Von Wolfram Weimer
Ausgerechnet auf dem Wiener Kahlenberg hat Sebastian Kurz sein Regierungsprogramm vorgestellt. Dort fügten die Europäer 1683 dem osmanischen Heer eine vernichtende Niederlage zu und verteidigten Wien vor den Türken. Demonstrativer kann man sich nicht als europäischer Kulturkämpfer gegen den modernen Islamismus inszenieren.
Die Schlacht am Kahlenberg war ein christlicher Gemeinschaftserfolg deutscher Truppen und polnischer Reiter. Papst Innozenz XI. bekam damals von den siegreichen christlichen Heerführern die erbeutete Fahne des Propheten Mohammed mit den Worten zugesandt: „Venimus, vidimus, Deus vincit” – wir kamen, wir schauten, Gott hat gesiegt.
Da sich Sebastian Kurz bei Amtsantritt in diesen historischen Kahlenberg-Rahmen stellt, weiß der Rest Europas, was man von Wien in den nächsten Jahren erwarten kann. Eine selbstbewusste Wende in der Migrationspolitik: Auf Seite 28 seines Kahlenberg-Programms steht:
„Für illegale Migration, die meist unter Missbrauch des Asylrechts stattfindet, ist kein Platz.” Und auf Seite 39 kann man lesen: „Der politische Islam, der zu Radikalisierung, Antisemitismus, Gewalt und Terrorismus führen kann, hat keinen Platz in unserer Gesellschaft.” Von strengerem Grenzschutz mit außereuropäischen “Rescue Centers” (Seite 35) über Bargeld- und Handypfändungen bis Abschiebungen reicht das Programm. Wer seine Identität zu verschleiern sucht, der wird fortan kurzerhand ausgewiesen. Auf Seite 34 heißt es dazu: „Negative Feststellung von Identitäten, wenn eine positive Feststellung nicht möglich ist.”
Eine markante Absage an Angela Merkels Flüchtlingspolitik
Das Programm ist eine markante Absage an Angela Merkels liberal-großzügige Flüchtlingspolitik. Linke Kritiker schimpfen Kurz bereits „Sebastian Orbán” und wähnen den kollektiven Rechtsruck eines neo-habsburgischen Verbunds Österreich-Ungarn.
In Wahrheit ist Sebastian Kurz weit über Ungarn hinaus eine neue Integrationsfigur der migrationspolitischen Wende. In Warschau, Bratislava, Prag und Budapest ist man ganz regierungsoffiziell froh über die neue Führung in Österreich. Kurz spielt damit von Anfang an die Rolle eines offenen Gegenspielers von Angela Merkel, schon weil die osteuropäischen Visegrád-Staaten die Berlin-Brüsseler Migrationspolitik scharf ablehnen und sich erpresst fühlen. Sie sehen in der Wende Österreichs nun endlich einen Hebel, Angela Merkel einzuhegen – zumal Österreich im zweiten Halbjahr 2018 die EU-Ratspräsidentschaft innehaben wird.
Doch Sebastian Kurz ist für Angela Merkel auch in anderer Hinsicht Problem und Provokation zugleich. Ihre Regentschaft wirkt neben seiner plötzlich morsch und alt. Wo sie als große Verfechterin noch den alten, statischen Korporatismus verkörpert, drängt er als Protagonist der neo-rechten Zeit voran. Mit nur 31 Jahren ist Kurz der jüngste Kanzler in der Geschichte seines Landes und der jüngste Regierungschef Europas.
Er verkörpert das Kommende, Merkel steht für das Scheidende. Dass die Koalitionsverhandlungen in Wien reibungslos verliefen und rasch eine stabile Regierung hervorgebracht haben, während Berlin immer noch im Findungsmodus umherstolpert, verstärkt den Kontrast. Kurz sagte auf dem Kahlenberg daher selbstbewusst: Eine starke, stabile Regierung sei “wenn man nach Deutschland schaut, ja keine Selbstverständlichkeit”.
Eine neo-konservative Zeitenwende in Europa
Kurz hatte schon in seiner Zeit als Außenminister immer wieder Kritik am Kurs der Kanzlerin geübt, vor allem in der Flüchtlingspolitik. Er hatte sich auch offen gegen das von Merkel ausgehandelte Flüchtlingsabkommen der EU mit der Türkei ausgesprochen.
Die sagenhafte Politkarriere von Sebastian Kurz gründet freilich tiefer als nur im Migrationsthema. Sie ist das Ergebnis einer neo-konservativen Zeitenwende in Europa. In allen europäischen Staaten fordert das Bürgertum eine politische Hinwendung zu Sicherheit, Recht, Heimat, Identität, Nation und einer bürgernäheren, liberaleren Staatsidee. Die sozial-paternalistischen Fürsorgestaaten der Parteienoligarchien werden tiefer hinterfragt. Und so steht über dem Kahlenberg-Programm auch ein bürgerschaftlicher Demokratie-Impuls: „Wir müssen der staatlichen Bevormundung ein Ende setzen”, heißt es ebenso lakonisch wie fundamental. Neben dem Anti-Migrations-Kurs stehen darum Steuerentlastungen, Entbürokratisierung, „schlanker Staat”, eine Reform des ORF-Mediensystems und mehr direkte Demokratie oben auf der Agenda.
Und Kurz verkauft alles mit einer charmanten Wiener Höflichkeit, die selbst manchen Gegner entwaffnet. Mit ihm wird die neue Rechte salonfähiger, jünger und programmatischer. Angela Merkel hat frische Konkurrenz aus Wien.