Ulrike Stockmann / 22.01.2023 / 11:00 / Foto: Pete Souza / 52 / Seite ausdrucken

Gwen Stefani und die Feinde der Begeisterung

Die Japanliebe der Sängerin Gwen Stefani ist hinlänglich bekannt. Eine philippinisch-stämmige Journalistin entlockte ihr gerade im Interview den Satz, sie sei eine Japanerin. Es folgte weltweite Empörung wegen kultureller Aneigung. Warum nicht gleich die Begeisterung für etwas verbieten, das anders ist als man selbst?

Gwen Stefani (oben im Bild mit Barack Obama) ist als Sängerin und ehemalige Frontfrau der Rockband „No Doubt“ weltberühmt. Ebenfalls bekannt ist ihre Japanliebe, vor allem ihre Begeisterung für die japanische Subkultur Harajuku, die ihren Ursprung in einem gleichnamigen Tokioer Stadtviertel hat, das für seine phantasievolle Mode (vor allem im Cosplay-Style) bekannt ist. Ihre Bewunderung zu Japan brachte sie besonders ausgiebig auf ihrem Debüt-Soloalbum „Love. Angel. Music. Baby“ zum Ausdruck, das 2004 erschien. Als Jugendliche hörte ich dieses Album rauf und runter und erinnere mich zum Beispiel noch sehr gut an den Song „Harajuku Girls“, in dem Stefani besagter Subkultur huldigt und unter anderem singt: „Harajuku girls / you got the wicked style / I like the way that you are / I am your biggest fan, oh“ (Harajuku-Girls / Ihr habt einen verruchten Stil / Mir gefällt eure Art / Ich bin euer größter Fan“).

Ähnlich begeistert wie ich war offenbar auch die US-Autorin Jesa Marie Calaor von Gwen Stefani und ihrem damaligen Album. Calaor erinnerte sich kürzlich in einem Beitrag für das Magazin Allure daran, wie sehr sie sich als Tochter philippinischer Einwanderer über die „asiatische Repräsentation in der Popkultur“ durch Stefani gefreut hatte. Die Sängerin brachte vier Jahre später ihre Harajuku-Parfüm-Kollektion heraus, bestehend aus fünf verschiedenen Flakons, die jeweils Stefani und ihre vier japanischstämmigen Background-Tänzerinnen (auf die Namen „Love“, „Angel“, „Music“ und „Baby“ getauft) in Puppengestalt darstellten. Calaor erinnert sich daran, wie sie vergeblich versuchte, ihre Mutter davon zu überzeugen, ihr eine dieser Parfümflaschen zu kaufen. Die Autorin „wollte unbedingt dieses kleine Parfümfläschchen auf meiner Kommode haben, weil es mir das Gefühl gab, auf eine Art und Weise gesehen zu werden, die ich in der Mode- oder Schönheitsbranche oder in den Mainstream-Medien oder im Marketing nie hatte“. Aber: „Dass die Frau hinter dieser asiatischen Darstellung weiß war, habe ich ehrlich gesagt nicht in Frage gestellt und auch nicht wirklich registriert.“

„Mein Gott, ich bin Japanerin und wusste es nicht“

Als Erwachsene sei das nun anders und als Calaor kürzlich ihr früheres Idol interviewte, fragte sie Stefani, was sie durch ihre Harajuku-Phase gelernt hätte – bezüglich Lob, Kritik und „allem, was dazwischen liegt“. Stefani erwiderte, dass sie von Japan schon als Kind fasziniert gewesen sei, weil ihr Vater für Yamaha arbeitete, jahrelang zwischen Kalifornien und Japan pendelte und regelmäßig mit faszinierenden Geschichten von Elvis-Cosplayern und Frauen mit bunten Haaren nach Hause zurückkehrte. Stefani berichtete der Journalistin: „Das war mein japanischer Einfluss, eine Kultur, die so traditionsreich und doch so futuristisch ist, mit so viel Liebe zur Kunst, zum Detail und zur Disziplin, und das hat mich fasziniert.“ Und schließlich sagte Stefani im Interview mit Calaor, als sie erzählte, wie sie als Erwachsene selbst nach Harajuku reiste: „Ich sagte mir: ‚Mein Gott, ich bin Japanerin und wusste es nicht.'“ Ein liebervoller und harmloser Satz einer exzentrischen Künstlerin, die die Quelle ihrer Inspiration zu erklären versucht.

Calaor jedoch konstruierte daraus einen Fall kultureller Aneignung. Sie ahnen den Tenor: Es geht natürlich darum, dass Stefani von den heiteren Seiten der japanischen Harajuku-Kultur (wirtschaftlich) profitierte, ohne im Gegenzug die Rassismus-Erfahrung zu teilen, die die Autorin Calaor angibt, erlebt zu haben. Kurz, die Anklage lautet auf „kulturelle Aneignung“. Hatte sich Stefani nur versprochen, fragte sich Calaor. Nein, die Sängerin sagte ganze zweimal im selben Interview, sie sei Japanerin und verstieg sich dann zu einer noch schockierenderen Aussage: Sie sei eine Mischung aus einem Orange-County-Girl (Teil von Südkalifornien), einer Japanerin und einer Engländerin. Um das Ganze noch verrückter zu machen, erklärte die unerschrockene Stefani gleich noch mit, sie identifiziere sich außerdem mit der hispanischen Kultur, mit der sie in Kalifornien aufgewachsen sei. Da half auch nicht, dass sie es vermutlich nicht wörtlich meinte und sich hinterher auch noch ein Sprecher bei der Redaktion meldete und bekräftigte, es handele sich um ein Missverständnis.

Frauenmagazin oder schon die roten Khmer

Die überforderte Autorin Calaor konsultierte daraufhin Dr. Fariha I. Khan von den Asiatisch-Amerikanischen Wissenschaften an der Universität Pennsylvania, um die Linie zwischen Inspiration und Aneignung zu definieren. Laut Dr. Khan werde die Inspiration zur Aneignung, wenn eine Kommerzialisierung sowie ein ungleiches Machtgefälle bei der kulturellen Übernahme vorliege. Natürlich ist Stefani demnach als weiße Amerikanerin, die mit ihrer Kunst Millionen verdient hat, eindeutig schuldig zu sprechen.

Und die Therapeutin Angela Nguyen vom Yellow Chair Collective, einem Therapiezentrum, das auf die Belange von Amerikanern asiatischer Herkunft spezialisiert ist, pflichtet bei, dass mangelndes Bewusstsein keine Entschuldigung darstelle. Spätestens an dieser Stelle des Beitrags fragt man sich als geneigte Leserin, ob man es noch mit einem Frauenmagazin oder schon mit den roten Khmer zu tun hat. Noch vor wenigen Jahren wäre eine derart inquisitorische Debatte um die im Grunde banale Aussage einer Künstlerin völlig undenkbar gewesen.

Noch absurder erscheint die Tatsache, dass die Äußerung Gwen Stefanis einen Shitstorm und weltweite Schlagzeilen nach sich zog. Diese brachten aufgrund des oft fehlenden Kontextes noch eine ganz andere Dimension ins Spiel: Das bloße Zitat „Ich identifiziere mich als Japanerin“ wirkt auf den ersten Blick fast so, als wolle Stefani in besonders progressiver Weise die Transdebatte auf die Ebene der Herkunft und Ethnie erweitern. Und tatsächlich muss man sich fragen, wie es sein kann, dass Männer Frauen und Frauen beliebig Männer werden können, sich Gwen Stefani aber nicht zur Japanerin erklären können darf. Oder man sich sein gefühltes Alter nicht amtlich beglaubigen lassen kann? Oder anerkennen lassen kann, dass man sich auf diesem Planeten einfach wie ein Alien fühlt. Oder wie eine Katze?

Fest steht, dass man nur verlieren kann, sobald man sich einmal in die Niederungen der Identitätspolitik begibt. Eine schillernde Künstlerin wie Gwen Stefani soll ihre Leidenschaft und Inspiration nicht offen zum Ausdruck bringen dürfen, weil eine kleine, woke Clique die Ausdrucksfähigkeit der anderen einschränken will. Immerhin hat sich Stefani zu den albernen Vorwürfen bislang nicht geäußert. Wie lange ist die Kunst noch frei? Bleibt nur zu hoffen, dass Künstler in Zukunft den Mut finden, dieser Plage für den Geist kreative Freizügigkeit entgegenzusetzen und sich nicht vom Kulturmarxismus vereinnahmen zu lassen. Dann könnte man nämlich gleich ganz verbieten, sich von etwas begeistern und berühren zu lassen, das anders ist als man selbst.

Foto: Pete Souza CC BY 4.0 via Wikimedia Commons

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Leserpost

netiquette:

Matthias Ditsche / 22.01.2023

Ich pflege besonders seit 2015 ganz viel kulturelle Abneigungen. Hoffe, da bin ich immer auf der richtigen Seite.

Karsten Dörre / 22.01.2023

“Ich bin ein Berliner.”

Holger Sulz / 22.01.2023

Die sog. “Kulturszene” ist die wokeste Jauchegrube überhaupt. Nirgendwo sonst dermaßen viel Unsinn, reiner Quatsch, Niedertracht, Bösartigkeit, blanke Dummheit und sterbenslangweilige Öde. Fucked up beyond any repair.

Jochen Grünhagen / 22.01.2023

Bitte nicht über jedes Stöckchen springen, welches uns diese links woken Schreihälse hinhalten.

Wilfried Cremer / 22.01.2023

Wo perverse Aneignung legal ist, sind naive Rollenspiele illegal. Sonst käme der Geschwänzte aus dem Gleichgewicht.

Gus Schiller / 22.01.2023

@George van Diemen: Alles ist kulturelle Aneignung. Von den weißen Adidasschühchen über die -hose bis zur Mütze. Egal ob Auto, Straßenbahn oder Flugzeug. Kino, Radio/TV oder Mobiltelefon. Außer Halal und Kaffee wurde östlich von Wien nach dem 1700 Jahrhundert nichts mehr erfunden oder entdeckt.

Ralf.Michael / 22.01.2023

Quatsch, Sie ist (und bleibt auch) in Japan eine ” Gaijin “. Ich selbst würde Sie wegen des Look`s und Auftretens eher als ” Iteki ” bezeichnen. Punkt !

Manni meier / 22.01.2023

Manche Beiträge der Achse dünken mich der kulturellen Aneignung der Sensations- und Boulevardmedien.

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