Kulturrevolution im Grünen Gewölbe?

Wahrscheinlich ist er vor so ziemlich genau 300 Jahren geschaffen worden, der „Mohr mit Smaragdstufe“, etwas unsicher wird seine Entstehung auf 1724 datiert. August der Starke (1670–1733), sächsischer Kurfürst und im Zweitberuf König von Polen, war ein großer Liebhaber – auch solcher nicht gerade bescheidenen künstlerischen Prunkarbeiten. Die Schatzkammer, das inzwischen legendäre Dresdner Grüne Gewölbe, füllte er eifrig mit eher weniger praktischen, dafür aber mit um so ausgefalleneren, vor allem aber kostbaren, auf das Anspruchsvollste gestalteten Gegenständen aus edelsten Materialien. Seit geraumer Zeit erfreuen sie den Besucher von nah und fern. Man nennt es Kultur.

Verantwortlich für besagten Mohren, der als eines der bekanntesten Stücke der Sammlung gilt, zeichneten seinerzeit Balthasar Permoser (1650–1732) als Bildhauer und Johann Melchior Dinglinger (1664–1731), in dessen Werkstatt die Goldschmiedearbeiten ausgeführt wurden. Bei der Smaragdstufe handelt es sich um einen Gesteinsbrocken, auf dem sich einige recht große – Überraschung – Smaragde befinden, die die Mohrenfigur auf einem Tablett präsentiert. In den Besitz der sächsischen Herrscher waren die Edelsteine schon weit vor dem starken August gelangt – die entsprechende Verarbeitung aber, der „Mohr mit Smaragdstufe“, geht auf seinen Wunsch zurück.

Es handelt sich um ein Kunstobjekt aus einer – Entstehungszeit und Lebensdaten der beteiligten Herren legen es nahe – vergangenen Epoche. Entsprechend ist es einzuordnen, mit allem, was dazugehört. Dazu bedarf es keiner Spezialkenntnisse, lediglich ein klein wenig historisches Bewusstsein ist erforderlich. Die Zeiten, in denen man sich damit begnügte, solche Objekte zum Gegenstand kunsthistorischer Betrachtung zu machen, sie einfach schön zu finden und sich dafür zu begeistern oder eben einzuräumen, dass man zur Welt des Barock keinen Zugang hat und sie als Luxus-Kitsch zu bezeichnen, gehören allerdings auch einer vergangenen Epoche an. Einer Epoche, in der man die Dinge einfach mal so lassen konnte, wie sie (überliefert) sind.

Vorbei. Marion Ackermann, Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, machte dies vor einigen Tagen in einem Beitrag für die Sächsische Zeitung nachdrücklich klar (hier, aber nicht kostenfrei). Bei dem nun Folgenden vergesse man nicht, dass es sich bei der Autorin nicht um eine studienabgebrochene Politaktivistin mit überschaubarem Wirkungskreis handelt, sondern um eine Frau, der ein nicht ganz unerhebliches Maß deutschen Kulturguts anvertraut ist.

Entmaterialisieren und wieder rematerialisieren

Der Mohr mit der Smaragdstufe ist dabei nur ein Beispiel, das ihre bereits in Umsetzung befindlichen Vorhaben verdeutlicht. Frau Ackermann erklärt: Die Trägerfigur symbolisiert – aus europäischer Perspektive – in jedem stereotypen Detail vermeintliche „Andersartigkeit“: dunkle Hautfarbe, als „afrikanisch“ gelesene Physiognomie. Tätowierungen und Schmuckstücke, die wiederum als Repräsentationsformen indigener Kulturen Nordamerikas gedeutet wurden. Das war aber noch nicht alles, denn aus postkolonialer Sicht ist auch die Herkunft der Smaragdstufe aus kolumbianischen Smaragdminen, die während spanischer Eroberungskriege 1537 erschlossen wurden, problematisch. Und auch da geht noch was, denn die Smaragdstufe sei nämlich nicht das „Naturwunder“, als das sie gefeiert wurde, sondern zusammengesetzt aus verschiedenen Stücken. Wer denkt, das war jetzt alles, befindet sich im Irrtum. Denn die – nunmehr bereits arg entzauberte – Smaragdstufe wird auf einem Schildpatt-Tablett dargeboten. Das Staunen über die Schönheit des Materials, so die Generaldirektorin, wird getrübt durch den Gedanken an das viel zu spät ratifizierte Artenschutzabkommen für Meeresschildkröten. Offenbar hatte August der Starke seinerzeit vergessen zu unterschreiben. Kurzum, in der Figur spiegele sich Ausbeutungsgeschichte: der von Menschen und der Natur.

Am besten wäre es wohl gewesen, der schändliche Gegenstand wäre beim spektakulären Einbruch in das Grüne Gewölbe im November 2019 von den Dieben mitgenommen worden, dann hätte ihn Frau Ackermann vom Bein. Apropos Einbruch 2019: Sollte man als Generaldirektorin nach solch einem Desaster möglicherweise darüber nachdenken, seinen Posten zu räumen, weil man versagt hat? Aber derartige Überlegungen gehören auch einer anderen Epoche an.

Zurück zum Mohr. Der ist nun mal noch da. Und man darf zumindest vorerst aufatmen, denn diesen dauerhaft aus der öffentlichen Wahrnehmung zu entfernen, sei keinesfalls die Lösung. So großzügig ist die Museumsobere dann doch. Frau Ackermann fragt aber, weit über den Fall des Smaragdstufenträgers hinausgreifend: Was tut man mit Exponaten, die eindeutig von kolonialherrschaftlichen Mechanismen durchdrungen sind oder die uns dem Verdrängten und Verstörenden, mit Unrecht und Gewalt, Ausgrenzung und Zerstörung konfrontieren?

Es gehe jetzt um kritische Kontextualisierungen. Es könnten etwa künstlerische Interventionen und Neuproduktionen angeregt und gefördert werden. Wir könnten sagen, der monolithische Status des Objekts wird dadurch aufgebrochen, entmaterialisiert und wieder rematerialisiert.

Keine Entscheidung ohne „thinkers of color“?

Selbstkritisch fragt Frau Ackermann, wo die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden grundsätzlich im Hinblick auf die notwendige kritische Aufarbeitung rassistischer und diskriminierender Aspekte ihrer Sammlungen und Sammlungsgeschichte stünden. Die Dinge blieben zentrale Aufgabe für die bevorstehenden Jahre. Man müsse neue Maßstäbe setzen in der Überwindung einer eurozentrischen Perspektive unter Einbeziehung eines aktiven internationalen Netzwerkes. Die Generaldirektorin sei sich allerdings bewusst, dass wir es letztlich in meiner Generation nicht vollenden können.

Grundlegend bleibe die Provenienzforschung, die sich mit der Herkunft der Objekte beschäftigt, denn diese mache deutlich, dass Museen mit ihren Sammlungen selbst Akteur*innen in gesellschaftlich-politischen Diskursen sind. Das Sternchen bleibt etwas rätselhaft, immerhin heißt es ja DAS Museum, was m/w/d-neutral genug sein dürfte, zudem handelt es sich nicht um ein Lebewesen, aber neuerdings ist nichts mehr sicher.

Und vieles ist anders. Die Gründung der „Antidiskriminierungs-AG“, so Frau Ackermann, sei wichtig gewesen, in die so viele interne Mitarbeiter*innen wie möglich einschließlich externer thinkers of color eingebunden seien. Ja, da steht wirklich thinkers of color. Hoffen wir für die Generaldirektorin, dass sie sich demnächst nicht die Frage gefallen lassen muss, ob sie damit suggerieren wollte, es gebe auch idiots of color. Die politisch korrekte Seite unserer Welt ist bekanntlich auch innerhalb der eigenen Reihen unerbittlich.

Konkrete Ergebnisse indes sind im Grünen Gewölbe auch schon zu vermelden. Sprachlich gut gesäubert – laut Ackermann: sukzessive von uns überarbeitet – werden die Benennungen der Museumsstücke in der Online Collection. Wichtig sei das, wenn es um den spezifischen Sprachgebrauch einer Zeit geht, in den damals unreflektiert Begriffe Eingang fanden, die heute als eindeutig rassistisch oder diskriminierend bewertet werden.

Um keinen Menschen über die Reproduktion dieser Sprache zu verletzen, werden die Werke umbenannt und diskriminierende Begriffe von historischen Titeln durch vier Sternchen ausgeblendet. Bedeutet für den „Mohren mit Smaragdstufe“ konkret: „**** mit der Smaragdstufe (historische Bezeichnung)“. Wer es nicht glaubt, überzeuge sich hier. Welches Chaos derartiger Unfug für die – nicht erst seit gestern in Gang befindliche – wissenschaftliche Arbeit mit derartigen Dingen bedeutet, mag man sich gar nicht ausmalen.

Zerstörung als Zukunftsmodell einer Museumschefin

Frau Ackermann weiß, dass Kunstgeschichte auch eine Geschichte der Löschungen und der Überschreibungen, der Denkmalstürze ist. Tilgungen blieben jedoch oft absichtlich unvollkommen. Man sollte sich daran erinnern, dass etwas entfernt wurde. Das ist ebenfalls ziemlich neu: Zerstörung, wenn auch mit nicht ganz sauber ausgemerzten Spuren, als Zukunftsmodell im Vorstellungshorizont einer Museumschefin.

Ist die kulturelle Endzeit angebrochen? Sofern man das Grüne Gewölbe noch nicht kennt: Schnellstmöglich nach Dresden fahren und die Dinge besichtigen. Wer weiß, wie lange sie noch in ihrer hergebrachten Form gezeigt werden. Nein, zu diesem Satz gehört kein Augenzwinkern und er gilt auch nicht nur für die sächsische Schatzkammer. Leider.

Foto: Li Zhensheng/Orient´Adicta Flickr CC.20

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G. Hamsinger / 28.06.2021

“Wichtig sei das, wenn es um den spezifischen Sprachgebrauch einer Zeit geht, in den damals unreflektiert Begriffe Eingang fanden, die heute als eindeutig rassistisch oder diskriminierend bewertet werden”. Absolut richtig! Was WIR (= der fortschrittliche Teil der Gesellschaft) nämlich HEUTE denken und sprechen, ist das, was alle schon immer hätten denken müssen. Da gibt es noch viel zu bereinigen. Man denke nur mal an die üblen Rassisten namens John F. Kennedy, Martin Luther King und dessen politischen Gegner Malcolm X. Man höre sich mal deren Reden an! Schauerlich, wie die ganz unreflektiert von “negroes” sprechen! Diese Reden dürfen auf gar keinen Fall so bleiben sondern müssen an den entsprechenden Stellen mit Pieptönen gefüllt werden. Sowas ist doch niemandem zuzumuten; man fällt als fortschrittliche Person ja direkt in Ohnmacht bei solchen Obszönitäten.

Peter Sticherling / 28.06.2021

Diese Frau Ackermann sollte sofort ihres Postens enthoben werden. Sie vergreift sich aus ideologischen Gründen am ( ihr nicht gehörenden) Kulturerbe Deutschlands. Sie ist vergleichbar den Taliban, die seinerzeit die Buddha-Statuen von Bamiyan zerstörten. Sie verhält sich beinahe so wie die Verbrecher des sogenannten islamischen Staates welche die Statuen in Palmyrah zertrümmerten. Außerdem sollte man dieser Frau Acker- mann nahelegen, sich einmal auf ihren Geisteszustand untersuchen zu lassen.

Reinmar von Bielau / 28.06.2021

“Keine Atempause, Geschichte wird gemacht, es geht voran!” Geier Sturzflug anno 1982 in ihrem Lied “Bruttosozialprodukt”. Geschichtsrevidierung vom Feinsten und so Jemand hat deutsches Kulturgut in den Händen? Naja, wie immer wurde der Posten sicherlich nach Parteizugehörigkeit vergeben. Man kann doch nicht einfach Dinge aus einem historischem Gesamtkontext reißen und dann nach heutigen Maßstäben beurteilen. Muss man das Frau Ackermann erst erklären?! Wenn ja, dann hat sie ganz offensichtlich den falschen Job.

Hans-Peter Dollhopf / 28.06.2021

“Maßstäbe setzen in der Überwindung einer eurozentrischen Perspektive.” Genau!  Das EU-Imperium ist nämlich einfach scheiße.

Lutz Herrmann / 28.06.2021

Da sind sich die historischen Nazis und die heutigen Progressiven ja völlig einig. Der Mohr in Kunst und Kultur muss gehen. Also kein heiliger Mauritius mehr, usw.

Karsten Dörre / 28.06.2021

Zu DDR-Zeiten gab es in der öffentlichen Wahrnehmung keine Juden und Israels Bevölkerung bestand nur aus der israelischen Armee oder der israelischen Regierung. Man wollte es ausblenden, dass die israelischen Regierungen seit 1948 vom Volk frei gewählt wurden und es stets eine Mehrheit gab und gibt, die die Landesverteidigung des Staates Israels unterstützt. Die Juden kamen nur noch in Geschichtsbüchern vor, so als seien diese ausgestorben oder bis 1945 bei Pogromen und in KZ ausgelöscht.

Roger Val / 28.06.2021

Die Deutschen sind krank, schwer psychisch krank.

j. heini / 28.06.2021

Wir Leser sollten uns angewöhnen, diese Institutionen anzuschreiben. Den Fussballbund, die EU Kommission, das Museum…

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