Archi W. Bechlenberg / 24.03.2020 / 11:00 / 33 / Seite ausdrucken

Leben unter Kuratel

Seit ein paar Tagen ist Belgien weitgehend stillgelegt. Ganz ohne Diskussionen in der Bevölkerung. Und damit das so bleibt, hat man die Deutschen sicherheitshalber ausgesperrt. Wir brauchen keinen, der uns reinquatscht. Merkel mag das unsolidarisch finden, aber das gehört nun einmal zu den Charaktereigenschaften von Geisterfahrern.

Seit Dezember 2018 hat Belgien keine Regierung. Damals verkaufte Ministerpräsident Michels seine Seele und sein Land, indem er dem Migrationspakt von Marrakesch gegen den erklärten Willen des Koalitionspartners NV-A zustimmte. Die Regierung zerbrach, Michels wurde dafür mit dem Posten des Präsidenten des Europäischen Rates belohnt. Seitdem gibt es eine geschäftsführende Regierung unter Sophie Wilmès. Denn auch Neuwahlen im Mai 2019 brachte für keine der politischen Seiten eine Mehrheit.

Dafür, dass es keine Regierung gibt, handelt sie erstaunlich effektiv. Zur Eindämmung der Corona-Epidemie wurde ein weitgehender Lock Down angeordnet, kommende Woche wird das Parlament die geschäftsführende Regierung mit Sondervollmachten im Kampf gegen das Coronavirus ausstatten. Die Region Brüssel hat Maßnahmen ergriffen, um auch die Schwächsten der Gesellschaft, vor allem Obdachlose, vor der Corona-Pandemie zu schützen. Überall im Land entwickeln sich solidarische Projekte, Brennereien lassen Schnaps Schnaps sein und produzieren nun Alkohol zur Herstellung von Desinfektionsmitteln, spontan errichtete Nähereien fertigen Schutzmasken, die Essensversorgung von Älteren wird massiv ausgeweitet. Der König ließ seine Beziehungen spielen, er hat eine halbe Million Atemschutzmasken aufgetrieben. Durch allerlei Solidaritätsbekundungen zeigen die Bürger ihre Anerkennung der Arbeit von Helfern.

Hier auf dem Dorf bekommt man wenig mit. Es ist noch ruhiger als sonst, keine Motorradcorsos wie sonst am Sonntag, keine Traktoren, selbst die Kirchenglocken schweigen – dem Vorbild der Niederlande, mit Glockengeläut den Allmächtigen auf die Situation aufmerksam zu machen, scheint man nicht zu trauen. Vielleicht ist aber auch nur der Glöckner krank.

Da ich ohnehin nur selten das Haus verlasse, hat sich für mich wenig geändert. Einen Tag vor Beginn des Stillstands wurde nochmal Lebensnotwendiges, insbesondere Katzenfutter, nachgebunkert, auch holte ich beim deutschen Verlag gerade noch rechtzeitig die Autorenexemplare meines neuen Belgienbuches ab. Das Timing des Erscheinens ist nicht gerade optimal für ein Reisebuch, aber das war nun wirklich vor einem Jahr nicht absehbar, als ich die ersten Sätze schrieb. 

Ich möchte jetzt nicht in einer Stadt in einem Appartement sitzen

Ich kann sehr gut verstehen, dass die weitreichende Ausgangssperre für viele Menschen ein großes Problem darstellt. Sie haben kein Haus, das über drei Stockwerke voller Bücher, Tonträger und Filme steckt und keinen Garten, in dem man sich (nach Abklingen der momentanen Kältewelle) die Frühlingssonne aufs Haupt scheinen lassen kann. Wer keine kulturellen Interessen kennt, außer in Kneipen, Discos und Muckibuden abzutanzen, muss sich nach kurzer Zeit eingekerkert fühlen. Die Ausgangssperre ist nicht absolut, man kann rausgehen, einkaufen und auf der Bank nachschauen, ob der Euro noch etwas wert ist, aber eben alles deutlich eingeschränkt. Geschäfte lassen nur noch wenige Kunden zugleich ein, und Radfahrer müssen Mindestabstände zueinander halten. Wer weiß, wie schwer es schon normalerweise ist, einen Pulk belgischer Radfahrer zu überholen, kann froh sein, wenn er jetzt nur im Notfall hinters Steuer muss. Falls die denn jetzt den vorgeschriebenen Abstand tatsächlich halten. Denn auch in Belgien gibt es natürlich Menschen, die das alles nicht ernst nehmen. An den Grenzen zu den Niederlanden und zu Frankreich hat man begonnen, Schleichwege mit Betonsperren zu blockieren, da dort ein erhöhter Verkehr beobachtet wurde.

Nein, keine Frage, ich möchte jetzt nicht in einer Stadt in einem kleinen Appartement sitzen und merken, wie ich zunehmend verfette, da ich meinen gewohnten, täglichen 10 km Jogginglauf nicht absolvieren kann. Aber wäre ich in der Situation, ich würde mich an die Anordnungen halten. Fern jeder Gefahr, Verschwörungstheorien zu verfallen, glaube ich, dass Corona ein ernstes Problem ist. Das sehen viele in Deutschland anders. Aber für mich, als Teil der „Risikogruppe Unwertes Leben“, ist „Grippe“ das Oktoberfest unter den Krankheiten. 

Gesundbeter und Besserwisser scheint es hier in Belgien nicht zu geben; ich sehe mich täglich, so gut ich nur kann, in allen drei Landessprachen in allen Medien um. Da ist niemand. Dass es in Deutschland so viel Widerstand gegen einschränkende Maßnahmen gibt, wundert mich nicht. Es dürfte wohl kein Land, zumindest in Europa, geben, in dem man den Regierenden so wenig zutraut wie in Deutschland. 

Neu erschienen: Archi W. Bechlenberg, Streifzüge durch Ostbelgien, 2. aktualisierte und erweiterte Auflage. 288 Seiten. Überall, wo es Bücher gibt. Website zum Buch: www.bechlenberg.de/streifzuege
 

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Wolfgang Richter / 24.03.2020

@ Detlef Dechant—Der (Corona-Ausgeh-) Hund von heute ist ein Plagiat. Das war während des Sonntagsfahrverbotes von 1972/73 die Oma auf dem Rücksitz zum Cafébesuch. Die Zeiten ändern sich, die Ausreden bleiben.

toni Keller / 24.03.2020

Das ist doch in Deutschland alles auch schon so. In Bayern und dem Saarland herrscht Ausgangssperre und in Hessen darf man nur noch alleine auf der Straße laufen, in Baden-Württemberg maximal zu zweit. Beim Einkaufen muss die Kundschaft draussen warten, bis der vorherige Kunde fertig ist und wo das nicht geht,  sind überall Absperrbänder auf dem Boden, vor den Kassen und alles baffte einem an “Halten Sie Abstand!” so als habe man schon schwarze Pestbeulen an sich, oder abgefaulte Finger aufgrund einer Lepraerkrankung. Die Kirchen die es seit Jahrzehnten absolut genial von ihrem Gründern finden, dass er die Leprakranken seiner Zeit, wieder in die soziale Gemeinschaft integriert habe und damit gesund gemacht habe, weil es ja keine Wunder gibt und das allerschlimmste die Ausgrenzung der Kranken ist..Ja, ja wir erinnern uns an manche Predigt zu diesem Thema, also die gleichen Kirchen grenzen gerade alle aus, indem sie ihre Kirchen dichtmachen, und das wo Corona eben in 90% der Fälle symptomlos verläuft und nur in den seltensten Fällen tödlich. Mal zum, Vergleich: jährlich kommen durch Verkehrsunfälle ca 3000 Menschen ums Leben, und seit Jahren zwischen 714 und 899 Menschen die sich vor den Zug werfen, man google “Schienensuizid”.  Kein Mensch käme auf die Idee, wegen der 800 Toten, die sich über die Jahre ziemlich summieren die kompletten Zugverkehr einzustellen,  oder wegen der Verkehrsunfälle alle zu Hause einzusperren! Genau das geschieht aber derzeit wegen einer heftigen Grippe! Ärzte sind übrigens meiner Meinung nach Leute, die jeden Tod als persönliche Beleidigung auffassen und deshalb gerade wenn es eh dem Ende zugeht über das Ziel hinausschießen. Das ist in Ordnung, solange es Korrekturmechanismen gibt, aber es ist nun mal so, das der Mensch sterblich ist und angeblich beneiden die Götter den Menschen darum,  Ich danke den Achse Autoren dass sie versuchen gegen den Irrsinn anzuschreiben

Wilfried Cremer / 24.03.2020

Ist auch der Bahnverkehr gestoppt? Wenn ja, dann könnten Sie mit der Draisine durch den Tunnel huschen, um Wichtiges in Aachen zu besorgen.

Peter Wichmann / 24.03.2020

Lieber Herr Pappe, „Vielleicht sehnen wir uns doch insgeheim nach Sozialismus und Kommunismus ?“ Das ist vor dem Hintergrund des verheerenden Scheiterns eines sozialistischen Experiments nach dem anderen auch nach meiner Ansicht eine der interessantesten Fragen überhaupt. Zu ihr hat Michael Klonovsky auf seinem Blog den wirklich sehr lesenswerten Artikel >>Warum die Linke “ewig” ist<<  geschrieben. Fazit: die Sozialisten aller Schattierungen (einschließlich der religiösen – soweit man zwischen Ideologie und Religion überhaupt einen Unterschied machen will) versprechen den Menschen das Blaue vom Himmel, zum Teil einschließlich des ewigen Lebens. Und die Leute wollen das einfach glauben, weil es erfreulicher ist, gedanklich in Wolkenkuckucksheimen herum zu spazieren, als sich den Beschwernissen der Realität zu stellen. / Freundliche Grüße PW.  //  Und sehr geehrter Herr Bechlenberg, wenn Sie mich das nächste Mal wieder falsch schreiben, revanchiere ich mich.

Thomann Lanzerstorfer / 24.03.2020

Lieber Herr Bechlenberg, wie ist das mit den Eiern und den Hühnern?

Manni Meier / 24.03.2020

Vielen Dank für die Unterrichtung bzgl. Klopapierversorgung in Belgien, lieber Herr Bechlenberg. In Deutschland wären solche Massenklopapiertransporte z. Zt. wohl nur unter verstärktem Polizeischutz möglich. Meldung aus der Rheinischen Post: “In Würselen haben Diebe die Scheibe eines Autos eingeschlagen, um „Beute“ zu machen. Sie stahlen mehrere Pakete Toilettenpapier. Der Mann hatte, trotz des polizeilichen Hinweises auf Facebook ‘Keine Wertgegenstände im Fahrzeug zu lassen’,  mehrere Pakete Toilettenpapier über Nacht in seinem Wagen gelassen.” // Noch zu ihrer Anmerkung “...selbst die Kirchenglocken schweigen – dem Vorbild der Niederlande, mit Glockengeläut den Allmächtigen auf die Situation aufmerksam zu machen, scheint man nicht zu trauen.” Diese ignorante Haltung sollten die Belgier aber doch dringend nochmals überdenken. Unsere muslemischen Mitbürger sind da schon weiter. Sie sind überzeugt, dass der Muezzin gegen Corona in Stellung gebracht werden muss. Die Vorsitzende des DITIB NRW-Landesverbands, Hülya Ceylan wies, laut WAZ von heute, “...darauf hin, dass die Duisburger Zentralmoschee in Marxloh seit 12 Jahren ein Minarett hat, von diesen bisher aber nicht zum Gebet gerufen wurde. Deutschlandweit haben die Kirchen begonnen, um 19:00 Uhr die Glocken zu läuten, um…ein Zeichen der Solidarität zu setzen. ....Wir haben zum Ausdruck gebracht, dass wir die muslimische Gemeinschaft durch den Gebetsruf spirituell unterstützen können. Nun wird jeden Abend, um ein Zeichen der Solidarität zu setzten, der Gebetsruf ausgerufen.“ Ich vermute, dass dieser lautstarke orientalische Brauch auch nach dem Abklingen von Corona beibehalten wird, aus dem guten Grund, um einem neuen Virus-Ausbruch vorzubeugen. “Andere Moscheen in Deutschland möchten nach diesem Vorbild ebenfalls den Gebetsruf einführen….,um die Moral der Gesellschaft zu stärken. Der Gebetsruf ist in diesem Sinne ein sehr wirksames Symbol“, so Ceylan. Wofür so doch so ein kleiner Virus nicht alles gut sein kann.

Claudius Pappe / 24.03.2020

Lieber Herr Wichmann, ich kann es mir auch nicht erklären warum 87% der Wähler hinter Merkel stehen. Vielleicht haben viele Menschen in Deutschland nur ein Kurzzeitgedächtnis oder schauen zu viel ARD und ZDF. Mag auch noch an den vielen Zeitungsabos der linksgrünen Presse liegen. Vielleicht sehnen wir uns doch insgeheim nach Sozialismus und Kommunismus ? Aus der Geschichte haben Deutsche noch nie gelernt.

Archi W. Bechlenberg / 24.03.2020

Herr Wiechmann, den Text schrieb ich Sonntag. Da hatten andere Länder bereits seit Tagen eine flächendeckende Einschränkung eingeführt. In Deutschland war dem zu diesem Zeitpunkt noch nicht so (und ist es ja immer noch nicht).  Stattdessen in allen Medien Warnung und Ablehnung, und auch in den sozialen Netzwerken seitens der Mehrheit der Kommentatoren. Kein Wunder, man hat Angst vor den “Menschen, die noch nicht so lange dort leben” und deren Reaktionen darauf, ihren gewohnten Alltag zu umstellen zu müssen.

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