Cora Stephan / 29.06.2009 / 13:41 / 0 / Seite ausdrucken

Kurras und die gutwilligen Kreise der BRD

Der Fall Kurras beweist am wenigsten dieses: daß die Studentenbewegung „von drüben“ gesteuert worden wäre. Für ihre vollautonomen Irrtümer brauchten sie und ihre Nachfolger keine Nachhilfe. Und er beweist auch nicht, daß die SED samt Schild und Schwert den unzuverlässigen antiautoritären Chaoten große Bedeutung beimaß. Sie waren nicht das primäre Zielobjekt.
Das waren „die gutwilligen Kreise der BRD“, zu denen alle irgendwie empörungsbereiten Menschen zählten, gern unpolitische Idealisten, die an das Gute und Humane glaubten. Junge Leute, die für die Liebe und gegen den Krieg waren und sich von der zähnebleckenden Staatsgewalt tief erschüttert zeigten, als die sie seit dem 2. Juni 1967 die junge bundesdeutsche Demokratie erlebten.

Der Fall Kurras beweist am wenigsten dieses: daß die Studentenbewegung „von drü-ben“ gesteuert worden wäre. Für ihre vollautonomen Irrtümer brauchten sie und ihre Nachfolger keine Nachhilfe. Und er beweist auch nicht, daß die SED samt Schild und Schwert den unzuverlässigen antiautoritären Chaoten große Bedeutung beimaß. Sie wa-ren nicht das primäre Zielobjekt.
Das waren „die gutwilligen Kreise der BRD“, zu denen alle irgendwie empörungsberei-ten Menschen zählten, gern unpolitische Idealisten, die an das Gute und Humane glaub-ten. Junge Leute, die für die Liebe und gegen den Krieg waren und sich von der zähne-bleckenden Staatsgewalt tief erschüttert zeigten, als die sie seit dem 2. Juni 1967 die junge bundesdeutsche Demokratie erlebten.
Der wahre Propagandaerfolg der SED lag hier: ihr Stasi-Agent Kurras hatte es fertiggebracht, die Westberliner Regierung und die Bundesrepublik wie einen autoritären Poli-zeistaat aussehen zu lassen, als „potentiell faschistisch“, wie die SED sogleich posaunte. Und diesem Bild wandelte man sich an. Insbesondere die westberliner Polizei demonstrierte ihr Einverständnis mit Kollege Kurras.
Was müssen die alten Knacker im Politbüro gelacht haben, als sie bei der Überführung des erschossenen Benno Ohnesorg über die Transitautobahn Grenzpolizei und FDJ trä-nentriefend Spalier stehen ließen, „Organe“, die von Demonstrations- und Meinungs-freiheit sonst wenig hielten und mit „randalierenden Chaoten“ nicht lange zu fackeln pflegten!
Da alle Welt derzeit Entschuldigungen verlangt: Auf eine dafür, daß das damalige Esta-blishment ihnen diesen Sieg gegönnt hat, warte ich noch heute. Denn das Bild der Bun-desrepublik nahm mit der autoritären staatlichen Reaktion nicht nur bei den Studenten, sondern auch bei den „gutwilligen Kreisen“ anhaltend Schaden. Es machte viele umso empfänglicher für die Desinformationskampagnen von SED und Stasi. Die 68er mit ih-ren quälenden Lebensexperimenten und ihrem Willen zur theoretischen Phrase blieben eine Minderheit, aber Generationen von jüngeren Deutschen, heute treue Repräsentan-ten eines linken juste milieu, sind geprägt von Legenden und Geschichtsdeutungen, die von der SED und ihren Organen in geduldiger Einflußarbeit gepflanzt worden sind. Nicht 68ff, sondern der stabil unterwanderten Friedensbewegung der 80er Jahre ist der eingefräste Antiamerikanismus und das freundliche Verständnis für die Sowjetunion zu verdanken.
Daß die Antiautoritären der Studentenbewegung über die DDR lachten und die Stasi für den dümmsten Geheimdienst der Welt hielten, mit dem man taktische Spielchen treiben konnte, hatte den Augenschein für sich und war doch groteske Selbstüberschätzung. Man verkannte und verkennt die Wirkung auf jene „gutwilligen Kreise“, in denen nur wenige auf die Idee kamen, daß man sie als nützliche Idioten betrachten könnte.
Zumal in der Provinz die Uhren anders liefen. Auch in der niedersächsischen Kleinstadt O., auch bei uns gerade mal sechzehnjährigen Schülern kam der 2. Juni 1967 als epo-chales Ereignis an, das normales pubertäres Aufbegehren plötzlich in größere Zusam-menhänge einbettete. Über uns beugten sich indes trotz allerhand naiver Aktionen keine prügelnden Polizisten, sondern andere pädagogische Kräfte, die bewußtseinsbildend auf die „aufmüpfige“ Jugend einwirken wollten: Humanisten und Friedensfreunde, „pro-gressive“ evangelische Pfarrer, missionsbereite Jusos, ein paar Eltern, wenige Lehrer. Und bald flatterten den besonders Aufmüpfigen neben anderem Aufklärungsmaterial auch die „Deutsche Volkszeitung“ sowie die „Blätter für deutsche und internationale Politik“ kostenlos ins Haus. Die SED reagierte schnell und investierte viel.
Der Rat der Eltern, die wußten, aus welchen Quellen der unerwartete Informationsfluß kam, war damals nicht gefragt. Die Glaubwürdigkeit der Älteren war durch einen Gene-ralverdacht beschädigt: unter den Nazis „dazugehört“ und „mitgemacht“ zu haben. Wer nicht Widerstand geleistet hatte, möglichst natürlich den richtigen, hatte sich gefälligst nicht zu beklagen über Bombennächte, Flucht, Vertreibung, Vergewaltigung, mußte sich im Gegenteil den Vorwurf gefallen lassen, mit Geschichten vom eigenen Leid „auf-rechnen“ und die eigenen Untaten relativieren zu wollen. Die Gewaltorgien der Roten Armee waren nicht nur in der DDR Tabu, auch in der Bundesrepublik redete man nicht über etwas, das „der falschen Seite“ nützen könnte.
Die falsche Seite – das waren die Altnazis an der Macht. Die SED machte sich als be-währte antifaschistische Kraft bei ihrer Enttarnung unentbehrlich und half mit Doku-menten aus, die insbesondere der Schriftsteller Bernt Engelmann unters Volk brachte (später registrierter Mfs-Mitarbeiter). Als sich herausstellte, daß etwa die Dokumente, die Bundespräsident Heinrich Lübke als KZ-Baumeister überführen sollten, von der Stasi manipuliert worden waren, zeigte sich indes kaum jemand erschüttert. Die Tat war dem Täter ja durchaus zuzutrauen. Unironisch gesagt: Man hatte sich sein Bild bereits gemacht.
Mir ist das heute unheimlich, wie mitleidlos radikal sich viele von uns Jüngeren damals den Erfahrungen der älteren Generation verweigerten. Allesamt jammernde Vertriebene, Revanchisten, autoritäre Charaktere, faschistoide Spießer, deren „Ärmel aufkrempeln, zupacken“ man lediglich karikieren konnte? Die in die Päckchen nach drüben nur Abge-legtes und Wertloses packten und verlogene Rituale pflegten, bei denen brennende Ker-zen für die Brüder und Schwestern in die Fenster gestellt und „Macht das Tor auf!“ ge-rufen wurde, was junge Menschen ja durchaus zu nerven imstande ist?
Wieso wollte eine Generation, die sich tatsächlich befreit fühlen durfte, und wenn es die Befreiung durch Musik, Mode, Sitten und Gebräuche war – warum mochten die glück-lichen Kinder des Westens so gar nicht begreifen, daß der Preis verdammt hoch war, den die anderen zu tragen hatten, die nichtbefreiten Zurückgebliebenen aus dem Osten?
Aber die hatten ja diese tollen Kindergärten und polytechnischen Unterricht, wovon GEW-Lehrer schwärmten, die regelmäßig zu Reisen ins sozialistische Paradies eingela-den wurden…
Der Osten war dieser Generation weit weniger verdächtig als der Westen. Während sich französische Intellektuelle am „Archipel Gulag“ abarbeiteten und mit der eigenen Ver-harmlosung von Stalinismus und Sowjetunion abrechneten, erlebte die Bundesrepublik einen „Historikerstreit“, in dem die Verbrechen des Stalinismus ein weiteres Mal klein-geredet wurden. Seither sind die Reflexe gefestigt, die sich in öffentlichen Spektakeln entladen, wenn wiedermal ein Zeitgenosse irgendeinen „Knackpunkt“ der political cor-rectness verletzt hat. Das „Vergleichsverbot“ steht dabei ziemlich weit oben.
Aber warum soll man dem Publikum diese Folklore aus Re-Education und SED-Propaganda übelnehmen, die auch von bedeutenderen Zeitgenossen gepflegt wird? Dichter, Denker, künftige Außenminister behaupteten 1989, Deutschland dürfe sich nicht wiedervereinigen – wegen Auschwitz. Noch heute frage ich mich, warum von Sei-ten der ehemaligen Westalliierten kein beleidigter Aufschrei kam. Die Teilung Deutsch-lands war schließlich keine im übrigen völkerrechtswidrige „Strafe“, die man höchstens moralisch berechtigt finden konnte, sondern das Ergebnis eines machtpolitischen Di-lemmas, das Stalin zur Erweiterung seiner Einflußsphäre nutzte.
Und bei allem Verständnis für das schwere Leid der Jüngeren unter ihren von 68 ge-prägten Lehrern, wie es Mathias Döpfner jüngst beschwor (welche Generation hat ei-gentlich nicht unter ihren Lehrern gelitten?): Nicht jeder Mist ist auf dem Haufen der Studentenbewegung gewachsen, manches kam direkt aus den Druckereibetrieben der SED. Als ich von 1976 bis 1983 einen Lehrauftrag im Fachbereich Gesellschaftswissen-schaften der Goethe-Universität in Frankfurt innehatte, meldeten in fast jedem Semester Studenten ihr Bedürfnis nach einer „soziohistorischen Grundlegung“ an. Die bestand meist aus einer Zusammenfassung der Thesen aus preisgünstigen Standardwerken, in denen die deutsche Geschichte bestechend einfach auf den Punkt gebracht war: Hans Mottek, „Wirtschaftsgeschichte Deutschlands“, brauner Kunstledereinband. Das „Lehr-buch der deutschen Geschichte (Beiträge)“, rotgelber Schutzumschlag. Beide VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, spottbillige, weil hochsubventionierte DDR-Ware. Ich frage mich noch heute, was zwecks soziohistorischer Grundlegung des Stof-fes eigentlich die damaligen Kollegen bevorzugten. Von mir hatten die Studenten diese Literaturempfehlung nicht.
Aus vielen solcher kleinen Mosaiksteinchen hat sich über die Jahre ein Weltbild zu-sammengesetzt, das selbst 1989 nur kurz erschüttert wurde. Die moralische Elite im Westen sorgte im übrigen dafür, daß die Erschütterung sich nicht vertiefte. Bundesprä-sident Richard von Weizsäcker etwa warnte damals vor allzugroßer Freude über einen Sieg des westlichen Modells, statt uns die Erleichterung über den Untergang eines Irr-tums auskosten zu lassen, und in den Salons im Westen nickte man einander zu, wenn es hieß, Honecker sei auch nicht schlimmer als Kohl.
Alles Schuld der 68er? Eben nicht. Sicher, nach dem Zerfall der Bewegung nach 1969 in radikale Sekten bewunderten viele weit schlimmere Vorbilder, als es das Land von Ulbricht und Mielke zu bieten hatte. Doch nicht wenige von ihnen leisteten für ihre ideologischen Verirrungen Abbitte: die intensivste Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte und ihren Irrtümern, die erhellendsten Analysen linker Idiotien stammen von Veteranen der Studentenbewegung..
Solche Selbstaufklärung reicht offenbar umso tiefer, je größer einer geirrt hat. Wer das als Renegatentum verachtet oder belächelt, hat nie geirrt – oder war ein Mitläufer, die sind bekanntlich für nichts zuständig.
Im juste milieu jedenfalls ist Selbstaufklärung selten gefragt. Und an soviel satter Selbstzufriedenheit wird sich wohl auch nichts ändern, wenn bekannt wird, wer noch al-les als Kundschafter des Friedens im Sinne des realexistierenden Sozialismus im We-sten gewirkt hat - als Einflußagent in den Zeitungsredaktionen, an den Universitäten, in den Parlamenten.
Ich hätte da auch eine Frage: Wer war der Mann wirklich, der noch 1983 mit einem Milliardenkredit dafür gesorgt hat, daß das Überleben der DDR über ihren wirtschaftli-chen Tod hinaus gesichert war? Was oder wer steckte hinter Franz-Josef Strauß?
Erschienen in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, 29. Juni 2009

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