Demokratie-Infarkt? Nein, schon längst Herzstillstand! Da helfen nur noch ein paar kräftige Elektroschocks!
Wir sollten am 24. September die Notbremse ziehen!
Mir klingt noch das Gejohle der Parlamentarier in den Ohren, als Erika Steinbach in ihrer letzten Rede vor dem “Hohen Haus” darauf hinwies, dass dies ihre letzte Rede sei. Die Abgeordneten, denen es doch eigentlich ein Herzensbedürfnis sein müsste, andere von ihren eigenen Idealen zu überzeugen, klopften sich auf die Schenkel und johlten darüber, dass von nun an für den Rest der Legislaturperiode die friedliche Harmonie im Parlament durch keine Störenfriede mehr getrübt sein würde. Das war eine volkskammerreife Szene. Der Gipfel war dann die Reaktion von Lammert auf die Rede von Steinbach. Es wird Zeit, dass dieses Parlament sich auflöst oder endlich in Volkskammer umbenennt.
Der Infarkt ist da, und er wiegt schwer. Immerhin: am 24.09. gibt’s eine “Bluttransfusion” mit “10% plus X” für eine echte Opposition.
Mit dem Infotainment tun wir uns in der Tat schwer, da steht wohl eine spezifisch deutsche Ernsthaftigkeit in politischen Fragen, vor allem aber das Bemühen, es allen recht zu machen und keinem weh zu tun, im Wege. Das Resultat ist so unerträglich wie das bartbegränzte Antlitz des angeblichen “Kanzlerkandidaten”. Der spezifische Deutsche mag es eben nicht, wenn sich die Politiker streiten. Worüber auch? Es gibt doch nur eine Wahrheit. Das Richtige. Das Richtige, das man tun muss. Und das Falsche, das man lässt. Die Vorstellung, dass alles fallibel ist (sogar die Aussage, dass alles fallibel sei), ist uns spezifizierten Deutschen eben wesensfremd. Diskurse mögen wir nicht. Weder in der Theorie noch in der Praxis. Wir streben einen totalen und allgemeinen Religionsfrieden an, einen Frieden, der alle Dychotomien überwindet, der alle Dillemata auflöst, der das Unvereinbare vereinbar macht, vor allem: der uns uns selbst ertragen läßt. Wenn man so will: Diese hohle und sinnlose Geschwätz ist die Heimkehr des Deutschen zu seiner spezifisch deutschen Denk- und Sprechkultur. Widerborste sind eben undeutsch. Deutsch ist die Harmonie, das “Einssein” mit sich selbst, der Arbeiter, der seiner Arbeit nicht “entfremdet” wird, die “gute deutsche Marken-Butter”, die eben echte Butter ist und nichts anderes, das Streben nach Eigennutz kann daher niemals gemeinnützig sein, wer aus der Reihe marschiert, die immer noch fest geschlossen sind, wird abserviert, wobei “links” und “rechts” schon damals, aber erst recht heute, keine Gegensätze sind, sondern bloß andere Worte für die gleiche Sache. Die wahren Gegensätze, die zwischen Freiheit und Unfreiheit, zwischen notwendiger Ordnung und individuellem Streben nach Glück, zwischen Staatsvergottung oder Autonomie des Individuums müssen in den Debatten also ausgespart werden, die Wirklichkeit mit ihrem unauflöslichen Widersprüchen bleibt außen vor. Von daher sind diese beiden totalidentischen Gestalten die wahren Repräsentanten eines Volkes, dessen größte Dichter und Denken an ihm traditionell und sehr spezifisch deutsch seit jeher verzweifelt sind.
Das ist ein schwieriges aber auch verführeisches Bild, Demokratie als etwas Lebendiges zu nehmen. Da kann Trauer aufkommen. Wenn man von Kräften redete, die da wirksam sind, zuweilen in verschiedene Richtungen oder gegeneinander, kann man leichter Akteur bleiben und den Kräften Wege freimachen oder verstellen.
Die Aufgabe des Berliner-Volkskongresses besteht darin, nach vorheriger Parteienabsprache das Kanzler* zu wählen. Danach müsste er für 4 Jahre nicht mehr zusammentreten, da es nichts zu entsheiden gibt.
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