Gibt es ein Leben nach dem Diesel? Natürlich. Gibt es ein Leben nach dem Auto? Klar doch. Aber wie könnte es aussehen? Ich kenne da zwei Gegenden, in denen das längst ausprobiert wird: Spiekeroog und Bermuda. Wo sollte so ein Versuch auch stattfinden, wenn nicht auf kleinen Inseln, in deren Abgeschiedenheit Experimente möglich sind, ohne großen Schaden anzurichten. Man denke nur an die Ostseeinsel Riems, auf der eine der ältesten Virus-Forschungsstätten beheimatet ist, das Friedrich-Loeffler-Institut.
Wer den autofreien Virus in seiner deutschen Ausprägung erleben will, kann zwecks Feldforschung auf die Nordsee-Insel Spiekeroog übersetzen, die Wolfgang Röhl hier vor einiger Zeit beschrieben hat als „grüne Urlaubshölle von Bollerwagen-Ziehern, Bachblüten-Fans und Jutebeutel-Enthusiasten“. Auch für die weitere Schilderung dieses Ortes möchte ich Röhl in Anspruch nehmen, weil man das einfach nicht besser bringen kann:
„Bereits auf den Fährschiffen schaudert es einen beim Anblick der hageren Anthroposophen-Gestalten mit ihren Birkenstock-Sandalen und Basic-Biofood-für-alle-Beuteln im Gepäck. Ungezählte Muttis und Pappis, unablässig und für alle Welt vernehmbar mit der Aufzucht von Lukas, Kim, Emma und Malte-Torben beschäftigt, durchstreifen die Gassen der einzigen, durchaus hübschen Ortschaft auf der Suche nach Bioläden, Kreativkursen und ökologisch-korrekten Vorträgen.“
Es handelt sich also um eine Filiale von Alcatraz, allerdings im offenem Vollzug.
Aufgrund dieser Schilderung habe ich meine ursprünglich geplante Reise nach Spiekeroog bereits in Hamburg beendet und die Urlaubskasse auf der Großen Freiheit draufgehauen. Die ist zwar ebenfalls autofrei, nicht aber jugendfrei. Außerdem kommt man an diesem Ort auf allerlei kreative Lösungsansätze. Unter anderem dadurch, dass an nebligen Tagen vom nahen Hafen die Nebelhörner der großen Pötte zu hören sind. Deren Dieselmotoren haben 18 Zylinder und leisten so ab 6.000 PS aufwärts. Der Verbrauch liegt bei 30 und mehr Tonnen Rohöl pro Tag, zur Not schlucken sie auch das Altöl aus der Werkstatt oder der Friteuse. Der Tank fasst 600 Tonnen.
Falls die "Deutsche Umwelthilfe" die Hamburger Dieselautos abmurkst, sollten Pendler ihren Golf-Diesel flugs gegen ein Containerschiff eintauschen. Das ist im innerstädtischen Verkehr von Hamburg legal, auch ohne Filter. Fahrverbote gelten ja nur für Autos, nicht für Schiffe. Einen gebrauchten Hochsee-Kahn gibts schon so ab 500.000 Euro; er ist damit für Fahrgemeinschaften durchaus erschwinglich.
Mein Traum wäre übrigens, auf einem solchen Schiff mit der "Achse des Guten" einen Piratensender zu installieren, wie in den 60er-Jahren Radio Caroline. Man bräuchte lediglich einen guten Koch, Herr Broder gilt da als wählerisch. Bis es soweit ist, mache ich mich jetzt gedanklich auf eine Seereise. Und zwar ins bereits erwähnte Bermuda, das mir seit einem Besuch vor längerer Zeit in lebhafter Ertinnerung geblieben ist.
Die Inselgruppe zählt zum Überseegebiet des Vereinigten Königreichs. Kreativkurse sind dort etwas seltener, dafür gibt’s an jeder Ecke Golfkurse. Bermuda besteht nämlich im wesentlichen aus Golfplätzen, auf denen sich steuerflüchtige Millionäre tummeln. Eine Gesellschaft mithin, die nicht dem Ideal des Dritte-Welt-Ladens entspricht, aber meinen Vorstellungen einer angenehmen Umgebung näher kommt. Der Unterschied zwischen Spiekerog und Bermuda entspricht in etwa dem zwischen Anton Hofreiter und Boris Johnson, beide irgendwie irre, der Brite aber auf deutlich höherem Niveau.
Omis werden in der Regel ausgestopft
Die Bermudas sind ebenfalls verkehrsberuhigt, allerdings nicht ganz autofrei, sondern nur fast. Auf den Golfplätzen fahren elektrische Carts umher, ansonsten ist lediglich ein Auto pro Haushalt erlaubt. Nur wer eine Küche vorweisen kann, darf sich eine Benzinkutsche zulegen. Omis und Opas werden im Regelfall mitsamt ihrer Küche ausgestopft, auf dass der Anspruch auf ein Automobil gewahrt bleibe. Touristen dürfen nur Mopeds mieten. Aber das ist nur scheinbar eine Einschränkung.
Zumindest in meinem Fall erweckte ein Yamaha-Moped die schönsten Jugend-Erinnerungen an jene Zeit, als ich die Faszination für Verbrennungsmotoren und Schräglage entdeckte. Wobei die jungen Bermudianer, besonders die mit afrikanischen Wurzeln, einen ganz besonderen Fahrstil entwickelt haben. Man könnte ihn afrozentrisch nennen. Und das geht so: Man setze sich ganz weit hinten auf die Sitzbank und zwar nur mit der linken Gesäßhälfte. Der Lenker wird nur vom rechten Arm gehalten, wobei der Ellenbogen weit nach unten zeigen muss. Dies visualisiert die ganz offene Drosselklappe. Jede Bewegung des Gasgriffs wird zu einem dramatischen, für jeden sichtbaren Stakkato im Arm. Die Geschwindigkeit darf nicht kontinuierlich, sondern nur durch rhythmischen Wechsel zwischen Leerlauf und Vollgas geregelt werden. Zu empfehlen ist weiterhin eine leichte Windjacke, die sich schon bei geringem Tempo im Rücken mächtig aufbläht.
Einige dieser Jungs würden Spiekeroog absolut gut tun, insofern bin ich total für Zuwanderung. Ich habe die bermudianischen Mofiosi beobachtet und fleißig geübt. Nach ein paar Tagen hatte ich den Bermuda-Fahrstil voll drauf und durfte als voll integriert gelten.
Und nun trage ich mich mit dem Gedanken, den Fahrstil nach Deutschland zu importieren, minus Linksverkehr natürlich. Gleichzeitig beabsichtige ich diesen ganzen Spaßbremsen eine lange Nase zu drehen. Und jetzt aufgepasst: Wenn es irgendwo eine sinnvolle Art und Weise gibt, elektrisch herum zu fahren, dann ist es nämlich per Elektromotorroller – vor allem natürlich in der Stadt. Seit ich in Peking und Shanghai diverse Eletroroller-Verkaufsgeschäfte besucht habe, bin ich da voll angefixt.
140 Millionen Chinesen können nicht irren. Im Reich der Mitte und vielen anderen asiatischen Ländern kommt auf zehn Einwohner mittlerweile ein Elektroroller. Und jedes Jahr werden weitere 30 Millionen produziert. Die Dinger verkaufen sich wie warme Frühlingsrollen, ohne Quote, ohne Zwang, einfach weil es praktisch und preiswert ist und obendrein Spaß macht. Schneller ist man ohnehin, weil man keine Stunden mit der Parkplatzsuche zubringt. Elektroroller sind auf den Bürgersteigen von Shanghai oder Peking gleichsam Stapelware, Fachkräfte schichten sie gekonnt aufeinander.
Elektrische Scooter sind die meistgebauten Kraftfahrzeuge der Welt
Man glaubt es kaum: Elektrische Scooter sind inzwischen die am meisten produzierten Kraftfahrzeuge der Welt, in Asien konkurrieren mittlerweile 2.600 verschiedene Hersteller miteinander. Die deutsche Autoindustrie hat diesen Markt verpasst, weil sie offenbar außerstande ist, über Fahrzeuge unter 10.000 Euro auch nur nachzudenken (vielleicht können sie aber auch nicht mithalten, weil es die Dinger in Asien ab 300 Euro gibt). Und die hiesigen Oberlehrer und Volkserzieher haben den Trend nicht gerafft, weil sie nicht in der Lage sind, über etwas anderes als Verbote und Zwangsmaßnahmen nachzudenken.
Ich schwanke jetzt eigentlich nur noch bei der Auswahl des Modells: West-Nostalgiker dürften mit dem Roller von Unumotors richtig liegen, weil er grob an die gute alte Vespa erinnert und nur etwa 1.800 Euro kostet. Ost-Nostalgiker und Berlin-Hipster können hingegen zur elektrischen Schwalbe greifen, die aber mit fast 7.000 Euro ein bisschen teuer ist. Die einzige Frage, die mich jetzt noch beschäftigt lautet: Woher kriege ich ein gescheites Geräusch? Ich will ja nicht mit einem elektrischen Entsafter durch die Gegend düsen, obwohl es sich dem Wortsinn nach ja tatsächlich um einen solchen handelt.
Von dem italienische Künstler Filippo Tommaso Marinetti ist aus den Kindertagen des Automobils der Ausruf überliefert: "....ein brüllendes Auto, das einem Maschinengewehr gleicht, ist schöner als die Nike von Samothrake". Das Ganze fand dann im „futuristischen Manifest“ von 1909 seinen Niederschlag. So ein Satz dürfte ein Schriftsteller, der etwas auf sich hält, heute natürlich nicht mehr schreiben. Lärmende Autos sind out und Maschinengewehre gelten auch nicht mehr als der letzte Schrei. Die humanistische Bildung hat ebenfalls nachgelassen und die Nike von Samothrake ist uns nur noch als Namensgeberin für amerikanische Turnschuhe geläufig. Aber das Geräusch eines Verbrennungsmotors ist nach wie vor was Feines. An meinem Haus kommt jeden Mittag gegen 12 Uhr eine Harley mit offenem Auspuff vorbei, ich warte schon darauf, weil das meinen Tag strukturiert. Den Rest erledigen die drei Kirchen, die in unmittelbarer Umgebung die Glocken läuten, gelobt sei Bayern.
Es wird hoffentlich nicht mehr lange dauern, bis die Sounddesigner elektrischen Fahrzeugen den Sound verpassen, den der Besitzer gerne hätte. Der kommt dann eben aus dem Lautsprecher. Ferrari oder Porsche, Ducati oder BMW? Wer will, kann auch die Glocken des Kölner Doms wählen oder den Muezzin von Neukölln. Das kann man dann einstellen wie den Klingelton beim Mobiltelefon. Um die Grünen zu beruhigen, schlage ich dann noch eine obligatorische Energiespar-Vertonung vor: Jedesmal wenn der Fahrer voll aufdreht, rauschen akkustisch fünf Liter durch eine imaginäre Toilettenspülung.