Dass die EKD-Vorsitzende Annette Kurschus jetzt zurücktritt, ist keine schlechte Nachricht. Schon in den letzten Jahren hat sie zu viele Anlässe geboten, die normalerweise das Ende ihrer Amtszeit längst zwingend erfordert hätten. Sie repräsentierte eine deutsche evangelische Kirche, die den politisch vorherrschenden ideologischen Leitlinien treuer folgt als dem Evangelium. Das tat auch ihr Vorgänger und leider wird es vermutlich auch ihr Nachfolger tun.
Der Herr beweist zuweilen eine Art von Humor, die sicher nicht all seinen Gläubigen leicht zugänglich ist. Wenn Kirchenfunktionäre darüber klagten, dass bislang treue Kirchensteuerzahler in steigender Zahl aus der Kirche austreten, dann bewiesen sie bei der Suche nach den Ursachen gern einen ausgeprägten Tunnelblick. Fast die einzigen Gründe, die dem Kirchenpersonal dazu einfielen, waren die Missbrauchsvorwürfe und die erschütternden Berichte über grausame Zustände in kirchlichen Kinderheimen vor etlichen Jahrzehnten. Unbestritten waren das für manch Abtrünnigen auch die entscheidenden Gründe. Da war es im Grunde egal, welcher der vielen Vorwürfe gerade welche Konfession traf – die ganze Gemengelage hat sicher so manches frühere Kirchenmitglied zum Austritt motiviert.
Aber die Masse der Abtrünnigen dürfte es – manchmal vielleicht auch nur neben der Ersparnis der Kirchensteuer – gestört haben, dass die Kirchen immer weniger Kirchen waren, sondern immer häufiger wie Legitimationsagenturen für die herrschende Politik wirkten. Gerade bei umstrittenen Themen, wie beispielsweise der illegalen Massenmigration, Wohlstandsvernichtung im Namen der „Klimarettung“ oder das Aushebeln elementarer Grundrechte in den verschiedenen Phasen des Corona-Ausnahmezustands, gab die kirchliche Obrigkeit der jeweiligen Regierung ihren Segen und machte bei der Ausgrenzung und Diffamierung ihrer Kritiker mit.
Frau Kurschus tat dies zuletzt mit ihrer Äußerung zur Migrationspolitik, als sie erklärte, dass Deutschland noch mehr „Flüchtlinge“ willkommen heißen könne und noch längst nicht überfordert wäre. Die Aufnahme von Migranten hätte „ihre Grenze da, wo es zur Selbstaufgabe kommt“, sagte sie. Sie ließ offen, ob man die Grenze kurz vor der Selbstaufgabe noch selbst ziehen dürfe oder warten müsse, bis sich diese Frage durch Selbstaufgabe selbst erledigt.
Das Haus des Herrn stand nicht mehr allen offen
Diese Aussage hatte für etwas Empörung gesorgt, doch viel schlimmer sind eigentlich andere Aussagen von ihr, die sie für ein Amt in einer christlichen Kirche eigentlich vollkommen disqualifizierten. Im zweiten Winter des Corona-Ausnahmezustands, einen Tag vor Heiligabend, erklärte die EKD-Ratsvorsitzende im Deutschlandfunk, dass man sich eine als Corona-Impfung vermarktete und nicht hinreichend geprüfte Injektion verabreichen lassen müsse. „Es ist eine Pflicht aus christlicher Nächstenliebe heraus“, sagte sie wörtlich, womit sie ungeimpften Christen die Nächstenliebe-Verweigerung vorwarf. Einwände ließ sie nicht gelten, sondern formulierte einen Glaubensgrundsatz:
„Wir wissen, dass eine Eindämmung des Infektionsgeschehens, das sich so rasant zuspitzt, nur über das Impfen letztlich möglich ist und wir wissen auch mittlerweile doch gesichert, dass keine erkennbaren gesundheitlichen Schäden von einer Impfung ausgehen und so halte ich es wirklich für die Verpflichtung eines jeden Menschen, dazu beizutragen, dass wir diese große Gefahr jetzt miteinander abwenden können."
Mittlerweile wissen wir, dass genau das Gegenteil richtig war. Das Impfen half nicht bei der Eindämmung des Infektionsgeschehens und schädigte viele Menschen immens. Darunter vielleicht auch Menschen, denen die Ansage der EKD-Ratsvorsitzenden bei ihrer Entscheidung wichtig war. Hatte Frau Kurschus als gute Protestantin danach eigentlich jemals das Gefühl, mit solchen Äußerungen Schuld auf sich geladen zu haben?
Und wer das damals sagte, was heute Gewissheit ist, und sich deshalb der „Impfung“ verweigerte, sollte ausgegrenzt werden. Ungeimpfte Christen machten mit ihrer eigenen Kirche bis dato unvorstellbare Erfahrungen. Es gab Kirchen, da war Gläubigen ohne den entsprechenden Eintrag im Impfausweis das Betreten der Gotteshäuser untersagt. „2G“ war die Formel, mit der auch zu Weihnachtsgottesdiensten in etlichen Kirchen die Gläubigen nur nach Kontrolle des Impfstatus eingelassen wurden. Das Haus des Herrn stand nicht mehr allen offen.
In ein paar Kirchen boten die Gemeinden den Ungeimpften an, nach einem sogenannten Corona-Test, ins Gotteshaus eingelassen zu werden. Das waren zumindest die Regeln, die die Kirchenobrigkeit verhängte und für die letztlich auch Frau Kurschus mitverantwortlich ist. Gott sei Dank gab es etliche Gemeinden, die die Ausgrenzungsbestimmungen einfach ignorierten.
„In der Sache bin ich mit mir im Reinen“
Es war ohnehin ein verheerendes Signal, als die Kirchen 2020 selbst über Ostern alle Kirchen schlossen. Denn gerade in einer bedrohlichen Krise muss die Kirche für Menschen, die Beistand suchen, offen sein. Auch dann, wenn Corona eine solche Bedrohung gewesen wäre, hätte man die Gotteshäuser nicht schließen dürfen. Da es so gefährlich nicht war, erwies sich die Schließung als unnötig, falsch war sie in jedem Fall. Aber als das entschieden wurde, war sie noch nicht Ratsvorsitzende. Jedoch ist sie, wie das zitierte Interview zeigte, dem Ungeist ihres Vorgängers treu geblieben. Und es steht zu erwarten, dass auch ihr Nachfolger – egal welchen Geschlechts – davon geprägt sein wird.
Die Menschen verlassen die Kirchen, wie gesagt, nicht hauptsächlich wegen der Missbrauchsvorwürfe, sondern weil die Kirche nicht mehr Kirche sein will, sondern ideologische Moral-Agentur, die einem politisch-korrekten Zeitgeist folgt. Man bekommt schnell das Gefühl vermittelt, dass „Klimarettung“ zu den Pflichten eines Christenmenschen zählt und dass Veganer die besseren Christen seien. In so manchem Kirchenblättchen oder Prospekt scheinen sich inzwischen zudem mehr Gendersterne zu finden als christliche Symbole. Solches nervt viele Kirchensteuerzahler und sie verlassen ebendiese Kirche, für die Frau Kurschus stand und steht.
Umso mehr wirkt es wie ein Treppenwitz, dass sie sich nun ausgerechnet wegen eines Missbrauchsfalles zum Rücktritt gezwungen sieht. Sie tritt nicht nur als EKD-Ratsvorsitzende, sondern auch als Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen zurück, wie sie heute auf einer Pressekonferenz erklärte. Der Grund sind bekanntlich staatsanwaltschaftliche Ermittlungen wegen mutmaßlichen Missbrauchs gegen einen ehemaligen Kirchenmitarbeiter, den Kurschus aus früheren Tätigkeiten kenne. Der Beschuldigte soll über Jahre hinweg junge Männer sexuell bedrängt haben. Nach Recherchen der Siegener Zeitung solle Kurschus als Gemeindepfarrerin in Siegen schon Ende der 1990er-Jahre über Vorwürfe sexuellen Fehlverhaltens gegen diesen Kirchenmitarbeiter informiert gewesen sein, diese aber nicht gemeldet haben.
Trotz ihres Rücktritts weise Kurschus weiterhin die Darstellung zurück, sie hätte damals etwas vertuscht, heißt es in Medienmeldungen. „Ich habe allein Homosexualität und die eheliche Untreue des Beschuldigten wahrgenommen“, habe sie gesagt. Ihr Fazit: „In der Sache bin ich mit mir im Reinen.“
Das sieht sie vermutlich in Bezug auf ihren Umgang mit politisch Andersdenkenden nicht anders. Können kritische Noch-Kirchenmitglieder jetzt auf ein Wunder hoffen oder wird wirklich wieder ein vom gleichen Geist beseelter Nachfolger das Amt übernehmen?
Peter Grimm, geboren 1965 in Ost-Berlin, war bis 1989 aktiv in der DDR-Opposition und arbeitet seitdem als Journalist, Autor und Dokumentarfilm–Regisseur. Betreibt u.a. den Blog sichtplatz.de