Chaim Noll / 17.11.2017 / 10:38 / Foto: Stefan Strumbel / 12 / Seite ausdrucken

Lagerfeld hat sich für die Juden in Deutschland eingesetzt

Karl Lagerfeld hat meinen Beistand nicht nötig, er ist erfahren genug im Umgang mit der Hydra Öffentlichkeit. Mir geht es um die, für die er sich indirekt eingesetzt hat: die Juden in Deutschland. Die Juden in Deutschland sind eine kleine, marginale Gruppe. Von den pompösen Gedenkfeiern abgesehen – die eher der deutschen Schuldpflege dienen – kümmert sich kein Mensch um sie. Das neue Deutschland hat ihnen grandiose Synagogen gebaut, zum Zeichen der Besserung, für die alten, die in einer fast vergessenen Vorzeit angezündet worden sind. Auch diese Synagogen sind oft nur Kulisse. Falls es dort Gottesdienste gibt, finden sie unter Polizeischutz statt.

Im politischen oder kulturellen Leben spielen die deutschen Juden eine unerhebliche Rolle. Ihr Zentralrat ist subventioniert und weiß es durch dezentes Auftreten zu würdigen. Von Henryk Broder abgesehen wagen sich wahrnehmbare Stimmen kaum hervor. Sie haben keine Lobby in den mächtigen Gruppen des Landes. Keine deutsche Partei riskiert jüdische Mitglieder unter ihren Top-Kandidaten, vielleicht saß mal irgendwann ein Jude im Bundestag oder durfte in einer Feierstunde reden, doch es gab noch nie einen jüdischen Minister (wie es in Frankreich, Großbritannien, sogar in der Ukraine selbstverständlich ist), und es wird wohl sobald auch keinen geben.

Ich denke, das hatte Lagerfeld im Sinn, als es unfair nannte, Hunderttausende Menschen ins Land zu holen, denen von Kindheit an tiefe Judenverachtung anerzogen wurde. Man hat dadurch die Zahl der in Deutschland lebenden Antisemiten beträchtlich erhöht. Und die schon vorhandenen deutschen Antisemiten ermutigt. Folglich die Situation für die ohnehin schwachen deutschen Juden spürbar verschlechtert. Das war sicher nicht der Zweck der Massen-Einholung, aber ein Nebeneffekt, der niemanden störte. Juden dürfen gern wieder in Deutschland leben, doch sie können keine besondere Rücksicht erwarten. Lagerfeld findet, man hätte Rücksicht nehmen müssen. Eine Ermessensfrage. Wie die, ob es für Kuwait Airlines „zumutbar“ ist, Juden als Fluggäste an Bord zu lassen.

Foto: Stefan Strumbel CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

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Jaco Sandberg / 17.11.2017

Ich begrüße es, dass sich überhaupt jemand für Juden in Deutschland einsetzt. Schlimm finde ich, dass diese angebliche Willkommenskultur 2015 gar nichts mit Verfolgten zu tun hatte, sondern vielmehr mit der Schuld der Deutschen, die man ein für alle Mal tilgen wollte. Und im Windschatten dieser angeblich so humanitären Tat sind nun sehr viele ins Land gekommen, die einen ausgeprägten Antijudaismus/Antizionismus mit ins Land bringen.

Peter Swoboda / 17.11.2017

Der neu hinzugekommene Antisemitismus ist mindestens genauso unerträglich wie der bereits Existierende in Deutschland. Dummheit ist eben einfach nicht auszurotten.

Heiner Mücke / 17.11.2017

Bei Kuwait Arlines ging es nicht um Jude oder nicht, sondern darum, dass es sich um einen israelischen Staatsbürger gehandelt hat. Hätte Kuwait Airlines diesen Passagier befördert, hätte sie sich nach kuwaitischem Recht strafbar gemacht. In diesem Sinne ist der Vorgang duchaus nachvollziehbar. Nicht Kuwait Airlines ist die Angelegenheit anzulasten sondern den in der Tat diskriminierenden Gesetzen des kuwaitischen Staates.

Karl Anders / 17.11.2017

Als Deutschlehrer in sog. Integrationskursen kann ich den verbreiteten Antisemitismus nur bestätigen. Kollegen wurden angewiesen, doch das Thema Holocaust (Teil des Curriculums, in Form eines “Orientierungskurses”!) nur noch kurz zu besprechen - aus Sorge um Konflikte. Der einmonatige Kurs dient „der Vermittlung von Kenntnissen der Rechtsordnung, der Kultur und der Geschichte in Deutschland“ (BAMF) und packt “heiße Eisen” an: Nationalsozialismus, Gleichberechtigung, “Ehe für alle” usw.. Kollegen verzichten sogar ganz auf das Thema, wegen Kommentaren wie “6 Millionen? Toll, wie habt ihr das geschafft?”. Noch bedenklicher ist die erschreckende Naivität vieler Kollegen: wenigen ist bewusst, aus welchen Kulturen ihre Schüler stammen, Antisemitismus in der arabischen Welt ist ihnen neu - wie sollten sie das auch ahnen, viele der neuen Lehrer haben doch Kultur- oder Sozialwissenschaften studiert, das ist die besondere Ironie.  Anderen Kollegen wiederum ist das Problem sehr bewusst, sie verweisen also gerne auf die “Lage” in Nahost, ziehen die “Fluchtgeschichte” der Teilnehmer als Grund heran, eventuell haben sie ja Vertreibung erlebt etc.pp.. Eine anwortete mir in schönstem “Soziologensprech”: sie sei “nach wie vor überzeugt, dass nicht alle, aber etliche durchaus in der Lage sind, eigene Rassismen z.B. gegenüber Juden zu reflektieren.” Auch das Niveau der Auseinandersetzung gibt Anlass zur Sorge: Lagerfeld wird vorgeworfen, er sei ja schließlich auch bei Chanel angestellt, “fest in jüdischer Hand”, mir wurde “Populismus”, rechtes “Gedankengut”, “Rassismus”, AfD-Wählerin zu sein usw. vorgeworfen, als ich auf diese Umstände hinwies. Letzten Endes wählte ich dann allerdings wirklich die AfD, mit Bauchschmerzen, aus Protest, aber auch, weil ich zuvor ernstzunehmende AfD-Mitglieder und Interressierte getroffen habe, nicht wenige waren Lehrer, Islamwissenschaftler, Einwanderer aus Israel, Chile, Italien, Polen…

Diana Kennedy / 17.11.2017

Selten eine treffendere Analyse gelesen. Ohne Pathos, ohne Hysterie, einfach nur eine Bestandsaufnahme der Situation. Danke für diesen Text.

Christa Christiansen / 17.11.2017

stimmt, bei der Wähler-Akquise sind Deutsche jüdischen Glaubens eine zu vernachlässigende Größe, außerdem werden sie weder als gewaltbereit und leicht erregbar angesehen, noch sehen sie sich als Mittelpunkt des Universums oder gieren gar nach ständiger medialer Aufmerksamkeit oder nach schulischen und universitären Gebetsräumen weswegen auch keinerlei Rücksicht auf ihre Befindlichkeiten genommen werden muss - traut sich gar ein Schüler, seine Religion öffentlich zu machen, muss er sogar auf Schulen mit Schwerpunkt “gegen Rassismus” oder mit “Courage” damit rechnen, gemobbt, bedroht, beleidigt zu werden, um dann letztendlich um des Schulfriedens willen, gebeten zu werden, die Schule zu verlassen. Das ist Deutschland heute

Frank Holdergrün / 17.11.2017

Jeder aufgeklärte Mensch, der die Grundlagenwerke des Islam studiert hat sowie Länder betrachtet, in denen Muslime in der Mehrheit sind, müsste wissen, was mit einem Gläubigen los ist, der diese Religion verinnerlicht hat und anwendet. Ungläubige werden verachtet und als abscheulichste aller Wesen bezeichnet, Juden ganz besonders herabgewürdigt. Karl Lagerfeld hat mich mit der deutschen Intelligenz wieder ein wenig versöhnt und seine Aussage wird eine Zäsur sein im weiteren Gang der Geschichte. Supertolerante Deutsche wollen das Gute übermächtig und sind blind für die Rückkehr in 33-45 Zeiten. Niemals werde ich persönlich diese Entwicklung akzeptieren und ich weiß, dass sehr viele anderen ebenfalls dagegen halten. Dies hat soeben erst begonnen und durch die Flüchtlingskrise kommt vieles zum ersten Mal überhaupt an die Oberfläche. Danke in jedem Fall, Karl Lagerfeld!

Heinrich Rabe / 17.11.2017

Sehr geehrter Herr Noll, bitte erwarten Sie vom Deutschland des Jahres 2017 keine sittliche Reife, Geschichtsbewußtsein oder Verantwortung. Die meisten Migranten sind weder böse noch aus sich selbst heraus kriminell. Sie sind aber mehrheitlich unterausgebildet bis hin zum funktionalen Analphabetismus, mit Judenverachtung aufgewachsen und soziokulturell maximal entfernt von der deutschen Gesellschaft, wie sie heute ist. Ähnlich sind die meisten “schon länger hier Lebenden” weder dumm noch aus sich selbst heraus suizidal. Sie sind aber mehrheitlich ohne jede eigene Erfahrung mit Bedrohung, Verfolgung und Gewalt, von den Umständen verwöhnt, weltverbesserlich ohne Verständnis für Zahlen oder Machbarkeit, vertrauensselig bis hin zu schrankenloser Naivität und soziokulturell deutlich entfernt von der Einwanderergesellschaft, wie sie schon heute an vielen Stellen ist und in einigen Jahren flächendeckend sein wird. Es gibt außerhalb der noch einigermaßen gefestigten bürgerlich-liberalen Soziotope keine Quellen für kulturelle oder soziale Resilienz, keinen Maßstab und keine gesellschaftliche Idee über das Heiteitei des Offenen, Weltrettenden und Bunten hinaus. Man kann das bedauern oder beklagen, muß es aber für das zukünftige eigene Handeln so zur Kenntnis nehmen.

Bernhard Maxara / 17.11.2017

Überhaupt wird es höchste Zeit für einen breiten Diskurs zur Aufarbeitung des linken Antisemitismus von Stalin über die RAF bis hin zur Gedankenlosigkeit und Indifferenz des Gutmenscheninfantilismus von 2015. Gerade in Deutschland gehört jedem Asylsuchenden gleich bei der Einreise unter anderem ein Hinweis zur Unterschrift vorgelegt, daß Antsemitismus hierzulande nicht geduldet und mit unverzüglicher Ausweisung geahndet wird. Vor dem Hintergrund des in diesem Artikel sehr richtig Beschriebenen wird die großmäulige Erhebung der Beziehungen zu Israel zur “Staatsräson” zur unverschämten Heuchelei, wenn erklärte Feinde der Juden zu Abertausenden unkontrolliert ins Land gelassen werden.

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