garantiert, ordentliche Verkehrswege und gute Schulen. Dafür ist tatsächlich der Staat zuständig und niemand anderes. Dafür zahlen nicht alle, aber doch ziemlich viele Bürger Steuern. Sie, Frau Högl, sind Spitzenkandidatin der SPD Berlin, Sie wirken also sehr weit oben in dem Landesverband der Partei mit, die Berlin seit ewigen Zeiten regiert. Ich weiß nicht, ob Sie sich dafür interessieren, aber Berlin ist die unsicherste Großstadt Deutschlands. Die öffentlichen Verkehrsmittel sind miserabel. Steigen Sie einmal in Lissabon oder Singapur in eine U-Bahn, wenn Sie wissen wollen, wie Nahverkehr im 21. Jahrhundert aussieht. Die Berliner Schulen zählen anerkanntermaßen zu den schlechtesten des Landes. Kurzum: Alles, wofür Sie und andere Politiker tatsächlich Verantwortung tragen, liegt im elenden Zustand darnieder. Als Politikerin beschäftigen Sie sich stattdessen ausschließlich mit Dingen, die Sie nichts angehen. Auf allen Feldern, die Angelegenheiten des Staates sind, sagen Sie entweder nichts. Oder, im Fall der gesetzlich vorgeschriebenen Grenzsicherung, dass es nicht geht.

Und dazu kommt noch ein zweiter Punkt, der mehr und mehr Menschen auffällt, und der sie wütend macht: Sowohl der islamische Terror - Sie wissen schon, die Terroristen und Terroristinnen - als auch die eingewanderte Alltagskriminalität: Beides trifft Normalbürger und nicht Politiker. Politiker wohnen auch außerordentlich selten in den gründlich verbunteten Vierteln wie Moabit oder dem Essener Norden. Ihre Kinder gehen nicht auf Schrottschulen. Politiker sind nicht auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen. Auch nicht auf das gesetzliche Rentensystem.

Genau diese Dinge schießen in dieser Videosesquenz zusammen, in der Sie lachen und quietschen, als würden Sie auf einem Karnevalswagen stehen und Kamelle schmeißen, während der SPD-Chef Sätze ineinanderschachtelt, die auf den Punkt zulaufen: Traurig das alles in Barcelona, aber leider nichts zu machen. Sie, Eva Högl, sind die Inkarnation der in einer Partei aufgestiegenen Gschaftlhuberin, die unentwegt irgendwo zugegen ist, sich zu Wort meldet, Pressemittelungen herausgibt, ihr Gesicht in die Kamera hält und ansonsten die Arbeit als Mitglied eines Verfassungsorgans verweigert. Sie sind, das haben Sie mit Ihrem Auftritt geschafft, ein ikonischer Typus für die spätrömische Phase der bundesdeutschen Demokratie geworden. Diesen Status kann Ihnen keiner mehr nehmen.

Mit besten Grüßen, Alexander Wendt

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

S.Schleitzer / 24.08.2017

Dieses Video ist wahrlich eine manifestierte Metapher dessen, was der informierte, politische Leser von dieser Bevölkerungsgruppe erwartet. Alle stehen nebeneinander in ihrer selbst geschaffenen Blase, ihrer heilen Welt, und genießen das Sein. Ab und zu muss eben einmal einer vortreten und dem Volk ein paar Sätze entgegenschleudern, damit es auch auf Spur bleibt. Das heißt aber nicht, dass die Party im Hintergrund aufhören muss…

ricarda hildebrandt / 24.08.2017

Ein so guter Text, ein Volltreffer bei der Beschreibung der heutigen Politdarsteller, aber auch so traurig, dass dies die Realität im Deutschland von heute ist.

Dr. Roland Mock / 24.08.2017

Mannomann, das ist einmal ein Kommentar! Selten wurde eine aufgeblasene, weltfremde und offenkundig von Mitgefühl und Moral befreite Politikerin der Spezis durchgegenderte Weltenretterin so gekonnt demaskiert. Respekt und Danke.

Stine Bading / 23.08.2017

Hallo Herr Wendt, da kann ich nur sagen: Treffer und versenkt! Ich denke, dass dies kein Einzelfall ist, die Dame nur so dumm war,  sich dabei erwischen zu lassen. Und ihr Versuch, die berechtigte Kritik an ihrem Verhalten als Hetze durch die AfD zurückzuweisen, macht ja auch deutlich, daß sie ihr Verhalten eigentlich richtig findet. Ich hoffe, dass sie am 24.09. die Quittung bekommt! Fröhliche Grüße

Gerd Fretschner / 23.08.2017

Grossartig Herr Wendt. Jetzt muss ich Frau Högl nicht mehr schreiben. Zur Sicherheit: “Nur das Volk ist immer und überall zur falschen Zeit am falschen Ort”.

Paul Siemons / 23.08.2017

Frau Högl sperrt und löscht inzwischen munter alles und jeden, der auf ihrer Facebookseite Bezug auf diesen Text bzw. ihre unsägliche Vorstellung nimmt. Doch die Büchse der Pandora wurde geöffnet, und sie wird es immer bleiben. Da kann die Dame sich noch so sehr zum Opfer hochstilisieren, niemand außer ihren Genossen nimmt ihr das noch ab. Zudem ich absolut sicher bin, dass ihr Parteivorsitzender ihr hinter verschlossenen Türen derart den Kopf gewaschen hat, dass sie sich davon nicht mehr erholen wird. Nichts konnte im Umfeld des Kandidaten tödlicher sein, als ein solcher Knallfrosch.

Alexander Rostert / 23.08.2017

Sie wird es lesen, aber nicht verstehen.

Volker Kleinophorst / 23.08.2017

Der “Dame” haben sie die Maske der Verlogenheit aber vom Gesicht gerissen, lieber Herr Wendt. Danke.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Alexander Wendt / 29.08.2019 / 12:18 / 33

Besuch in der Lausitz: Wo man aus der SPD aussteigt

Den Namen der brandenburgische Sozialdemokratin Elfriede Handrick kennen heute ziemlich viele Wähler im Land, und das, obwohl die Schatzmeisterin der Parteigliederung Wustermark zu den Landtagswahlen…/ mehr

Alexander Wendt / 21.06.2019 / 12:09 / 94

Vom Ausschlachten eines Mordes

Von dem früheren CDU-Generalsekretär und heutigen Verteidigungs-Staatssekretär Peter Tauber hörte die Öffentlichkeit längere Zeit wenig bis nichts. Bis zur Verhaftung des Rechtsextremen Stephan E., der…/ mehr

Alexander Wendt / 07.06.2019 / 13:00 / 50

Eine ganz persönliche SPD-Erzählung

Die SPD zerfällt in zwei Flügel: den ihrer Ex-Vorsitzenden und den ihrer Mitglieder, denen noch eine Chance bleibt auf das schönste Verweseramt neben dem Papst (so…/ mehr

Alexander Wendt / 21.05.2019 / 12:02 / 31

In Wien fliegen, in Berlin sitzen bleiben

Von dem Autor Frank Goosen stammt der Roman „Liegen lernen“, einer der vielen Romane über die achtziger Jahre in Westdeutschland, also die Zeit, in der…/ mehr

Alexander Wendt / 02.05.2019 / 06:25 / 121

Kevin und das Kollektiv. Oder: Ärmer werden, die SPD ist die Antwort

Zum 1. Mai legte der Juso-Vorsitzende und ideelle SPD-Chef Kevin Kühnert in einer ZEIT-Vorabmeldung seine Pläne zur Einführung des Sozialismus in Deutschland dar, nicht schwammig,…/ mehr

Alexander Wendt / 19.04.2019 / 10:30 / 13

Freiheit light, mit starkem Filter

Der 15. April 2019 wird in die politische Chronik als der Tag eingehen, an dem sich Union und SPD darauf einigten, ihren Koalitionsvertrag in einem…/ mehr

Alexander Wendt / 06.04.2019 / 08:24 / 49

Wie sich Medien beim Versuch blamierten, die AfD zu blamieren

Heißen die meisten Messerstecher mit Vornamen Michael? Zumindest im Saarland? Genau das behauptete eine ganze Reihe von Medien, nachdem das saarländische Innenministerium auf die Anfrage…/ mehr

Alexander Wendt / 25.03.2019 / 08:30 / 71

Berliner Privatisierungswelle: Platz, Alder!

Demnächst findet in Berlin ein Volksbegehren zur Enteignung eines größeren privaten Wohnungsunternehmens statt, der „Deutschen Wohnen“. In Caracas mag gerade ein Sozialismus untergehen – in Berlin kommt…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com