Beim Wandern trifft man nicht nur auf Kühe, Blumen und Berghütten, sondern auch auf Bärenskulpturen und Holzpenisse.
Das Künstlerehepaar Christo und Jeanne-Claude war einer der prominentesten Vertreter der „Land Art“, eine besonders spektakuläre (und oft enorm kostspielige) Form der Aktionskunst. Sie spannten einen riesigen Vorhang durch ein Tal der Rocky Mountains („Valley Curtain“), zogen einen vierzig Kilometer langen Stoffzaun durch die kalifornische Landschaft („Running Fence“), stellten zeitgleich tausende Sonnenschirme in Japan und Kalifornien auf („The Umbrellas“), verhüllten Bäume („Wrapped Trees“) und Parkwege und machten mit schwimmenden Stegen einen oberitalienischen See („Floating Piers“) begehbar.
Unvergessen natürlich ihre Verhüllung des Berliner Reichstagsgebäudes im Jahre 1995. Bis heute zehrt das Berliner Tourismusgewerbe von diesem seinerzeit höchst umstrittenen Projekt. Hätten sie den Reichstag doch niemals wieder ausgepackt, dann wären uns vielleicht die Narren erspart geblieben, die dort heute ihr Unwesen treiben.
Christo und Jeanne-Claude sind tot, doch sie haben Nachahmer gefunden wie den italienischen Künstler Marco Martello, der in Molveno im norditalienischen Trentino jüngst mit einer hölzernen Bärenskulptur auf 1.550 Metern Höhe für Aufsehen sorgte. Mit seiner Arbeit habe er die „komplexe Beziehung zwischen Mensch und Natur“ thematisieren wollen, sagte Martello der Tageszeitung „La Repubblica“. Offenbar misslang sein gut gemeintes Vorhaben – einem Bericht zufolge erhielt der Land-Artist Morddrohungen. Nahe Caldes im Val di Sole war vergangenes Jahr ein Mensch von einer Bärin getötet worden.
„Sündenfall“
Eine Nummer kleiner ist der Streit, der jetzt im Allgäu ebenfalls um eine Bärenskulptur in freier Landschaft entbrannte. Unbekannte hatten am 2.145 Meter hohen Himmeleck einen aus Metalldraht geflochtenen Bären aufgestellt. Ohne Genehmigung, wie sich bald herausstellte, und noch dazu im Naturschutzgebiet Allgäuer Hochalpen. Unerhört!
Umgehend meldete sich der Vorsitzende der Ortsgruppe Oberstorf des Bundes Naturschutz (BN), der bayerischen Filiale des Bundes für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND), zu Wort, ein gewisser Michael Finger, und forderte die Beseitigung der Skulptur. Finger sparte nicht mit Pathos („Sündenfall“) und befürchtete für den Fall einer Verstetigung des Schwarzbaues mit „schlimmen Konsequenzen für die sensible Flora und Fauna“ des Gebietes.
Der BN-Funktionär räumt zwar laut einem Pressebericht ein, dass er „die Figur in der künstlerischen Auseinandersetzung durchaus gut“ empfinde. Jedoch sei die Art und Weise der Umweltsache nicht zuträglich. So wachse am Himmeleck die seltene Alpen-Schwefel-Anemone, eine gelb blühende Unterart der Alpen-Kuhschelle. Sie sei bedroht, wenn nun Schaulustige die Wiesenhänge am Himmeleck bevölkerten, um sich den Bären anzuschauen und Fotos davon im Internet zu posten.
Natur ist nicht für Menschen da
Der Fall erinnert an jenen Holzpenis, der vor ein paar Jahren nahe des Gipfels des Grünten, etwa zwanzig Kilometer Luftlinie vom Himmeleck entfernt, ebenfalls von Unbekannten aufgestellt worden war. Vielleicht waren es ein paar übermütige Allgäuer Burschen, die im präpotenten Überschwang ihrer Jungmännlichkeit das erigierte Gemächt, das alsbald als „Gipfelzipferl“ international bekannt wurde, auf den Berg trugen. Irgendwann wurde der Penis zersägt und wieder aufgestellt, bis er schließlich verschwand. Die Ermittlungen zu den Urhebern verliefen im Geröll.
Nun hat ein mannshoher Penis eine ganz andere Öffentlichkeitswirkung als ein Metallbär. Doch in diesem Fall kam der Protest nicht vonseiten der Naturschützer, sondern von der Alpgenossenschaft Grünten, eines Zusammenschlusses von Almbauern, denen der Rummel zu viel wurde. Der BN hatte sich am Grünten schon anderweitig verausgabt und so lange gegen einen geplanten Ausbau der dortigen Liftanlagen agitiert, bis die Investoren genervt das Handtuch warfen. Natur ist nicht für Menschen da, sondern für Anemonen und Bären, sofern sie nicht aus Metall sind.
Wogegen der Bund Naturschutz nichts hat, sind Windkraftwerke. Zwar klagt die Organisation, was das Zeug hält, doch Windräder und Solarparks bleiben in der Regel außen vor. Die werden mittlerweile natürlich auch im Allgäu geplant und gebaut und sogar der berühmten Wieskirche, Weltkulturerbe, könnte bald ein Wind-„park“ auf die Rokoko-Pelle rücken. Vom Widerstand kunstsinniger Umweltaktivisten ist bislang nichts bekannt. Vielleicht hält man in Klimaschützerkreisen Windräder ja auch für eine Form von Land Art.
Georg Etscheit ist Autor und Journalist in München. Fast zehn Jahre arbeitete er für die Agentur dpa, schreibt seit 2000 aber lieber „frei“ über Umweltthemen sowie über Wirtschaft, Feinschmeckerei, Oper und klassische Musik, u.a. für die Süddeutsche Zeitung. Er schreibt auch für www.aufgegessen.info, den von ihm mit gegründeten gastrosophischen Blog für freien Genuss und auf Achgut.com eine kulinarische Kolumne.