Landesverteidigung durch Angriff?

Der militärische Coup der Ukraine in Kursk müsste den Westen nachdenklich machen.

Alle Achtung vor der ukrainischen Armee. Sie beweist mit ihrem Vorstoß auf ca. 1000 Quadratkilometer russischen Territoriums ihre Schlagkraft und taktische Kompetenz. Wenn man den Feind nicht frontal schlagen kann, muss man beweglich und überraschend operieren. Diese Fähigkeit hat die Führung der ukrainischen Streitkräfte mehrfach wie auch jetzt bewiesen. Strategische Überlegenheit des Angreifers bedeutet nicht taktische Unterlegenheit des Angegriffenen. Soweit eine summarische operativ-taktische Einordnung der Geschehnisse. Indes ist damit kein politisches Urteil über den ukrainischen Vorstoß gefällt.

Dass die unbedingten Ukraine-Unterstützer wie MdB Kiesewetter und einige pensionierte Bundeswehr-Generale in den Medien der Aktion frenetisch Beifall klatschen, veranschaulicht die Verengung des Blicks auf das rein Militärische. Gewiss ist für diese Gruppierung die militärische Demütigung des Putin-Regimes für sich genommen bereits ein Etappensieg. Dass ein von westlichen Finanzhilfen und Waffenlieferungen abhängiger Staat wie die Ukraine den Krieg mit eben diesen Waffen auf das Territorium des Feindes trägt, ist aber mehr als ein Schönheitsfehler, der entgegen der Stellungnahmen von Bundesregierung und Staatsmedien nicht mit dem Hinweis politisch abgetan werden kann, dass er völkerrechtlich erlaubt sei.

Im Übrigen kümmert sich keine der beiden kriegführenden Parteien um das Völkerrecht, sondern besteht auf dem Primat militärischer Gewalt. Wenn nun die Verteidigung der Ukraine auch auf dem Territorium Russlands stattfindet, müssen die dort lebenden Russen sich den ukrainischen Streitkräften unterwerfen oder fliehen. Dieser Vorgang wird nicht nur propagandistisch von beiden Seiten ausgeschlachtet, sondern führt zu jener Verbitterung, die auf beiden Seiten die Endsieg-Parteien stärkt und die Chancen auf einen Kompromiss-Frieden schwinden lassen. Die Beseitigung der russischen Flagge in den ukrainisch besetzten Ortschaften um Kursk herum sowie das Hissen der ukrainischen Hoheitszeichen, entsprechen nicht den Usancen des Völkerrechts.

Keine Demütigungen des Feindes

Schafft der Westen es noch, das militärische Momentum der Überrumplung bei Kursk zu einem neuen Anlauf für Friedensverhandlungen zu nutzen und Selenskyj & Co. entsprechend zu veranlassen? Andernfalls wäre der imponierende Vorstoß der ukrainischen Armee bei Kursk nichts weiter als ein Beitrag zur Stabilisierung der präsidialen Macht von Selenskyj, der den anhaltenden Rückzug der ukrainischen Streitkräfte an der Donbass-Front für einen Moment vergessen lässt.

Die ukrainische Operation um Kursk erinnert an die Diskurse des brillianten Strategen Erich von Manstein, der ab 1943 angesichts überlegener sowjetischer Kräfte zum Schlagen aus der hinteren Hand riet, statt sich in frontalen Kämpfen aufzureiben. Aus der Geschichte wissen wir um den militärischen Dilettantismus von Adolf Hitler, der keinen Meter Boden abgeben wollte. Die Manstein-Taktik des ukrainischen Oberbefehlshabers passt also zur militärischen Lage. Ihre praktische Renaissance im neuen Kontext mag militärisch imponieren, bringt allerdings politisch nur etwas, wenn der Westen Selenskyj von Demütigungen des Feindes abhält und die Situation dazu nutzt, was Kissinger „the push for peace“ nannte. Über die Greueltaten der russischen Streitkräfte wurde seinerzeit ausführlich und mit berechtigter Empörung berichtet. Den zivilen Opfern des gegenwärtigen ukrainischen Vorstoßes auf russischer Seite widmen die Staatsmedien kein Wort.

Es ist Zeit, diesen Krieg zu beenden. Vielleicht durch einen schlechten Frieden. Aber dies wäre besser, als das Schlachten fortzusetzen und sich zur Geisel des Selenskyj-Regimes zu machen. Nur Frieden ist strategisch. Operative Etappensiege dagegen sind bestenfalls ein Weg dahin.    

 

Dr. jur. Markus C. Kerber ist Professor für Finanzwissenschaft und Wirtschaftspolitik an der Technischen Universität Berlin, Gründer von http://www.europolis-online.org. BuchpublikationMarkus C. Kerber, Europa ohne Frankreich? Deutsche Anmerkungen zur französischen Frage, Edition Europolis 2. Auflage

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Leserpost

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Lutz Liebezeit / 15.08.2024

Krieg ist, wenn alte Männer reden und junge Männer sterben. Ich denke, der Krieg hat seine Ursache nicht in einem völlig blinden Überfall Russlands auf die Ukraine. In Russland gibt es alle Arten von Rohstoffen. Und die wecken Begehrlichkeiten und werden von den Kriegshandlungen ausgeblendet. Für die Steinkohle in Donbas mußte Russland die Ukraine nicht “überfallen”. Putin ist sicher kein Strauchdieb.  Russland kann die ganze Welt mit Erdöl versorgen und hat immer noch genug.  Wir blenden auch aus, daß der berechnete Peak Oil hinter uns liegt. Allen voran die Amerikaner sind süchtig nach Öl. Die Militärbasen verbrauchen alleine so viel Öl im Jahr wie Schweden. / Die Trabantenstädte liegen weit abseits der Arbeitsplätze.  Ohne billiges Öl ist man da aufgeschmissen. Der Umweltengel Obama hat das Fracking eingeführt. Und Fracking ist eine überteuerte Kurzgeschichte. Langfristig ist das kein Energie-Ersatz. Und so, die Vorhersage, geht es nach dem Peak Oil ruckartig bergab. Niemand baut Ölsande ab und zerstört eine Fläche so groß wie England, wenn genug Öl da ist. Die Verarbeitung zu Erdöl bedarf schon mehr Energie, als das Öl nachher liefert. Und Öl ist nicht gleich Öl, Schweröl aus Venezuela ist ein Rückstandsöl, das als Kraftstoff für Schiffe, Dampflokomotiven, Kraftwerke geeignet ist. Daraus filtert man keine Fluide für mRNA-Impfstoffe. Die Energiewende kam bestimmt nicht als geniale Idee irgendwelcher Ideologen, sondern als dogmatische Erkenntnis aus den think tanks der Wirtschaft. Demnächst baut Baerbock in Russland noch Frauenhäuser.  / Der Krieg ist auch nützlich, um die Schäden der Regierungsparteien zu überdecken. Erst mit Corona, jetzt wird mit dem Dauerkrieg der Notstand geprobt. Kann sich noch jemand an die BRD erinnern? Hier jagt eine Krise die nächste und die letzte ist immer schlimmer als die vorherige. Die Demokratien sind schwach. Deshalb wird dämonisiert. Die können sich nur mit Notstandgesetzen an der Macht halten. Und dazu braucht es den Krieg.

Ingo Minos / 15.08.2024

Das Wallstreet Journal hat am Mittwochabend berichtet, “UKRAINE HINTER NORDSTREAM SPRENGUNG, BERLIN WUSSTE BESCHEID” (siehe auch gleichnamige Schlagzeile und Artikel vom heutigen Tag in der Berliner Zeitung) Das Wallstreet Journal verzichtet bei der Berichterstattung durchweg auf das Konjunktiv, also die Möglichkeitsform. Der Bundesnachrichtendienst BND erhielt demnach kurz nach dem Anschlag entsprechende Hinweise von US und niederländischen Diensten. Deutsche Regierungsstellen seien auch schon lange vor dem Anschlag über die entsprechende Planung informiert gewesen!

T. Gilde / 15.08.2024

Von der Grenze bis nach Kursk sind es 120 km. Wieviele Soldaten bräuchte es für so einen Vorstoß? Alles nur Verzweiflung. Die Russen stehen kurz vor der Einnahme eines sehr wichtigen Betriebes ohne dessen Produkte die Ukraine praktisch keine Waffen mehr produzieren kann. Hört man etwas davon? Natürlich nicht. Propaganda.

L. Luhmann / 15.08.2024

@gerhard giesemann / 15.08.2024 - “@Günter H.: Auch ich hoffe immer noch darauf, dass Russland endlich ein anständiger, zivilisierter Staat wird. Es ist an der Zeit. Bei den Deutschen hat es der Anstrengungen fast der ganzen Welt bedurft, um sie zu re-zivilisieren - vielleicht reicht beim Russen die UA mit westlicher Unterstützung. (...)” - ... dafür hat man uns Deutsch-Dodos eine Überdosis “Dekadentan®” injiziert.

Thomas Kurt / 15.08.2024

@Fred Burig@Günter H. Probst: Sie bewegen sich bei diesem Herrn an der Grenze dessen, was die Achse erlaubt, ihm zu antworten. Wie Sie sich sicher denken können, fiel meine Antwort etwas dramatischer aus in der Annahme, dass das bei so einem “sinnbefreiten Zeug”, wie Sie richtig bemerken, erlaubt sein sollte. Es sollte nicht. Das Positive bleibt die künftige Blamage dieser Zeitgenossen, darauf schon mal einen erzgebirgischen “Lauterbacher”. VG nach nebenan.

Boris Kotchoubey / 15.08.2024

Heuchelei ist eine Kampfsportart, in der die Deutschen unbestrittene Weltmeister sind. Ich dachte, Achgut sei gegen diese Krankheit immun, aber nein, sie ist offensichtlich ansteckender als Mpox. // Also ‘n bissle Geschichte: Anfang 90er war Russland beim Verhungern, und die Lebenserwartung von Männern lag unterhalb von Nigerien. Der gnädige Kohl bestreute russische Regierung mit deutschen Milliarden. Aber Russland hat für dieses Geld keine Medizin aufgebaut, sondern die Armee, und seit der 2.Hälfte der 90er befindet sich das Land in pausenlosen Kriegen. Danach wurde Deutschland 23 Jahre lang (in Worten: dreiundzwanzig Jahre) von den Kanzlern (gener.masc.) regiert, die engste Verbindungen mit dem FSB (ehem. KGB) unterhalten (um nicht einfach zu sagen: für die KGB-Nachfolgerstruktur gearbeitet) haben, In dieser Zeit speiste Deutschland die russische Armee nicht mehr mit Milliarden, sondern mit Trillionen. Der russische Krieg gegen die Ukraine ist extrem teuer. Ein einziger Raketenschlag gegen Lwiw Ende 2022 kostete fast eine Halbe Milliarde. Wer heute in Russland einen Vertrag mit dem Militär abschließt, erhält SOFORT und an der Stelle 20 000 US$, eine Summe, die es in keiner anderen Armee der Welt gibt. Das Geld kommt vorwiegend aus Deutschland. Ohne die deutschen Trillionen hätte es keinen Krieg gegeben, weder in der Ukraine, noch in Georgien 2008, noch den Genozid an Tschetschenen 2000-2003. // Und nach allen dem, nach dieser direkten und aktivsten Beteiligung Deutschlands am ganzen Morden in Osteuropa seit 25 Jahren piepsen die Deutschen jetzt: Peeeas! Wir sind friedliche Menschen! Wir wollen Frieden, nichts als Frieden! Nein, Leute: So einfach entweicht ihr der Verantwortung nicht.

Arnd Stricker / 15.08.2024

Solange der Krieg andauert, wird jedes LAnd versuchen, in eine bessere Lage zu kommen, weil das auch die Position in Waffenstillstandsverhandlungen stärkt, Hätten die Allierten an der Grenze Deutschlands stehen bleiben sollen und Friedensverhandlungen zu beginnen ? I<Der Angreifer muss damit rechnen, dass der Krieg auch in sein Land getragen wird. In der angeblichen Moderne herrschen recht unrealistische Vorstellungen von Krieg und internationalen Beziehungen, die sich im Westen in einer wohlstands- und friedensverwöhnten Zeit herausbegebildet, komplett an der Realität im Rest der Welt vorbei. Das ist sehr gefährlich, weil man die Realität negieren kann, nicht aber die Folgen. (wie wir in anderen Politikbereichen auch merken)

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