Im ersten sogenannten Lockdown im Frühling war der Versuch, Demonstrationen gegen den Corona-Ausnahmezustand zu verbieten, vor deutschen Gerichten gescheitert. Zwar können den Bürgern so manche Grundrechte genommen bzw. eingeschränkt werden, doch die Versammlungsfreiheit muss wenigstens für den Protest gegen ebendiese Freiheitsbeschränkungen gewährt werden, hatten die Richter vielerorts geurteilt.
Dies hätte man mit demokratischer Gelassenheit akzeptieren können. Es gibt sicher viele unangenehme Gruppen, die den Protest von Kritikern des Corona-Ausnahmezustands für sich nutzen wollen. Und jede neue Bewegung zieht politische Irrlichter magisch an.
Inwieweit es welchen Gruppen gelungen ist, Einfluss auf die Demonstrationsorganisation zu nehmen oder die Bewegung gar zu übernehmen, wie zuweilen gern kolportiert wird, weiß ich nicht. Für die Versammlungsfreiheit ist das irrelevant, die gilt auch für Spinner verschiedenster Couleur und auch für Radikale.
Dass es unter denen, die gegen Grundrechtsverluste im Ausnahmezustand protestieren, ehrenwerte Menschen gibt, weiß ich ebenso, wie ich um das Vorhandensein etlicher Irrlichter weiß. Aber wie Macht und Einfluss dort verteilt sind, weiß ich nicht. Mir würde allerdings eine Gesellschaft große Angst machen, in der niemand gegen einen Verlust von Rechten und Freiheiten protestiert. Selbst dann, wenn alle Maßnahmen durchaus berechtigt wären, würde ich mir Protest wünschen, denn jede, auch jede vielleicht notwendige Beschneidung von Grundrechten und Freiheiten muss ständig infrage gestellt werden und bedarf der Rechtfertigung.
Leipziger Besonderheiten
Heute nun soll in Leipzig demonstriert werden. Eine Querdenken-Großdemonstration ist angemeldet, neben 26 kleineren Demonstrationen von anderen Gruppen auch. War das Demonstrieren einst in der freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik etwas ganz alltäglich Normales, so sorgt der Corona-Ausnahmezustand für absurde Spiele mit jenen, die gegen diesen Ausnahmezustand protestieren wollen. Doch zunächst noch etwas Kritik an den Demo-Organisatoren.
Es ist nicht verboten, aber dennoch ärgerlich, wenn sich die Querdenker im Werbevideo für die Leipziger Demonstration eines historischen Vergleichs bedienen, der so fehl am Platze ist wie die meisten historischen Vergleiche, wenn sie sich auf die Demonstrationen des Herbstes 1989 beziehen. Der Sturz einer Diktatur, das Demonstrieren in der berechtigten Angst, dass die Demonstration auch zusammengeschossen werden könnte, das reale Risiko etlicher Haftjahre lassen sich nicht vergleichen mit der Situation in einem Land, in dem die Regierung mittels Infektionsschutzgesetz zwar Grundrechte beschneidet, aber rechtsstaatliche Gerichte Demonstrationsverbote ebenso wieder aufheben, wie oft auch unnötige Gängelungen und Schikanen von Behörden.
Dennoch ist die Leipziger Demonstration etwas Besonderes, auch wenn sich vieles aus vorangegangenen Kundgebungen wiederholen wird. Dass sich zu Querdenken-Demonstrationen auch etliche Teilnehmer einfinden, mit denen man sich nicht gemein machen oder auch nur zusammen gesehen werden will, ist eine Tatsache. Aber inwieweit können Organisatoren das vermeiden? Die dürften ja kaum ein Interesse daran haben, dem allfälligen Medienbild, wonach sich vor allem Rechte, Spinner und Verschwörungstheoretiker dort versammeln würden, zusätzliche Nahrung geben. Zumal es viele Journalisten-Kollegen in der Vergangenheit nicht verstanden oder nicht vermitteln wollten, dass parallel verlaufende Demonstrationen ganz verschiedener Anmelder nichts miteinander zu tun hatten. So handelte es sich ja beispielsweise bei den „Reichstags-Stürmern“ nicht um einen Ableger der Querdenken-Demonstration, sondern um eine ganz eigene Veranstaltung.
Bei der Rednerliste haben die Veranstalter aber Steuerungsmöglichkeiten. Und auch an den Mikrofonen hat sich in der Vergangenheit auch so manches Irrlicht eingefunden. Aber gehörte das nicht einstmals zum Alltag bei größeren Demonstrationen?
„Ich bin ein Provokateur“
Kleiner Einschub: Die Querdenken-Demonstranten am 8. August in Stuttgart wurden diesbezüglich einem interessanten Toleranztest unterzogen, als der Kabarettist Florian Schroeder auftrat, um ihnen pointiert zu erklären, wie falsch sie lägen. Zum einen gebührt ihm Respekt für den Mut zur Auseinandersetzung. Zum anderen hat er den Querdenkern zum Nachweis verholfen, dass sie offenbar toleranter sind als etliche linke Milieus, in denen abweichende Stimmen lieber ausgeladen werden.
Doch zurück nach Leipzig. Was hier aufmerken lässt und manche Beobachter mit fest gefügter Meinung von den Demonstranten offenbar verunsichert, ist eine besondere Personalie. Zu den Organisatoren dieser sächsischen Demonstration gehört ein Mann, der aufgrund seiner Vergangenheit eigentlich eine größere Prominenz verdient hätte: der ehemalige Pfarrer Christoph Wonneberger. Wonneberger war in Leipzig nicht nur einer der wichtigsten Akteure des Herbstes 1989, sondern spielte auch in den Jahren zuvor eine entscheidende Rolle für die Oppositionsgruppen in der Region.
Diesen Mann in Verbindung mit einer irgendwie rechten Gesinnung zu bringen, vermag wahrscheinlich nicht einmal der parteilichste Medien-Werktätige. In einigen Medien wurde er daher im Vorfeld der Demonstration eher als ein Irregeleiteter dargestellt, der sich vielleicht instrumentalisieren lässt. Ich glaube nicht, dass er die verunglückten Werbe-Vergleiche zu 1989 aktiv unterstützt hat, aber – zugegeben – unser letzter Kontakt liegt etliche Jahre zurück. Der Sender MDR-Kultur scheint ihn in einem Beitrag nicht nur ins Zwielicht rücken zu wollen, denn mit einem Zitat aus einer Rede im Oktober ist seine Motivation recht treffend zusammengefasst: "Ich bin ein Provokateur. So jedenfalls hat mich die Stasi vor 40 Jahren eingeschätzt. Sie haben eine Akte angelegt: 'Provokateur', fast 10 Jahre lang. Was ist ein Provokateur? Einer der aufschreckt, etwas herausfordert, etwas Neues hervorbringen will."
Diese Linie durch die Zeit ist legitim. Denn der lähmende Mehltau einer trotz Demokratie in wichtigen Fragen herrschenden beinahe Allparteien-Einheitsfront lässt einen nicht erst seit Corona nach klugen Provokateuren dürsten. Ob er dort an der richtigen Stelle ist, weiß noch niemand, weil auch noch niemand sagen kann, wohin sich die verschiedenen Querdenken-Gruppen entwickeln werden. Es ist ja auch offen, welche Entwicklung dieses Land und diese Gesellschaft durch den bisher unbefristeten Corona-Ausnahmezustand und die dadurch ausgelöste enorme Wirtschaftskrise nehmen werden.
Kleinliche Gängeleien
Doch abseits von solchen Fragen reagieren in Leipzig die Ämter und Behörden im Umgang mit den Querdenkern eher kleinlich. Mit Auflagen und Gängeleien versuchen sie, den Demonstranten deutlich zu machen, dass sie von den Stadtoberen unerwünscht sind. Angemeldet war die Eröffnung der Hauptdemonstration von Querdenken beispielsweise auf dem Augustusplatz in der Innenstadt. Die Stadtverwaltung ordnete kurzfristig eine Verlegung auf das Messegelände am Stadtrand an. Dagegen zogen die Organisatoren vor Gericht. Als diese Zeilen geschrieben wurden, war der letztliche Ausgang des Verfahrens noch nicht bekannt. Aber klar ist, dass eine Demonstration auf einem leeren Messegelände, auf dem derzeit ja nichts weiter stattfinden darf, naturgemäß wenig Wirkung entfaltet, denn die Demonstranten bleiben weitgehend unter sich. Es gibt dort keine Passanten oder neugieriges Publikum.
Ebenso kleinlich, aber deutlich unterhaltsamer war indes die Fragestellung, ob ein Demonstrant denn ein Tourist ist oder nicht? Die Stadt Leipzig untersagte Hoteliers unter Androhung von Geldbußen nämlich die Beherbergung von auswärtigen Demonstrationsteilnehmern unter Verweis auf die Corona-Bestimmungen. Nach denen ist eine Beherbergung zu touristischen Zwecken bekanntlich untersagt. Doch ein Demonstrant ist ja eigentlich kein klassischer Tourist. So soll es zumindest auch das sächsische Sozialministerium noch Anfang der Woche gesehen und auch mitgeteilt haben. Für Hotelbetreiber eine irrwitzige Situation. Sie sind gezwungen, zahlungswillige Gäste abzuweisen und nun werden sie auch noch vor die Entscheidung gestellt, wie sie Demonstranten zu bewerten haben. Und was ist mit einem Dienstreisenden, der auch noch demonstrieren geht? Was soll man schließlich auch tun in einer fremden Stadt, in der alles geschlossen ist, was dem Zeitvertreib eines Besuchers dienen könnte?
Ist nun ein Demonstrant im Sinne der Corona-Verordnung ein Tourist, dessen Aufnahme teuer werden kann, oder ist Demonstrieren ein als notwendig zu akzeptierendes Anliegen, das eine Beherbergung rechtfertigt? Vor einer solchen Frage hat in Deutschland wahrscheinlich bis dato noch niemand gestanden. Ob sie im Nachgang von Gerichten geklärt wird?
Manche Leipziger Hotels haben diese Frage sicherheitshalber vorab lieber zuungunsten der Demonstranten beantwortet. Vielleicht auch, weil es von Linken eine Mobilisierung gegen die Demonstration der Corona-Kritiker (und auch gegen die Demonstrationen von unzweifelhaft Rechten) gibt. Wer will da schon in den Verdacht geraten, Demonstranten-Beherbergungsort zu sein? Motel One twitterte deshalb lieber:
„Aufgrund der Größe und räumlichen Nähe der Veranstaltung zu unseren Hotels haben wir uns dazu entschlossen, alle Beherbergungsverträge mit Anreisedatum 06.11.2020 und/oder 07.11.2020 zu kündigen. Die Sicherheit unserer Gäste & Mitarbeiter steht an 1. Stelle.“
Pech für die Menschen, die aus anderen Gründen an diesen Tagen dort logieren wollten. Aber wenn man nicht sicher sein kann, ob ein Demonstrant vielleicht als Tourist gilt und ein Dienstreisender vielleicht als Demonstrant auftritt, dann nimmt man scheinbar lieber ein leeres Hotel in Kauf. Vielleicht dankt es einem die Verwaltung ja.