Lamya Kaddor muss öffentlich verbreiten dürfen, dass es die Europäer ohne den Islam nie zur Aufklärung gebracht hätten, weil erst die Begegnung mit Muslimen die Renaissance ermöglicht hat. Ist das so richtig?
Meinungsfreiheit gehört zu den blutig erstrittenen Grundrechten, ohne die liberale Demokratien nicht existieren können. Es gehört zu den Spielregeln, dass jede Blödsinnigkeit, jede Gemütsäußerung, jede noch so offenkundige Faktenwidrigkeit öffentlich geäußert und zum Ausdruck gebracht werden darf, sofern sie niemanden verleumdet oder beleidigt, keine Volksverhetzung darstellt und die öffentliche Sicherheit oder die Jugend nicht gefährdet.
Deshalb muss die Religionspädagogin und grüne Bundestagsabgeordnete Lamya Kaddor öffentlich verbreiten dürfen, dass es die Europäer ohne den Islam nie zur Aufklärung gebracht hätten, weil erst die Begegnung mit Muslimen die Renaissance ermöglicht hat. Muslime verfügten schon über Vernunft, als Europäer sich noch von Baum zu Baum hangelten.
So redeten die islamischen Fundamentalisten von Dschamal ad-Din al-Afghani bis Rashid Rida seit dem 19. Jahrhundert und nannten das Reformislam, so redeten die Muslimbrüder seit ihrer Entstehung 1928 und so redet Lamya Kaddor bis heute, um dem antimuslimischen Rassismus – eine Kollektivschandtat aller Nichtmuslime – und der Islamfeindlichkeit – eine Individualschandtat einzelner Nichtmuslime gegenüber einzelnen Muslimen – den Boden zu entziehen.
Kaddor beweist damit erneut mangelnde Geschichts- und Faktenkenntnisse. Hält sie das erstaunlich kurzlebige „Haus der Weisheit“ im Bagdad des 9. Jahrhunderts, in dem Christen und Juden die Grundlagentexte der persischen und griechisch-römischen Antike aus dem Aramäischen, Griechischen und Persischen ins Arabische übersetzten, für eine genuin islamische Angelegenheit? Wieso war es dann überhaupt nötig, dafür Schriften aus Byzanz und Persien zu beschaffen?
Rote Karte für die Deutschen
Glaubt Kaddor, dass die aus diesem Umkreis hervorgegangenen Mu’taziliten, deren rationales Denken sich der griechischen Antike verdankte, originär arabisch-islamische Überlegungen anstellten? Weshalb machten dann die Gelehrten der vier islamischen Rechtsschulen – deren Dispute Überflieger wie Naika Foroutan für den fleischgewordenen Pluralismus halten – dieser angeblichen Blütenlese des Islam schon im 11. Jahrhundert unerbittlich und unwiderruflich den Garaus? Die Krankenhäuser, die es damals in Bagdad gab, waren eine indische, persische und byzantinische Erfindung, keine arabische und erst recht keine islamische.
Algebra, Ziffern, die Null, die maurische Architektur, Kulturpflanzen, Heilkräuter, medizinisches Wissen etc. kamen von Ägyptern, Juden, Griechen, Römern, Indern, Chinesen, Berbern, Byzantinern, den Schöpfern, Erfindern und Produzenten all der Waren und des Wissens, die über die alten Handelsstraßen transportiert und ausgetauscht wurden. Mekka und Medina lagen – wie die brillante Islamwissenschaftlerin Patricia Crone zutreffend feststellte – an keiner dieser uralten Handelsrouten und kommen – oh Wunder – in den Erzählungen der Perserin Sheherazad aus den „Tausend und ein Nächten“ mit keiner Silbe vor. Diese wunderbaren Geschichten wurden ebenso erst ins Arabische übersetzt und notdürftig islamisiert, wie all das, was Kaddor der Welt als vermeintlich arabisch-islamische Erfindung anzudrehen versucht.
Die Architekten und Baumeister des Maghreb waren Juden und Christen unter muslimischer Herrschaft, Avicennas Muttersprache war kaum zufällig das Persische und er bezog wie Averroes (Ibn Ruschd) sein Wissen unter anderem von Aristoteles, dessen Werke die Europäer nicht aus dem Arabischen rückübersetzen mussten, sondern in der Originalsprache vom griechischen Festland bezogen. Zur Zeit der ersten Kreuzzüge, das scheinen einige Muslime zu vergessen, bestand die Levante noch zu weiten Teilen aus dem christlichen Byzanz.
Die orthodoxen Muslime, die laut Kaddor die europäische Aufklärung vorweggenommen haben sollen, waren in Wirklichkeit die Rechtsgelehrten und Rechtgeleiteten des fundamentalistischen Islam und mitnichten der Vernunft verpflichtete Rationalisten. Und wieso setzt Kaddor dann solchen himmelschreienden Unsinn in die Welt? Er soll den Islam weltgeschichtlich wertvoll machen und mit ihm die islamische Zuwanderung als segensreich für die Europäer verkaufen. Es gibt in der Tat eine Reihe Muslime, die ein Segen für die Europäer sind. Und das sind all diejenigen, die sie vor dem politischen Islam und den islamischen Fundamentalismus warnen anstatt das – wie Kaddor – zu propagieren. Sie heißen Bassam Tibi, Fatima Mernissi, Salman Rushdie, Saida Keller-Messahli, Hamed Abdel-Samad, Ayan Hirsi-Ali, Ahmad Mansour, Seyran Ates, Ali Ertan Toprak, Necla Kelek, Kamel Daoud, Lale Akgün, Abdel-Hakim Ourghi usw. usw.
Die Europäer zeigen den Deutschen beim Thema Flüchtlings- und Asylpolitik beharrlich die rote Karte. Als Horst Seehofer im Spätherbst 2015 Angela Merkel auf dem CSU-Parteitag vorwarf, sie würde Europa gefährden, war das angesichts der Tatsache, dass sie weder die EU-Staaten noch den Bundestag in ihre einsamen Entscheidungen zur Flüchtlingspolitik einbezogen hatte, zwar richtig, aber zum damaligen Zeitpunkt noch alarmistisch. Nach fast zehn Jahren nahezu ungebremster Zuwanderung aus islamisch geprägten Staaten, nach weiteren islamistischen Terroranschlägen, unberechenbaren Messermorden und -angriffen auf willkürlich ausgewählte Opfer, nach vermehrten Gruppenvergewaltigungen, Clan-Schießereien auf offener Straße quer durch Europa und eben auch in Deutschland, an denen Flüchtlinge und abgelehnte Asylbewerber maßgeblich beteiligt sind, nach den alljährlichen Kriminalstatistiken, die Flüchtlinge als überrepräsentierte Tätergruppe ausweisen, nach wiederkehrenden Kalifatsdemos, nach antiisraelischen und antisemitischen Solidaritätsdemos für die Hamas, nach Angriffen auf Polizisten und auf staatliche Repräsentanten wie den Berliner Kultursenator Joe Chialo ist es das schon längst nicht mehr. Zuletzt hat der polnische Ministerpräsident Donald Tusk dankenswerterweise laut und vernehmlich Stopp gesagt.
Die etablierten Parteien packen die Probleme nicht an
Es wird langsam Zeit, dass die deutsche Regierung unter Olaf Scholz zur Vernunft kommt und eine glaubhafte Kehrtwende in ihrer Flüchtlings- und Asylpolitik einlegt. Erstens, um das beschriebene Problem zu lösen und zweitens, um die Radikalen von der AfD und dem BSW auszubooten. Natürlich wäre es Kaffeesatzleserei, die Zukunft beider Parteien prognostizieren zu wollen. Ich glaube aber nicht, dass sie ein langes Leben hätten, wenn die Flüchtlings-, Asyl- und Migrationspolitik in Deutschland so restriktiv gehandhabt würde, wie in den klassischen Einwanderungsländern USA, Kanada, Australien und Neuseeland.
Von diesen Staaten unterscheiden sich die europäischen Nationalstaaten dadurch, dass sie erstens seit über einem Jahrtausend dort lebende Bevölkerungen haben, zweitens ihre liberalen Demokratien erstritten und erkämpft haben – Deutschland fällt da ein wenig aus dem Rahmen – und drittens über verfassungsrechtlich garantierte Sozialgesetzgebungen verfügen. Schon diese Merkmale sollten einer unkontrollierten Zuwanderung aus nichtwestlichen Ländern Einhalt gebieten. Islamismus ist neben Links- und Rechtsextremismus zum Dauerbrenner in Europa geworden.
In Zukunft wird die Erhaltung und Stabilisierung des Westens, der Kampf gegen Parallelgesellschaften, Islamismus und Antisemitismus an oberster Stelle stehen. Für eine Weile wenigstens. Und das hat ziemlich prosaische Gründe. Es hat damit zu tun, dass für die meisten Menschen der Westen Wohlstand bedeutet. Weil die Leute berechtigte Furcht vor der Verarmung durch linksgrüne Energiepolitik und vor Islamisten haben, wählen sie die AfD und das BSW. Denn beides, der Ausstieg aus der Kernenergie und die Flüchtlingspolitik, wurde von den etablierten Parteien beschlossen und eingeleitet.
Von der katastrophalen Wirtschafts- und Energiepolitik der aktuellen Regierung sind fast alle Staatsbürger und viele der hier seit Jahrzehnten lebenden, Steuern zahlenden Ausländer betroffen. Und es sind im vergangenen Jahrzehnt zu viele Menschen von arabischen und muslimischen Flüchtlingen ermordet und zu viele Frauen von ihnen vergewaltigt worden, als dass es sich eine Regierung länger leisten könnte, nach einer empathielosen Pflichtbekundung des Beileids und Bedauerns auf X (vormals Twitter) zur Tagesordnung überzugehen.
AfD und BSW haben nicht deshalb Hochkonjunktur, weil sie den Wählern etwas anzubieten hätten – im Gegenteil, außer einer Abkehr vom Westen, dem Flüchtlingsthema und der Frontstellung gegen die wokeness, die sich ohnehin im Abwärtstrend befindet, haben die nichts im Gepäck und schon gar kein auf der Bundesebene vorzeigbares, ministrables und fähiges Personal, das etwas zustandebrächte –, sondern weil die etablierten Parteien die Probleme nicht anpacken, die sie selbst verursacht haben, und die den Wählern hierzulande unter den Nägeln brennen. Packt die CDU/CSU die Migrationspolitik, die Energie- und Wirtschaftspolitik und eine möglichst antiwoke Bildungspolitik mit einer klaren und für alle vernehmbaren Abkehr von der Merkel-Ära an, hat es sich bald ausgeweidelt, auschrupallat und ausgewagenknechtet.
Jesus war Jude
Und viele Menschen in Deutschland und Europa wollen Heimat. Ich persönlich kann damit nichts anfangen, sehe darin aber, wenn man es richtig anpackt, eine Chance: Produkte, Technik, Lebensmittel, Buchdruck, Wissenschaft, Kunstwerke, Baudenkmäler, Erfindergeist, Handel, Wandel mit allen hellen und tiefdunklen Facetten jeweils vor Ort, ohne Nationalismus, aber mit viel Sinn für die Verbindung zur großen weiten Welt, zwischen dem jeweiligen Hier und einem fernen Dort gescheit miteinander zu verknüpfen, erscheint mir vielversprechend. Da wäre eine Menge drin. Vor allem mit Israel.
Jeder hat einen Computer und jeder Computer hat Komponenten, die in Israel erfunden wurden und dort hergestellt werden. Das Ganze kann man mit der hebräischen Bibel verbinden, in der Freiheit bekanntlich eine große Rolle spielt. So kann man High-tech und Geschichte, Archäologie (Wissenschaft und ihre aktuellen Methoden), dann die zehn Gebote, die ja so etwas wie eine Verfassungsgrundlage für die westliche Welt sind, miteinander verknüpfen. Es gibt keine Gefühle, keine Gedanken und kaum einen Plot in der Belletristik, im Film, in der Musik und in weltbewegenden Kunstwerken, die nicht auf irgendeine Weise Vorläufer in den vielen, vielen Geschichten der Bibel hätten, zumindest nicht in der westlichen Welt.
Es geht schon mit Adam und Eva, der Verführbarkeit, Strafen, Verbannung und Normen los, dann mit Abel und Kain weiter, der Eifersucht, dem Neid, der Missgunst, dem Totschlag und der Schuld, wird mit Moses, Miriam und Aaron noch verwickelter und mit dem Ehebrecher David noch besser, dessen Mutter Ruth zu allem Überfluss auch noch eine Schickse war … Die Epen und Dramen der Griechen sind gleichfalls nicht von schlechten Eltern. Die braucht man, weil die alten Israeliten nicht zur See fuhren, kein Theater spielten und nicht bildhauerten.
Jesus war Jude und so hat man auch das Neue Testament und mit ihm die Römer im Rucksack. Das Neue Testament sollte man einfach besser zu lesen und zu verstehen lernen, damit man die Judenfeindschaft irgendwann in den Griff bekommt. Der Humanismus lässt sich aus der leider oft missverstandenen „Gottesebenbildlichkeit“ des Menschen ableiten, und die Renaissance begann damit, dass der Mensch, sein eigenverantwortliches Handeln und die mit dem Scharia-Islam unvereinbare menschliche Gesetzgebung in den Mittelpunkt traten. Das sind die Grundlagen des Orients und des Okzidents, Europas und Amerikas, kurzum des Westens, aus denen sich alles Weitere ergeben hat. Zum Westen sind nach 1945 Japan, Südkorea und Taiwan gestoßen und irgendwann wird das vermutlich auch Indien tun, das seit langem auf dem Weg dahin ist.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf sylke-kirschnick.de
Für unsere Rubrik „Achgut zum Hören“ wurde dieser Text professionell eingelesen. Lassen Sie sich den Artikel hier vorlesen.
Sylke Kirschnick hat über Orientalismus, deutsche Kolonialgeschichte, jüdische Schriftsteller und Judenfeindschaft geschrieben.