Vera Lengsfeld / 02.02.2020 / 13:00 / 2 / Seite ausdrucken

Lebenslust und Todessehnsucht: Effi Briest in Nordhausen

Am vierten Januarwochenende gab es im Theater Nordhausen gleich zwei Premieren. Neben der „Zauberflöte“, der rätselhaftesten Oper von Wolfgang Amadeus Mozart, wurde im „Theater unterm Dach“ „Effi Briest“, ein Erzähltheatersolo nach dem Erfolgsroman von Theodor Fontane, aufgeführt.

Wer das Stück gesehen hat, weiß, dass Fontanes Stoff nichts von seiner Faszination verloren hat. Das liegt nicht nur an der guten literarischen Bühnenfassung von Karin Eppler, die sich eng an Fontane hält, ihm dennoch nicht sklavisch folgt, sondern auch an der souveränen, kurzweiligen Inszenierung. Das ist auch ein Erfolg der Erzählsolistin Eva Lankau, die verschiedene Personen, Männer und Frauen, verkörpert und der es manchmal nur mit ihrer Mimik gelingt, die Spannung zu halten oder den Plot in eine bestimmte Richtung zu lenken.

Das Bühnenbild, das von der Regisseurin Daniele Bethge entworfen wurde, zeigt eine Wand, die in tapezierte Quadrate unterteilt ist, ein Sinnbild der Salons, in denen sich das gesellschaftliche Leben zu Effis Zeiten abspielte. Nach und nach werden die Quadrate umgedreht und Porträts der handelnden Personen sichtbar. Dazwischen ist eine Leinwand, auf der immer wieder die junge Effi, gespielt von Lisa Jacobi, erscheint. Komplettiert wird das Ganze von einer Schaukel, einem Stuhl, einem Sofa, einem Nähkästchen – alles Gegenstände, die in Fontanes Roman Schlüsselrollen spielen. Im Film sieht man noch das Rondell im elterlichen Garten, das für Effi das Symbol ihres unbeschwerten Lebens ist. Hier fühlt sie sich „so wohl und so glücklich; ich kann mir den Himmel nicht schöner denken“.

Ein Faible für alles „Vornehme“

Effi ist ein Naturkind, sie sehnt sich nach der Sonnenseite des Lebens, sie schaukelt, um sich frei und schwerelos zu fühlen. Angst hat sie keine, im Gegenteil, „ich falle jeden Tag wenigstens zwei-, dreimal, und noch ist mir nichts gebrochen“.

Ihre Freundin Hulda warnt sie deshalb, dass Hochmut vor dem Fall kommt. Effi hat trotz aller Wildheit ein Faible für alles „Vornehme“. Deshalb willigt sie sofort ein, als ihre Mutter sie fragt, ob sie den 21 Jahre älteren Baron von Instetten heiraten will, der Landrat ist und auf eine Ministerkarriere hoffen kann.

Auf der Bühne wird die Handlung durch erhaltene Post vorangetrieben. Effi fühlt sich in ihrer neuen Umgebung unwohl. Aus dem wilden Mädchen wird eine steife Sprechpuppe, genau das, was sie ihrer Tochter später vorwirft. Das Haus von Instetten ist unheimlich. Da hängen ein Haifisch und ein Krokodil von der Decke, und im Saal über Effis Schlafzimmer verursachen die zu langen Gardinen unheimliche Geräusche. In diesem Saal hat anlässlich der Hochzeit des Vorbesitzers ein Chinese mit der Braut getanzt, die dann verschwand. Der Chinese war kurz darauf tot – ein Fingerzeig auf Effis Schicksal.

Weil ihr Ehemann aus Karrieregründen häufig unterwegs ist, fühlt sich Effi einsam. Das ebnet den Verführungsversuchen des „Traums aller Frauen“, Major Crampas, den Weg. Sie liebt ihn nicht, lässt sich aber auf ein Verhältnis mit ihm ein und bewahrt seine Liebesbriefe in ihrem Nähkästchen auf. In Berlin, wohin sie mit ihrem Mann zieht, vergisst sie den Liebhaber und seine Briefe, bis sie von ihrem Mann gefunden werden.

Lebenslust und Todessehnsucht

Der Abstieg von Effi Briest wird begleitet von ihrer sich entwickelnden Lungenkrankheit, die schließlich zu ihrem Tod führt. Kurz vorher wird sie von ihren Eltern wieder aufgenommen, sie besteigt noch einmal ihre geliebte Schaukel, fühlt sich wieder frei, wie zu ihren Mädchentagen. Hier verschmelzen Lebenslust und Todessehnsucht.

Im Rondell bekommt sie ihren Platz an der Sonne, indem die Sonnenuhr durch ihren Grabstein ersetzt wird. Die Schlussszene auf der Bühne, auf der die leere Schaukel in Bewegung gesetzt wird, könnte nicht eindrücklicher sein.

Es tut dem Stück sehr gut, dass Eppler darauf verzichtet hat, Effis Ende, wie im Film von Hermine Huntgeburth, der 2009 – mit Julia Jentsch und Sebastian Koch attraktiv besetzt – in die Kinos kam, in eine Emanzipationsgeschichte umzuschreiben. Obwohl das Urbild der Effi, Elisabeth von Plotho, nach ihrer Scheidung sich tatsächlich auf eigene Beine stellte und als Krankenschwester arbeitete, hat Fontane Effis Ende gewählt, um nachdrücklich auf die Zwänge des wilhelminischen Zeitalters aufmerksam zu machen. Das zwingt den Leser – in Nordhausen den Zuschauer – zum Nachdenken, aus dem ihn ein Happy End entlassen hätte. Der lang anhaltende Schlussbeifall zeigte, dass die Inszenierung das Publikum überzeugte.

Nächste Vorstellungen: 6. Februar, 18. März, jeweils 18 Uhr. Den Spielplan finden Sie hier.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Vera Lengsfelds Blog.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Dirk Jungnickel / 02.02.2020

  Liebe Vera,  Du erwähnst die Effi Briest - Verfilmung von Hermine Huntgeburth von 2009 ziemlich unkritisch. Die “Emanzipationsgeschichte” ist nicht das Fatalste. Diese Verfilmung ist ein einziges Desaster. Ob Julia Jentsch eine Fehlbesetzung ist, ist schwer einzuschätzen bei den durchgehende Inszenierungsschwächen. Jedenfalls liegen Abgründe zu Fassbinders ” Effi” Adaption mit Hanna Schygulla als Effi und W. Luderers Verfilmung mit Angelica Domröse in der Hauptrolle.

Rudolf Dietze / 02.02.2020

Früher war es das Nähkästchen, heute das Handy, dabei ist Effi Briest Schulstoff. Der Mensch macht immer die gleichen Fehler.

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Vera Lengsfeld / 21.04.2024 / 10:00 / 34

„Der General muss weg!” Der Fall Siegfried Buback

Als ich noch in der DDR eingemauert war, hielt ich die Bundesrepublik für einen Rechtsstaat und bewunderte ihren entschlossenen Umgang mit den RAF-Terroristen. Bis herauskam,…/ mehr

Vera Lengsfeld / 11.03.2024 / 16:00 / 20

Wie rettet man eine Demokratie?

Warum lässt die schweigende Mehrheit zu, dass unter dem Schlachtruf, die Demokratie und das Grundgesetz zu verteidigen, beides ausgehöhlt wird? Was man ganz einfach tun…/ mehr

Vera Lengsfeld / 10.03.2024 / 16:00 / 9

Eine Schulung im Denken

Denken ist ein Menschenrecht, aber wer beherrscht die Kunst des Denkens? Warum ist Propaganda so wirksam und für viele Menschen so schwer zu durchschauen? Volker…/ mehr

Vera Lengsfeld / 06.02.2024 / 12:00 / 38

Wie man Desinformation umstrickt – und noch schlimmer macht

Wenn man gewisse „Qualitätsmedien" der Fehlberichterstattung und Manipulation überführt, werden die inkriminierten Texte oft heimlich, still und leise umgeschrieben. Hier ein aktuelles Beispiel.  Auf diesem Blog…/ mehr

Vera Lengsfeld / 04.02.2024 / 15:00 / 20

Die Propaganda-Matrix

Die öffentlich-rechtlichen Medien und die etablierten Medien leiden unter Zuschauer- und Leserschwund, besitzen aber immer noch die Definitionsmacht. Das erleben wir gerade wieder mit einer Propaganda-Welle. …/ mehr

Vera Lengsfeld / 02.02.2024 / 06:05 / 125

Wie man eine Desinformation strickt

Am 30. Januar erschien bei „praxistipps.focus.de“ ein Stück mit dem Titel: „Werteunion Mitglied werden: Was bedeutet das?“ Hier geht es darum: Was davon kann man davon…/ mehr

Vera Lengsfeld / 06.01.2024 / 06:25 / 73

Tod eines Bundesanwalts

Als ich noch in der DDR eingemauert war, hielt ich die Bundesrepublik für einen Rechtsstaat und bewunderte ihren entschlossenen Umgang mit den RAF-Terroristen. Bis herauskam,…/ mehr

Vera Lengsfeld / 29.12.2023 / 13:00 / 17

FDP #AmpelAus – Abstimmung läuft noch drei Tage

Die momentane FDP-Führung hatte offenbar die grandiose Idee, die Mitgliederbefragung unter dem Radar über die Feiertage versanden zu lassen. Das Online-Votum in der FDP-Mitgliedschaft läuft…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com