Meine allererste Reise ins Ausland, 16-jährig, zusammen mit einem Freund führte uns nach Frankreich. Per Zug ging es von Münster nach Paris, die Fahrräder fuhren im Gepäckwagen mit. Das Ziel hieß Caen in der Normandie. Doch als Zwischenstopp hatten wir einen Tag in Paris eingeplant. Gerade angekommen, ging es direkt zur Notre Dame. Unserer Dame galt unser erster Besuch. Und wie standen wir staunend vor und in dieser Kathedrale. Mir graut davor, sie nun in dem Zustand wiederzusehen, in dem sie sich jetzt vermutlich befindet.
Mein erster Gedanke, als ich das Video mit der brennenden Kathedrale sah, war ein Menetekel am Pariser Himmel, das den Untergang des christlichen Abendlandes symbolisiert. Mein zweiter Gedanke galt dem Bau selbst und dem Verlust der Einzigartigkeit dieses Bauwerks. Dann stellte ich fest, dass beide Gedanken zusammen gehören. Ja, das christliche Abendland wird zerstört und seine Wahrzeichen auch. Wer immer für den Brand verantwortlich ist, er passt vielen in den Kram, auch wenn in euphorischer Stimmung bereits die finanzielle Grundlage für den Wiederaufbau gelegt wurde, Es wird nicht mehr die alte Notre Dame sein. Es passt doch alles so sehr in die Zeit.
Sehr geehrter Herr Bechlenberg, soehr ich Sie schätze: “Auch wenn mir als Gottfreiem Nôtre Dame im religiösen Sinne kaum etwas bedeutet: [...] Die bis heute in vielem unbegreiflich gebliebene Kunst der Baumeister und Architekten ab dem 11. Jahrhundert nach unserer Zeitrechnung [nach Ihrer Zeitrechnung? ich ziehe n.Chr. oder A.D. vor] besitzt den gleichen Stellenwert für die Entwicklung der Menschheit wie die Pyramiden Ägyptens.” || Feiner Unterschied: Die Pyramiden wurden von tumben Sklaventreibern errichtet, mühsam und primitiv; die europäischen Sakralbauten des 2. Jahrtausends, weltweit bestaunt, aber von tiefgläubigen Baumeistern, die einen Messias namens Jesus verehrten. Diese “Freimaurer”, in allen architektonischen, künstlerischen, statischen und handwerklichen Fertigkeiten (die sie weder verrieten noch verschenkten) damals und später nie erreicht, glaubten innig an den biblischen Gott. || Das unterscheidet sie zu allen Zeiten von „Wir können keine gotischen Kathedralen mehr bauen, auch wenn wir es wollten” des von Ihnen zitierten Jantzen. Der Glaube war es, der diese Baumeister bis runter zum Hilfssteinmetz antrieb: pure Handarbeit, purer Schweiß, kein Kran, Stein auf Stein, alle tonnenschwer, Beton kannte man noch lange nicht, etc. || Diese Menschen hätten den BER schon nach drei Jahren betriebsbereit hingekriegt — und sich über die heutige Streichholzschachtel-Architektur bepisst.
Ich bin mal gespannt, ob es die zeitgenössischen Architekten und Statiker für vernünftig halten, dieses etwas verrückte Bauwerk in originaler Gestalt neu zu errichten. Wenn alles, was zu heiß geworden ist, demontiert ist, wird sich vielleicht Ernüchterung einstellen. Wenn heute etwas so großes gebaut werden soll, muss es ja bauaufsichtlich genehmigungsfähig sein. Deshalb tippe ich auf einen Kompromiss, der ein Stück von dem weg ist, was alle jetzt glauben.
Wie stark die Menschen das Unglück persönlich mitnimmt erkenne ich, wenn ich das Fenster meiner Nachbarn sehe. Dort zeigen sie ihre französische Nationalflagge in ganzer Fensterbreite. Bravo! Mal ehrlich: Welcher Deutsche hat noch eine Deutschlandfahne in seinem Fundus? Fussballfahne gilt nicht ....
Als Nichtchrist muss ich mal etwas ganz Naives fragen: Was denkt sich Herr Gott eigentlich dabei, wenn er seiner Zerstörungswut ausgerechnet an einer ihm bzw. seiner Mutter gewidmeten Kirche Luft macht? Für diesen Bau haben sich mehr als 200 Jahrhunderte lang unzählige Menschen krumm gearbeitet, und für Paris ist Nôtre Dame ein ziemlicher Aktivposten in Sachen Tourismus. Hätte er nicht etwas anderes kaputt machen können? Irgendwas von Trump oder Putin oder einem anderen Bösewicht? Oder Pigalle? Oder ein Kino, in dem am Karfreitag “Das Leben des Brian” gezeigt wird? Das wäre doch ein so viel verdienteres Ziel gewesen! Aber Nôtre Dame? Soll die Zerstörung der Pariser Kathedrale vielleicht eine Prüfung sein, um mal zu gucken, wie fromm die Leute noch sind? Bekanntlich läuft das ja so im us-amerikanischen Bible Belt, in dem regelmäßig von Tornados alles dem Erdboden gleich gemacht wird, Häuser, Kirchen, Tankstellen, Schnellimbisse, Hundehütten, und das alles, damit die Leute dort, sofern sie überlebt haben, Gott für diese Prüfung danken und dann noch mehr beten als ohnehin schon. Ob das in Europa so gut ankommt? Und muss er wirklich solche drastischen Glaubensprüfungen durchführen? Ist er denn nicht allwissend und sollte daher über den Glaubensstand der Christen optimal informiert sein? Also verstehen kann ich das alles nicht.
Tja, Herr Cremer, da es keine Inquisition mehr gibt und unsereins wegen Ketzerei nicht mehr verbrannt werden kann (diesen einst kirchlichen Brauch pflegen heute nur noch die IS Frömmler) erlaube ich mir, mich dem entsprechend zu äußern. Daran wird auch Ihr “Aha” nichts ändern. Aber Spaß beiseite: der meditative Raum einer gotischen Kathedrale ist nicht ausschließlich für katholische Kontemplation geeignet. Ich glaube nicht, dass Sie so oft wie ich in Nôtre Dame, Chartres, Reims oder Amiens waren, um dort Frieden zu empfinden. Das geht ohne katholischen Hintergrund meiner Ansicht nach deutlich besser, mit diesem im Nacken wäre ich nämlich im selben Verein wie Woelki, Marx und der Argentinier. Will man das?
“Mein Vorschlag: Die Trümmer, das Gebälk und Gestein, das nicht mehr verwendet werden kann, wird in kleine Stückchen zerlegt und als eine Art Reliquie an Gläubige verkauft.” Um Gottes Willen, solche Tipps müssen Sie doch nicht im Netz veröffentlichen. Die Katholiken sind auch heute noch geschäftstüchtig genug. Wahrscheinlich blüht noch in zwanzig Jahren der Devotionalienhandel und man könnte dann aus all den bereits verkauften Stückchen drei komplette Notre Dames errichten.
Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.