Thilo Schneider / 19.06.2020 / 14:00 / Foto: Timo Raab / 32 / Seite ausdrucken

Leb wohl, bento!

Liebe Lesende, liebe LesinnendeX,

wir haben uns heute zusammengefunden, um Abschied zu nehmen. Abschied zu nehmen von einem Magazin, das uns vier Jahre lang die Gedankenwelt junger StudierendX nahe- und aufgebracht – und ja – auch körperlich lieben gelernt hat. Kein anderes Jugendmagazin, nicht einmal die BRAVO, bewegte uns derart zum Lachen, Staunen, Weinen, Ekeln und Fühlen für, mit und über die Generation, die für die Umwelt hüpft, während sie ihre Handys an Dieselaggregaten lädt.

Wir tragen heute das Online-Magazin bento, das ein unbarmherziger Markt plötzlich und unerwartet hinterrücks meuchelte, zum virtuellen Grabe. Kapitalismus ist ein grausames Monster. Aber nicht immer geschlechtsverkehrt!   

Mit bento stirbt ein Nachrichtenportal, das nicht mit herkömmlichen Nachrichten aus den Pressemeldungen arbeitete. Deshalb führte es auch Rubriken wie die engagierte „Gerechtigkeit“, das wunderschöne Oxymoron „Uni und Arbeit“, danach redundant „Freizeit“ sowie, um sie nicht unter „Gerechtigkeit“ zu klemmen, die Rubriken „Inklusion“, „Queer“ und, etwas verwirrend, „EntdeckeKanada“ (exakt so).

Spermaverklebte „Fühl“-Kolumne

Einzigartig in der Presselandschaft, unvergessen und unerreicht werden jedoch die Beiträge in bentos Rubrik „Gefühle“ sein. Wie oft und sehr habe ich meinen Kaffee queer über den Frühstückstisch gespuckt, wenn ich auf Spiegel-Online versehentlich Beiträge wie „Diese zwei Studierenden haben ein feministisches Porno-Startup gegründet“ geklickt oder gerne auch praktische Lebenshilfe wie „Ich würde ja gern Pornos schauen – aber finde nie die passenden“ erhalten habe. Ja, da habe ich mitgefühlt und mitgeweint und warte noch heute auf die passenden Empfehlungen. Irgendwas mit Hamstern und Pinguinen hätte ich mir da mal gewünscht. Das hätte ich wirklich einmal innovativ gefunden. Außerdem wurden Nebenverdienste für StudierendX vorgestellt, beispielsweise „Wie ich das erste Mal Sex für Geld erlebte“ (immerhin 800 Euro für zwei Stunden, Rechtsanwälte und Gehirnchirurgen werden schlechter bezahlt) oder „Mein Nebenjob: Prostituierte. Und so kam es dazu.“

Was ich übrigens gut fand: Wenn dann die Nebenjobs und die Freier so richtig brummten und das Studium künftig neben dem Brot- und Geschlechtsverkehrerwerb lief, dann erklärte bento: „Warum meine Eltern nicht wissen, dass ich nebenbei studiere.“ Ich hätte Eva Morgenstern, der Autorin, ja geraten, beim Besuch der Erzeuger nicht das Gucci-Täschchen, sondern eine Aldi-Plastiktüte mitzunehmen. Take what you can, life is short. Aber Eva, die „Bücherwurmin, Sonnenanbeterin, Kindischerin der 90erin“, die in „polyamoren Beziehungen lebt und liebt“ (eine wirklich empathische Umschreibung für Prostitution – zumindest, so lange sie clever genug ist, dafür Geld zu nehmen), hat auch ohne meine Tipps ihre spermaverklebte „Fühl“-Kolumne bei bento bekommen.  

Legende sind daneben auch Skandalbeichten wie „Isabells Sexpartner hat heimlich das Kondom abgezogen“ (die Sau!), ein „neuer Trend“ beim „Stealthing“ oder auch „mein Vater hat einen Porno gedreht – und ich habe ihn versehentlich gesehen“. Den Porno und den Vater. „Versehentlich.“ Das war mit ungeschützter Sicherheit ganz schön hart, Zeuge des eigenen Zeugungsvorgangs zu werden.  

Nicht so hilfreich fand ich persönlich jetzt aber während der erektionsharten Corona-Zeit das Thema: „Selbstmassage, Masturbation, Telefonsex: Die Zeit nutzen und den Körper besser kennenlernen.“ Geschrieben wurde der letztgenannte Artikel von der unvergleichlichen Sexarbeiterin und BDSM-Couch-Coachine Sadie Lune (von der ich insgeheim vermute, sie heißt in Wahrheit Schantal Klöbner und studiert Jura und Kunstgeschichte im vierten Semester). Ich habe das mit dem Telefon probiert, aber seit Apple die Ladebuchsen am iPhone noch einmal verkleinert hat, war das nicht so prickelnd. Vielleicht hätte ich bei Sadie Lune vorher ein Bildungstutorial auf „Sex School Hub“ buchen sollen. Da war ich vielleicht jetzt eine Spur zu geizig.

Das Leben kann lächerlich sein

Im ewigen Gedächtnis werden mir aber knallhart recherchierte und relotierte Berichte bleiben, die so sensible und einfühlsame Themen und Körperöffnungen wie „Warum ich als heterosexueller Mann auf Analpenetration stehe“ angingen oder freigiebige Interviews wie mit dem Max und der Anna, „warum sie auf Gruppensex stehen“. Ja, bento betrieb da eine ausgiebigere Feuchthöhlenforschung als Jacques Cousteau

Daneben gab es frisch-fröhlich-freie Haushaltstipps über den richtigen Umgang mit „Lecktüchern“ (nein, diese sind nicht dazu gedacht, plötzlich auftretende Leitungswasserlecks abzudichten) oder wie man mit Kondomen sozusagen „Wein in neuen Schläuchen“ herstellt. Notiz an mich: Auf keinen Fall kubanische Weine trinken und ansonsten einen Installateur holen.

Garniert wurden diese im wahrsten Sinne des Wortes intimen Buffets mit Einblicken in die Gedanken- und Körperwelt der nicht vorhandenen bento-LeserX mit hübsch gemalten Bildern der Grafick … der illustren Illustratorin Lana Petersen, von der ich vermute, dass sie doch eigentlich viel lieber wie Antoine de Saint-Exupéry ein Schaf gezeichnet hätte, aber leider an dessen Geschlechtsorganen scheiterte. Also, denen vom Schaf. Das Leben kann lächerlich sein, aber es gibt ja jede Menge Nebenjobs, wie von bento recherchiert.

Mit der Einstellung von bento verendet das erste Magazin, dessen Leser_innenX klüger als dessen Macher waren und sind. Und wäre ich Autor dieser BRAVO für verklemmte LehramtsstudentX – ich würde diese Episode meiner publizistischen Tätigkeit ganz schnell aus meiner Vita verschwinden lassen. Obwohl ich mir als sozusagen ultimativen Abschiedsbeitrag „Ich schrieb für bento. Meine gleichgeschlechtlichen Eltern hatten gehofft, ich sei transsexuelle Pornodarstellerin in einem brasilianischen Liebesfilm“ gewünscht hätte. Es bleibt zu hoffen, dass die zu recht demnächst arbeitslosen Brillenträger_InnenX der bento-Redaktion ein neues Betätigungsfeld finden. Sobald sie sich wieder angezogen haben. Wie beispielsweise einen Lehrstuhl für korrektes Gendern. Ich schreibe mich auch garantiert nicht ein. Versprochen. Die Fackel der Unter- und Aufklärung und des Frohsinns und der stilvoll-gepflegten Untenrumhaltung darf jedenfalls nicht verlöschen. Zur nächsten journalistischen Prostitution geht’s hier entlang. Allerdings mutmaßlich nicht für 400 Klötze die Stunde.

(Weitere besinnliche Beiträge des Autors auch unter www.politticker.de)

Foto: Timo Raab

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Klaus Klinner / 19.06.2020

Ich bin mir absolut sicher, auch ich habe in meiner Jugend viel dummes und verqueres Zeug dahergeredet. Wenn ich heute allerdings Texte lese, die ich vor vier bis fünf Jahrzehnten verfasst habe, so blöd wie bento heute, klingen sie nicht.

Uta Buhr / 19.06.2020

“Von Bento da kann man fi x was von lernen fürs Leben”, hätte Frau Puvogel, Klein Erna ihre Mutter, gesagt. Und nu? Alles aus und vorbei. Schade.

Alexander Schilling / 19.06.2020

Immerhin—es gab eine Männerquote. Doch nach dem Pigmentzählen (dernier cri) war das redaktionelle Aus dann wohl unvermeidlich. Nicht weiter tragisch, seit frau bei der Neofa—Hochhalten von ‘Deutschland Abtreiben’-Schildern, begleitet durch stoßweise Ejakulationen von Urlauten im Falsett—, gewissermaßen also auf dem zweiten Bildungsweg, gute Chancen für einen Quereinstieg in der Sparte ‘Arbeiter*In der Faust’ offenstehen. Die Quotenmänner können in der Zwischenzeit ihr Geschlechtskonstrukt ja noch einmal überdenken…

Jochen Lindt / 19.06.2020

Als Studenten sind wir in den 80ern nach der Disco Sonntag nacht noch am HH-HBF vorbeigefahren um ein Nachtexemplar des Montags-SPIEGEL zu kaufen, der damals so ab 02:00h verfügbar war.  Heute unvorstellbar.  Heute klicke nicht mal mehr auf Spiegel.de - pure Zeitverschwendung, das kostet mich nur wertvolle Millisekunden meines Lebens.  Das es Bento gab, wusste ich übrigens, aber ich dachte es gehört zur ZEIT (die ich auch nicht mehr lese).

Manfred Dennenlöhr / 19.06.2020

Ich habe mal auf den ze.tt li.nk ge.klickt (St.ellen.an.gebote) und nach unten gescrollt. Und, wie nicht anders zu erwarten: Rechtschreibung mangelhaft. “Freie Autor_in” ist entweder ein Eigenname oder nicht. Und ein ein.deutig männlicher Mensch wäre dann ein “freie Autor”. Ergo ist gemeint: “Geistfreie Autor_innen” können sich melden. Da wären die ben.to Bu.ben und Mäd.els gerade richtig.

HaJo Wolf / 19.06.2020

Mein Gott, Herr Schneider, sind Sie masochistisch veranlagt, auch nur eine Zeile dieses Zeugnisses tiefstmöglichen Journalistenniveaus zu lesen? Während ich dies tippe, steht rechts ganz oben in der Werbespalte ein Titelbild von COMPACT Nov 2019 mit einer zur Horrorfratze verzerrten Ansicht der Schwedengöre mit dem Sprung in der Schüssel. Wie hat sich unsere Welt in den letzten 20 Jahren verändert… und trotz all der studienabgebrochenen Gutmenschen nicht zum Guten oder gar Besseren. Sic transit gloria mundi. - Denken Sie, Spirgel-Start wäre besser als bento? Ich werde es nicht beurteilen können, denn ich lese keines der Schmierblätter aus diesem Verlag, ich taugen nicht mal zum Hinternputzen, denn da steht mehr - Pardon, verzeiehen Sie meine drastische Ausdrucksweise -  Scheisse drin als ich am Arsch habe.

Gert Köppe / 19.06.2020

Herr Schneider, haben Sie tatsächlich in sowas herum geblättert? Ernsthaft? Dann sind Sie hart im Nehmen. Alle Achtung! Ich hätte dafür sicher eine Flasche mit irgend etwas “Hochprozentigen” gebraucht, um die zu Papier gebrachte geistige “Dünnbrühe” für ewig Studierend X-Y-beliebig halbwegs schadlos zu überstehen. Aber gut zu wissen das jetzt wieder Papier-Ressourcen frei werden, für viel zu große Pappkartons, nur weil man sich mal ein 10er Päckchen 3-mm-Schräubchen bestellt hat. Ja, früher haben das mal Menschen verpackt, da waren die Größen angepasster, doch heute machen das Automaten und die sind genauso doof wie die Grünen. Ein dreifaches “Hoch” auf die Umwelt.

michel o. neland / 19.06.2020

Tja, wo man früher jahrelang studiert hat, wird man heute durch regelmäßigen Konsum der sozialen Medien innerhalb kürzester Zeit zum Universalexperten.

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