Henryk M. Broder / 30.12.2022 / 12:00 / Foto: Imago / 74 / Seite ausdrucken

Lauterbachs Weltformel

Hat Gesundheitsminister Lauterbach zu oft den Balla-Balla-Song der Rainbows gehört oder ist er kurz davor, die Weltformel zu entdecken? Jedenfalls hat er ein entspanntes Verhältnis zur Zeit. Was sind schon ein paar Wochen mehr oder weniger Corona-Fürsorge?

Irgendwann, wenn die Zeiten wieder ruhiger geworden sind, nachdem Putin sich nach Kuba abgesetzt hat, der Stuttgarter Hauptbahnhof zu Ende gebaut wurde und alle Kinder von Uschi von der Leyen zu EU-Emissären ernannt wurden, werden sich Historiker der Frage zuwenden, wie es ein Fakten-Sponti namens Lauterbach zum Gesundheitsminister der Bundesrepublik bringen konnte. Wer oder was war für die Karriere eines Kaffeesatz-Analysten zuständig, der das Land mit seinen wilden Prognosen und noch wilderen Empfehlungen vor sich hertreibt wie ein Siberian Husky ein Bündel Schafe?

Am 27. Dezember war es wieder so weit. Karl Lauterbach gab dem heute journal im ZDF ein Interview. Hier ab 4:00. Es ging um die Frage, warum er, der Gesundheitsminister, die Covid-Pandemie nicht für beendet erklärt, warum er es richtig findet, an der Maskenpflicht (in Fernverkehrszügen, aber nicht im Regionalverkehr) und anderen Maßnahmen festzuhalten, obwohl kaum etwas dafür und fast alles dagegen spricht.

Unter den vielen lustigen Antworten auf konkrete und sachbezogene Fragen des Moderators Wulf Schmiese – „Wie ist denn Ihre Exit-Strategie? Manche haben den Eindruck, Sie sind wie besessen und wollen auf jeden Fall an dem Maßnahmen festhalten“ – gab Lauterbach viele lustige Antworten, die lustigste von allen war diese:

Eine gute Entwicklung

„Nein, das ist nicht der Fall. Ich bin froh, dass die Lage sich so entwickelt…, ich habe es ungefähr auch so vorhergesagt, das ist somit eine gute Entwicklung. Aber ich frage mich, ob es jetzt wirklich auf ein paar Wochen ankommt, wo wir jetzt in so einer kritischen Situation sind, ob wir jetzt nicht warten wollen, bis wir die jetzt laufende Winterwelle hinter uns haben, da kommt es doch jetzt nach drei Jahren Pandemie doch auf ein paar Wochen nicht an, wenn wir jetzt in einer ganz besonders schwierigen Situation sind, auch was das Personal angeht…“

Aber waren wir nicht schon immer in einer ganz besonders schwierigen Situation, vom ersten Tag der Pandemie an? Mal gab es nicht genug Masken, mal zu wenig Impfstoff. Mal waren junge Leute, die in Parkanlagen feierten, für die Ausbreitung des Virus verantwortlich, mal Besucher von Gottesdiensten, die ohne Masken „Großer Gott, wir loben dich, wir preisen deine Stärke“ sangen; mal drohte eine Überlastung der Intensivstationen, jetzt gibt es nicht genug Personal, und das ist eine Entwicklung, die der extrem weitsichtige Gesundheitsminister nicht vorhersehen konnte.

Und da war noch, fast hätte ich es vergessen, die „Tyrannei der Ungeimpften“, die ein anderer Supermario der Medizin als Ursache der Pandemie diagnostiziert hatte. Inzwischen sind zahllose Menschen viermal geimpft und trotzdem an Covid erkrankt. Alles, was von dem Versprechen, die Impfung werde vor Infektion und Ansteckung schützen, übrig blieb, ist das Motto der letzten von Lauterbach initiierten und generös finanzierten Kampagne „Ich schütze mich!“ – mit „Menschen unterschiedlicher Herkunft aus ganz Deutschland“, nicht nur aus Bielefeld, Leverkusen und Wuppertal.

Ein Frosch, der darauf wartet, wachgeküsst zu werden

Ich gebe zu, dass ich manchmal, wenn Lauterbach bei Anne Will oder Frank Plasberg auftrat, dachte, der Mann hat zu oft den Balla-Balla-Song der Rainbows gehört. Aber das hatte mit meiner Allergie gegen alles Rheinische zu tun. Lauterbach dagegen ist ein Frosch, der darauf wartet, wachgeküsst zu werden. Wenn er nun dazu rät, abzuwarten, „bis wir die jetzt laufende Winterwelle hinter uns haben“, nach drei Jahren Pandemie komme es „auf ein paar Wochen“ mehr oder weniger nicht an, dann steht er kurz vor der Entdeckung der Weltformel, mit der man „alle physikalischen Phänomene im bekannten Universum“ beschreiben und erklären kann. Das sollte man nicht unterschätzen.

Die  Lauterbach‘sche Weltformel ist so universell anwendbar wie Einsteins Relativitätstheorie. Ist ein Mann nicht willens oder nicht in der Lage, in der Hochzeitsnacht die Ehe zu vollziehen, wird er seiner Braut sagen: „Jetzt hast du drei Jahre darauf gewartet, da kommt es auf ein paar Stunden mehr oder weniger auch nicht an, morgen früh versuchen wir es wieder.“ Wenn ein Reisender, im Vertrauen darauf, dass sein ICE wie üblich eine Verspätung hat, mit einer kleinen Verzögerung am Bahnsteig ankommt und nur noch die Rücklichter des verpassten Zuges sieht, wird er seinen Anspruch auf Erstattung des Tickets damit begründen, die paar Minuten mehr hätte der Zug wirklich noch warten können. 

Lauterbach hat sich, Corona sei Dank, im Laufe weniger Monate so profiliert wie vor ihm nur Feldherren nach jahrelangem Militärdienst. Kein Wunder, dass er nicht kapitulieren will. In jeder Krise steckt auch eine Chance. Man muss nur bereit sein, sie zu ergreifen.

Foto: Imago

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Leserpost

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Heike Olmes / 30.12.2022

Das Problem ist nicht, dass dieser Kerl hochgradig gestört ist, sondern, dass man ihn ungestört schalten und walten lässt.

Rolf Mainz / 30.12.2022

Nun ja, Lauterbach ist sicher alles andere als typisch “rheinisch”. Wenn wir beim Regionalen bleiben: seine Heimatstadt beherbergt übrigens eine recht bekannte psychiatrische Anstalt…

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