Seit ein paar Tagen ist Belgien weitgehend stillgelegt. Ganz ohne Diskussionen in der Bevölkerung. Und damit das so bleibt, hat man die Deutschen sicherheitshalber ausgesperrt. Wir brauchen keinen, der uns reinquatscht. Merkel mag das unsolidarisch finden, aber das gehört nun einmal zu den Charaktereigenschaften von Geisterfahrern.
Seit Dezember 2018 hat Belgien keine Regierung. Damals verkaufte Ministerpräsident Michels seine Seele und sein Land, indem er dem Migrationspakt von Marrakesch gegen den erklärten Willen des Koalitionspartners NV-A zustimmte. Die Regierung zerbrach, Michels wurde dafür mit dem Posten des Präsidenten des Europäischen Rates belohnt. Seitdem gibt es eine geschäftsführende Regierung unter Sophie Wilmès. Denn auch Neuwahlen im Mai 2019 brachte für keine der politischen Seiten eine Mehrheit.
Dafür, dass es keine Regierung gibt, handelt sie erstaunlich effektiv. Zur Eindämmung der Corona-Epidemie wurde ein weitgehender Lock Down angeordnet, kommende Woche wird das Parlament die geschäftsführende Regierung mit Sondervollmachten im Kampf gegen das Coronavirus ausstatten. Die Region Brüssel hat Maßnahmen ergriffen, um auch die Schwächsten der Gesellschaft, vor allem Obdachlose, vor der Corona-Pandemie zu schützen. Überall im Land entwickeln sich solidarische Projekte, Brennereien lassen Schnaps Schnaps sein und produzieren nun Alkohol zur Herstellung von Desinfektionsmitteln, spontan errichtete Nähereien fertigen Schutzmasken, die Essensversorgung von Älteren wird massiv ausgeweitet. Der König ließ seine Beziehungen spielen, er hat eine halbe Million Atemschutzmasken aufgetrieben. Durch allerlei Solidaritätsbekundungen zeigen die Bürger ihre Anerkennung der Arbeit von Helfern.
Hier auf dem Dorf bekommt man wenig mit. Es ist noch ruhiger als sonst, keine Motorradcorsos wie sonst am Sonntag, keine Traktoren, selbst die Kirchenglocken schweigen – dem Vorbild der Niederlande, mit Glockengeläut den Allmächtigen auf die Situation aufmerksam zu machen, scheint man nicht zu trauen. Vielleicht ist aber auch nur der Glöckner krank.
Da ich ohnehin nur selten das Haus verlasse, hat sich für mich wenig geändert. Einen Tag vor Beginn des Stillstands wurde nochmal Lebensnotwendiges, insbesondere Katzenfutter, nachgebunkert, auch holte ich beim deutschen Verlag gerade noch rechtzeitig die Autorenexemplare meines neuen Belgienbuches ab. Das Timing des Erscheinens ist nicht gerade optimal für ein Reisebuch, aber das war nun wirklich vor einem Jahr nicht absehbar, als ich die ersten Sätze schrieb.
Ich möchte jetzt nicht in einer Stadt in einem Appartement sitzen
Ich kann sehr gut verstehen, dass die weitreichende Ausgangssperre für viele Menschen ein großes Problem darstellt. Sie haben kein Haus, das über drei Stockwerke voller Bücher, Tonträger und Filme steckt und keinen Garten, in dem man sich (nach Abklingen der momentanen Kältewelle) die Frühlingssonne aufs Haupt scheinen lassen kann. Wer keine kulturellen Interessen kennt, außer in Kneipen, Discos und Muckibuden abzutanzen, muss sich nach kurzer Zeit eingekerkert fühlen. Die Ausgangssperre ist nicht absolut, man kann rausgehen, einkaufen und auf der Bank nachschauen, ob der Euro noch etwas wert ist, aber eben alles deutlich eingeschränkt. Geschäfte lassen nur noch wenige Kunden zugleich ein, und Radfahrer müssen Mindestabstände zueinander halten. Wer weiß, wie schwer es schon normalerweise ist, einen Pulk belgischer Radfahrer zu überholen, kann froh sein, wenn er jetzt nur im Notfall hinters Steuer muss. Falls die denn jetzt den vorgeschriebenen Abstand tatsächlich halten. Denn auch in Belgien gibt es natürlich Menschen, die das alles nicht ernst nehmen. An den Grenzen zu den Niederlanden und zu Frankreich hat man begonnen, Schleichwege mit Betonsperren zu blockieren, da dort ein erhöhter Verkehr beobachtet wurde.
Nein, keine Frage, ich möchte jetzt nicht in einer Stadt in einem kleinen Appartement sitzen und merken, wie ich zunehmend verfette, da ich meinen gewohnten, täglichen 10 km Jogginglauf nicht absolvieren kann. Aber wäre ich in der Situation, ich würde mich an die Anordnungen halten. Fern jeder Gefahr, Verschwörungstheorien zu verfallen, glaube ich, dass Corona ein ernstes Problem ist. Das sehen viele in Deutschland anders. Aber für mich, als Teil der „Risikogruppe Unwertes Leben“, ist „Grippe“ das Oktoberfest unter den Krankheiten.
Gesundbeter und Besserwisser scheint es hier in Belgien nicht zu geben; ich sehe mich täglich, so gut ich nur kann, in allen drei Landessprachen in allen Medien um. Da ist niemand. Dass es in Deutschland so viel Widerstand gegen einschränkende Maßnahmen gibt, wundert mich nicht. Es dürfte wohl kein Land, zumindest in Europa, geben, in dem man den Regierenden so wenig zutraut wie in Deutschland.
Neu erschienen: Archi W. Bechlenberg, Streifzüge durch Ostbelgien, 2. aktualisierte und erweiterte Auflage. 288 Seiten. Überall, wo es Bücher gibt. Website zum Buch: www.bechlenberg.de/streifzuege