Von Renate Zillessen.
Da die direkte Konfrontation mit der mächtigen Landwirtschaft ihre Grenzen hat, bietet es sich aus Sicht der EU und unserer Regierung an, die Landeier durch Ausforschung und Transformation ihrer lebenskulturellen Strukturen quasi von innen zu zersetzen.
Was macht der Bauer nach Tierequälen und Bodenvergiften am Feierabend? Nichts Genaues weiß man nicht, aber vermutlich nichts Gutes im Sinne von Claudia Roth, Cem Özdemir und Nancy Faeser. Grund genug für die drei Ministernden, gemeinsam mit dem Präsidenten der Bundeszentrale für Politische Bildung ein kulturpolitisches „Förderprogramm“ für 96 ländliche Regionen Deutschlands auszubrüten.
So ähnlich stelle ich mir die Entstehung der bis dato ebenso wolkig wie wortreich beschriebenen Inititative für „längerfristige und beteiligungsorientierte Kulturvorhaben“ vor, mit denen im Zeitraum von sechs Jahren „neue Allianzen zwischen Kultur und Demokratiearbeit, politischer Bildung und Regionalentwicklung“ installiert werden sollen. Darauf aufmerksam wurde ich dank einer Bekannten, auf deren Tisch als Kreistagsabgeordnete eine Beschlussvorlage zur Bewilligung von Eigenmitteln für ein „Aller.Land“-Projekt landete, denn die 69,4 Mio. Euro Bundesmittel plus 5,9 Mio. Euro regionale Kofinanzierung reichen für eine gründliche Rekultivierung unseres Bauernvolkes naturgemäß nicht aus. Immerhin geht es um die Erlangung der kulturellen Hegemonie über eine unserer Regierung besonders widerborstig und eigensinnig gegenüberstehende Bevölkerungsgruppe, um klassische Metapolitik im Sinne Gramscis.
Geplant ist der Aufbau eines top down durch das „Aller.Land“-Organisationsteam gesteuerten bundesweiten Netzwerks, das an bestehende Kulturaktivitäten andockt und sie mittels „Partnerinnen und Partnern aus Kultur, Kommunen und Zivilgesellschaft“ (vulgo NGOs) kulturpolitisch auf Regierungslinie bringt. Wie oft bei metapolitischen Maßnahmen ist auch hier interessant, wer alles dahintersteckt – man glaubt, eine Eidechse am Schwanz zu packen und zieht ein ganzes Krokodil aus dem Loch:
Die Eierschneider
Geleitet wird das immerhin vierzehn Mitarbeiter starke „Aller.Land“-Team von Samo Darian, der auch für das 2015 initiierte, 26,6 Mio. Euro schwere „Trafo-Projekt“ der Kulturstiftung des Bundes verantwortlich zeichnet. Aufgaben und Ziele von „Trafo“ sind deckungsgleich mit denen von „Aller.Land“: „Wir beraten und begleiten die Regionen und Kultureinrichtungen bei ihren Transformationsprozessen und vermitteln das Wissen und die Erfahrungen an eine interessierte Öffentlichkeit aus Kultur, Politik und Verwaltung.“ Und was genau „Trafo“ unter „Transformation“ versteht, erfahren wir hier in einfacher Sprache: „Transformation ist, wenn man nachher jemand anderes ist als vorher. Das gilt nicht nur persönlich, sondern auch für Gruppen, Organisationen und Gesellschaften. In einer Transformation wird das, was vorher war, durch etwas Neues ersetzt. Dieses Neue entsteht meist dann, wenn das Alte keine passenden Antworten mehr hat und der Schmerz darüber größer wird als die Furcht vor dem Neuen.“ Schmerzstillend tätig wurde Trafo bis dato in zwölf Regionen, beispielsweise durch die Installation eines „fliegenden Salons“ im Altenburger Land. Der Schwerpunkt des steuerfinanzierten Trafo-Teams liegt jedoch auf der Akquise, Vernetzung und Schulung u.a. künftiger „Aller.Land“-Aktivisten, zu diesen Zwecken fanden 2018 und 2023 „Ideenkongresse“ statt, außerdem gibt es umfassende „Handreichungen“ für die praktische Kulturumerziehung. Dazu gehört auch das Anzapfen des 9,8 Mrd. Euro fetten EU-Fördermittteltopfes „LEADER“ für die Regionalentwicklung im ländlichen Raum, weshalb „LEADER“-Leader zum „Trafo“- Kongress 2023 geladen wurden, dessen Medienpartner übrigens der MDR war. Kurz: „Trafo“ ist eine Art Vorfeldorganisation von „Aller.Land“. Und was leistete die bislang? Das fragte sich auch der Finanzier von „Trafo“, die Kulturstiftung des Bundes, und ließ das Projekt 2020 durch die „Syspons GmbH“ evaluieren: Alles ganz nett, aber mehr ist mehr, kann man einfachstsprachlich die Studie zusammenfassen.
Billig dürfte die Evaluation dennoch nicht gewesen sein, denn Syspons ist immerhin eine in 50 Ländern präsente Agentur für Innovation, Migration und Diversität, auf deren Kundenliste vor allem Ministerien und Organisationen des Bundes stehen. Beispielsweise die Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft, für die Syspons die Frage klärte, welche potenziell transformativen Wirkungen Gender-lens Investings haben. Kurz: Man kennt sich und schätzt sich.
Omelette surprise
Bei so viel geballter Kompetenz, Organisations- und Finanzmacht stellt sich jetzt nur noch die Frage: Wird der gemeine Bauer seine kulturelle Transformation denn auch zu schätzen wissen? Immerhin habe selbst ich herausgefunden, dass er nach Ackerbau und Viehzucht keineswegs stumpfdumm, gelangweilt und isoliert in der Stube sitzt, sondern zur wohl höchst organisierten Bevölkerungsgruppe gehört. Abgesehen vom Deutschen Bauernverband, der 90 Prozent aller ca. 300.000 landwirtschaftlichen Betriebe vertritt, zählt allein der Deutsche Landfrauenverband 450.000 Mitglieder, also mehr als CDU oder SPD, von den Grünen ganz zu schweigen; im Bund der Deutschen Landjugend engagieren sich rund 100.000 Bürger zwischen 15 und 35 Jahren. Gut, die Namen dieser Organisationen mögen für Hauptstadtohren ein gewisses Hautgout haben, sie betreiben aber seit Jahrzehnten äußerst aktiv zahllose soziale, kulturelle und bildungspolitische Projekte und profitieren außerdem schon von diversen Bundes- und Landesmitteln.
Man fragt sich also, wie „Aller.Land“ dort quantitativ oder qualitativ noch etwas draufsatteln will, zumal der Grad freiwilligen und ehrenamtlichen Engagements der Landbevölkerung deutlich über dem der Städter liegt. Laut einer eine Studie der „Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt“ ist insbesondere „das Engagement junger Erwachsener [...] im ländlichen Raum auf relativ hohem Niveau konstant, während es in nicht-ländlichen Räumen stark abnimmt“ (S. 4). Und schaut man beispielsweise auf die Homepage des Altenburger Landes, einer der 96 von „Aller.Land“ zu beglückenden Regionen, findet man einen von Konzerten, Vernissagen, Festen, Lesungen und Sportevents überquellenden Veranstaltungskalender. Alles zusammengenommen, muss man sich unsere Landeier als im Lobby-, Verbands- und Freizeitbereich sehr aktive Menschen vorstellen, die nebenbei auch noch zur Nahrungsmittelproduktion beitragen. Nur zur Fortpflanzung müssen sie bekanntlich noch angestupst werden (siehe „Bauer sucht Frau“). Aber dies spannende Thema hat „Aller.Land“ nicht auf der Agenda. Wozu also der hohe personelle, finanzielle und organisatorische Aufwand?
Ein trojanisches Pferd
Zwei Erklärungen bieten sich an: Zum einen drohen den ohnehin bis zur Schikane regulierten Landwirten dank neuer EU-Strategien „für den schnellen und umfassenden Transformationsprozess des gesamten Landwirtschafts- und Ernährungssystems in Deutschland“ nun weitere Restriktionen und Gängelungen, wie Martina Binnig kürzlich auf der „Achse“ darlegte. Die Kritik des Bauernverbandes ließ nicht auf sich warten, erneute massive Protestaktionen sind denkbar.
Da die direkte Konfrontation mit dieser mächtigen Schlüsselbranche ihre Grenzen hat, bietet es sich aus Sicht der EU und unserer Regierung an, die Landeier durch Ausforschung und Transformation ihrer lebenskulturellen Strukturen quasi von innen zu zersetzen. Das 75 Mio. Euro starke „Aller.Land“-Programm könnte dank seiner ins Land ausschwärmenden Forscher- und Beraterschar dazu einen guten Beitrag leisten. Eine weitere Erklärung könnten die Altenburger Landtagswahlergebnisse 2024 liefern: Klarer Sieger in der kulturell putzmunteren Region wurde mit über 40 Prozent die AfD, gefolgt von der CDU mit 22 und dem BSW mit 16 Prozentpunkten; die SPD lag unter 5 Prozent, Grüne und FDP waren quasi nicht vorhanden.
Obwohl dort „Trafo“ schon seine „fliegenden Salons“ landen ließ. Aber die Evaluierenden von Syspons stellten ja schon fest, dass die „Wirkungsorientierung“ dringend gestärkt werden. Also, liebe Landeier unter den „Achse“-Lesern: Falls demnächst ein „Aller.Land“-Team vor dem Scheunentor steht, um euch kulturell auf die Sprünge zu helfen – es könnte ein trojanisches Pferd sein!
Renate Zillessen studierte in Bonn und Berlin Literaturgeschichte, Philosophie und Kunstgeschichte (M.A.) und hängte nach mehrjähriger Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der FU Berlin eine Fortbildung zum Master of Business Administration dran, geriet naturgemäß in eine Werbeagentur, später in einen Bankenverband, machte sich mit eigener Agentur selbstständig, die sie vor fünf Jahren verkaufte und widmet sich seitdem erneut Literatur, Kunst und Philosophie im weitesten Sinn.