Thomas Rietzschel / 15.05.2022 / 14:00 / Foto: Jack Mitchell / 19 / Seite ausdrucken

Kunst muss teuer sein, sonst ist es keine

Ein Bild von Andy Warhol wurde für den Rekordpreis von 195 Millionen Euro versteigert. Thomas Rietzschel findet: Dies verbürgt den teuren Nervenkitzel in einer Welt, die nichts mehr mit sich anzufangen weiß, nichts, das wirklich neu wäre.

Was wusste die Welt von Vincent van Gogh, solange er lebte? Über den kleinen Kreis der Familie und einiger Künstler hinaus kannte ihn niemand. Kaum jemand wusste von den Depressionen, die ihn in den Wahnsinn trieben, auch in den eines rastlosen Schaffens. Was heute als Sensation Neugier erwecken und die Voyeure anziehen würde, spielte damals keine Rolle. Das tragische Schicksal veranlasste die Öffentlichkeit kaum, sich für seine Bilder zu interessieren; sie blieben unverkäuflich.

Erst später, lange nach seinem Tod, erkannten Kunsthistoriker, Sammler und Galeristen die künstlerische Großartigkeit der hinterlassenen Gemälde. Die Bilder wirkten zuerst für sich und lenkten danach die Aufmerksamkeit auf das Leben ihres verstorbenen Schöpfers. Sie bedurften keiner biographischen Promotion, um schließlich für Millionen auf dem Kunstmarkt gehandelt zu werden, was freilich noch immer weniger eintrug als das unterdessen selbstverständliche Geschäft mit der Sensation.

Schon Tage vor der Versteigerung eines Bildes von Andy Warhol (1928 - 1987) in New York war von einem „Rekord“ die Rede. Rund um die Welt ging die Nachricht, dass es wahrscheinlich für 200 Millionen Dollar den Besitzer wechseln werde und „damit zum teuersten je versteigerten Kunstwerk aus dem 20. Jahrhundert“ würde. Am Ende wurden es 195 Millionen. Der künstlerische Wert des Werkes, einer farblich verfremdeten Polaroid-Aufnahme von Marilyn Monroe, spielte dabei allenfalls eine Nebenrolle. Vielmehr ging es um die geradezu mythische Aura, die den Schöpfer des Bildes umgab, darum, dass es eben eines von Andy Warhol ist. Noch posthum wurde mit seiner Selbstinszenierung Kasse gemacht. 

Abgott der High Society 

Die Bieter standen im Bann eines Spötters, der es verstanden hatte, die Kunstszene der Siebziger und Achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts als Enfant terrible aufzumischen, indem er seinerzeit vermutlich mehr Zeit in der New Yorker Kult-Disco „Studio 54“ als in seinen Ateliers verbrachte. Als Party-Prominenz hatte ihm die High Society zu Füßen gelegen, von den Beatles und Salvador Dali oder Joseph Beuys bis hin zum philippinischen Diktator Marcos und Jimmy Carter, der ihn im Weißen Haus empfing. Der Nimbus seiner Person überstrahlte alles. 

Wer und was immer ihm vor die Kamera kam, wurde geknipst, um den Abzug nachher farbig zu einem „Kunstwerk“ zu verfremden. Mit Gebrauchsgegenständen des Alltags verfuhr der bekennende „Spinner“ ebenso wie mit Kunstwerken der Vorzeit, mit einer Getränkedose nicht anders als mit der Mona Lisa oder dem Letzten Abendmahl von Leonardo da Vinci.

Der Beifall, den er dafür von den Bewunderern seiner Inszenierung bekam, war in der Regel einhellig, ohne dass er etwas über die kreative Leistung sagte. Man war einfach begierig, sich mit Bewunderung in die Nähe des erfolgreichen Selbstdarstellers zu drängeln. Man wollte zum Hofstaat eines gelernten Werbegraphikers gehören, mit dem sich die bunten Blätter und Lifestyle-Magazine schmückten.

Ein Phänomen der Dekadenz

Nun kann man keinen Künstler für das Publikum verantwortlich machen, das ihn feiert. Ebenso wenig ist dem Kunstmarkt vorzuhalten, dass er daraus ein Geschäft macht, das sich selbst befeuert, eben bis zu dem Rekordpreis von 195 Millionen Dollar. Darum geht es nicht. Ergibt sich doch der Erfolg lediglich aus den Gepflogenheiten der Gesellschaft, besser gesagt einer Epoche, der die Show über alles geht. Nicht mehr das Einmalige zählt, sondern (so Warhol selbst einmal) dessen nachträgliche Entstellung. Sie verbürgt den teuren Nervenkitzel in einer Welt, die sich nur noch in der Nachahmung und Zerstörung des Errungenen übertreffen kann, weil sie nichts mehr mit sich anzufangen weiß, nichts, das wirklich neu wäre.

So gesehen war Andy Warhol erstens ein Nachfahre der vor allem sprachlich demonstrierenden Dadaisten und zweitens ein Vorläufer von Künstlern wie Banksy, der den Wert eines schlichtes Bildes steigerte, indem er es noch während der Versteigerung zerstörte. In einem handwerklich anspruchsvolleren Sinne wäre dem sogar Gerhard Richter mit seinen nachgemalten Fotos zuzurechnen. 

Dekadenz heißt der Begriff, auf den sich das alles reimt. Insofern mag es auch kein Verlust sein, dass diese Werke meist nicht in den großen Museen landen, etwa neben den Bildern von van Gogh, sondern in den versteckten Sammlungen von Oligarchen, für die sich der künstlerische Wert ihrer erworbenen Objekte aus Preisen ergibt, je teurer, umso wertvoller. So schaffen sie sich ihren ganz eigenen Kanon bedeutender Kunst, die als ein Phänomen der Dekadenz in die Annalen eingehen wird. 

Das sollte genug sein. 

Foto: Jack Mitchell CC BY 4.0 via Wikimedia Commons

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Leserpost

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Ulla Schneider / 16.05.2022

Klingikt arbeitet 10000 mal besser. Kunst kommt von Können und nicht von Wollen - dann hieße es nämlich Wunst!  Ich habe die Ehre gehabt, großen Künstlern über die Schulter zu schauen. Viele von denen konnten sich kaum über Wasser halten.  Dali gehörte zu den Großen,  viele sind abgeglitten in die Verfremdung oder andersrum- es muß einem schon was einfallen, wenn man “Perspektive ” nicht im Auge hat. -Die Wichtigtuer sind die Vermarkter und ganz wichtig, die Kunstpädagogen, die erstaunlicherweise mit ” was meint der Künstler mit diesem Bild?”  ihre eigene Tiefenpsychologie offenbaren. Was haben wir so manchesmal bei Ausstellungen hinter dem Gläschen gelacht, - über die Preissteigerungen. Man denke nur an Richter. -Aber was erwartet man von dem Publikum? Wenn Kunst, im Sinne für das und nicht im Auge des Betrachters eine Bedeutung erlangen soll: Anständiger Kunstunterricht, Farben- und Formenlehre,  Es erweitert nicht nur den Horizont, nein es eröffnet dem Geist Perspektiven auf und in anderen Gebieten.  - Wäre das so, würden Warhols Bildchen wahrscheinlich unter “Plakatkunst” laufen.  Nirgendwo sonst könnte man den Satz “wie kommt dein Geld in meine Tasche” besser anwenden. Schade- eigentlich. Sehr schade!

Gerhard Hotz / 15.05.2022

Auch van Gogh war dekadent. Angeblich war er nicht wegen des besonderen Lichts in der Provence, sondern weil dort mutmasslich die schönsten Frauen waren. Er wollte in Arles eine Künstler-WG einrichten. Es kam aber nur Gauguin. Das Zusammenleben mit Gauguin war für van Gogh schwierig, weil Gauguin mehr Chancen bei den Frauen hatte. Aus Frust darüber schnitt sich van Gogh dann ein Ohr ab. Wenn das nicht dekadent ist.

Silvia Orlandi / 15.05.2022

Der Kunstmarkt boomt — kein Wunder, wohin mit dem Geld, wenn Konten, Yachten, Immobilien wie zu A.H. Zeiten beschlagnahmt werden. Sind ja die „bösen“ Oligarchen. Milliardäre kaufen keine Kunst, sie impfen lieber „altruistisch“die Welt. Wie war das doch mit der „ entarteten Kunst“, man machte sie lächerlich , raubte sie und verdiente gut daran.

Yehudit de Toledo Gruber / 15.05.2022

“Sie verbürgt den teuren Nervenkitzel in einer Welt, die sich nur noch in der Nachahmung und Zerstörung des Errungenen übertreffen kann, weil sie nichts mehr mit sich anzufangen weiß, nichts, das wirklich neu wäre.”  Treffend formuliert. Und ich finde, daß trifft auf vieles andere ebenfalls zu. Überall Abklatsch, Billiges, Provozierendes - in der Sprache, der “Kleidung” und leider auch in der Haltung. Bewundernswertes war gestern. Neulich stand in der U-Bahn ein Mann neben mir. Er trug einen Hut und war auch sonst ganz ungewöhnlich gekleidet. Ich habe ihn sofort angesprochen, und mit einem dicken Kompliment bedacht. Als ältere Dame darf man sich das erlauben. Es folgte eine sehr nette Unterhaltung, und es stimmt, diese kleine Begebenheit hat nichts mit dem spleenigen Andy Warhol zu tun. Doch wenn einem heutzutage zwischen all´ den gepircten und bemalten hektischen Menschen in ihren zerfetzten Jeans mal jemand elegant Gekleideter begegnet, ist das - zumindest für mich - eine Augenweide, eben wie ein schönes, seltenes Bild .

Roland Stolla-Besta / 15.05.2022

Auf keinem kulturellen Sektor, wenn ich das so mal ausdrücken darf, wird soviel geschwollener Stuß, keine so gequirlte Sch… verzapft, wie auf dem der bildenden Kunst, weder in der Literatur noch in der Musik. Ich erinnere mich an meine Gymnasialzeit Anfang oder Mitte der 60er Jahre. Da wurde unsere Klasse aus dem Schullandheim in Holzhausen nach Kassel transportiert zu der damals gerade stattfindenden Documenta. Ich sehe noch genau vor mir den Saal mit diesen rachitischen Plastiken eines Herrn Giacometti. Eine Gruppe älterer Herrschaften lauschte andächtig den Erklärungen einer Führerin. Über eine dieser dürren Gestalten auf einem Quader mit 4 Rädern sagte das Mädel wörtlich: „Die Figur weist in die Transzendenz.“ Meine Klassenkameraden (mich eingeschlossen) hätten sich beinahe nass gemacht. Einer meinte erschrocken, wir seien doch mit dem Bus hierher gefahren, ob wir etwas von der Transzendenz gespürt hätten? Nun ja, der Klassenkamerad war eben nicht so dürr wie die Giacometti-Dinger.

Mathias Rudek / 15.05.2022

Die 195.000.000 Millionen Dollar, lieber Herr Rietzschel, schmälern in ihrer überzogenen Dekadenz das Kunstwerk und die Kunst (Bildende Kunst) nicht. Letztendlich ist es ein kultureller Fetisch, der sich kunsthistorisch im gesellschaftlichen Kontext aufgeladen hat. Es geht ja nicht allen Kunstwerken mit hoher Qualität so, sie fristen meist ein viel bescheideneres Dasein. Das sind die Wert-Spitzen, die in der Ökonomie entstehen. Wir wissen doch alle, wieviel Psychologie in der Wirtschaft steckt.

lutzgerke / 15.05.2022

Die Museen sind nach dem 2. WK von einer kleinen Zahl berufsmäßiger Kunstlenker unterwandert worden. Mit Förderpreisen bekamen sie die Kunst bald in den Griff. Wer Lust hat, geht auf Bildersuche mit “Paul Wunderlich”, “H. Bellmer”, Schröder-Sonnenstern”, “Fernand Botero”, “Kandinsky” , “Max Ernst”, “Francis Bacon”, “Bob Rauschenberg”, mit “Modern Art Museum” und “documenta”. Das ist nur eine kleine Sammlung von sexualphatologischen Phantasien der fiesesten Miserabilisten. Als Chrustschow bei einem Besuch durch ein Museum geführt wurde, blieb er vor einem Picasso stehen: Das malt mein Esel mit dem Schwanz? Recht hatte er, denn der Kunstmarkt war damals schon nur noch eine Warenausstellung. Die Jubelpresse sagt oft mehr, als sie sagen dürfte. Es ging darum, Kunst und Kultur durch Häßlichkeit kaputt zu kriegen. Dahinter steckte diese Adorno.  

Jochen Lindt / 15.05.2022

Ohne Kunsthistoriker würde dieser Markt nicht existieren.  Und “Kunstgeschichte” ist, wie uns Bismarck erklärte, die Maßeinheit für Dekadenz.  Also abwarten wie viel Luft noch nach Oben ist.

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