Erik Lommatzsch, Gastautor / 26.05.2024 / 15:00 / Foto: Pixabay / 7 / Seite ausdrucken

Kulturkampfvehikel Grundgesetz

Lästig waren die laut tönenden Volksfestweisen von draußen, als Lorenz Jäger in Dresden-Loschwitz sein neues Buch vorstellte. Gegenüber wurde die Verfassung mit recht viel Blaswerk gefeiert. Kein Zufall. 

Zum 75. Mal jährte sich am 23. Mai die feierliche Verkündung des Grundgesetzes, welches sich „das Deutsche Volk“ im „Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen“ gegeben hat. Die eine oder andere öffentliche Aufmerksamkeit fand der Anlass dann doch, auch wenn man sich nur schlecht des Eindrucks erwehren konnte, dass sich die Feiermotivation – gemessen an der Bedeutung der Sache – insgesamt eher in Grenzen hielt. Um so erfreulicher, dass auch an eher abgelegenen (dafür allerdings sehr beschaulichen) Plätzchen des Landes zur Erinnerung an das Jubiläum aufgerufen wurde. Etwa an der „Senfbüchse“ in Dresden-Loschwitz, offiziell „Joseph-Hermann-Denkmal“. Auf einem kleinen Platz, unweit des „Blauen Wunders“. Die doch eher ruhige bis sehr ruhige Friedrich-Wieck-Straße führt am Denkmal vorbei.

Sozialmedial beworben wurde die Veranstaltung zum „Tag des Grundgesetzes“ unter dem Motto „Die Würde des Menschen ist…“ auch von Elke Zimmermann, engagiert für die Grünen im Stadtbezirksbeirat Dresden-Plauen. Bei Frau Zimmermann war im Vorfeld zu erfahren: „So, jetzt ist fast alles klar. Demokrat*innen vom Hang (Nordelbien) aller couleur haben ne kl. Liebeserklärung ans #Grundgesetz, an unsre Freiheitl. demokrat. Grundordnung auf die Beine gestellt. Tag + Ort des Festes - kein Zufall. 23.05. ab 19 Uhr #Dresden-Loschwitz, Senfbüchse“. Angekündigt waren „Reden – Kunst & Kultur – Austausch“, zudem „Musikalische Umrahmung“. Wobei sich „Umrahmung“ eher als Understatement erweisen sollte, den Instrumenten kam dann schon eine wichtige Funktion zu. Die angemeldete Teilnehmerzahl von 50 dürfte überschritten gewesen sein. Zu Wort kam beispielsweise „Mission Lifeline“. 

Die deutsche Sozialdemokratie war nicht nur mit lokaler Prominenz vertreten. Saskia Esken, die Frau, die als Nachfolgerin von August Bebel, Kurt Schumacher und Willy Brandt einer einst verdienstvollen Partei vorsitzt, war höchstselbst erschienen. Und dann auch noch als Blickfang, gehüllt in eine Art zinnoberroten Pyjama (eventuell die SPD-Variante des Hosenanzugs), lediglich die Turnschuhe waren weiß, aber die trägt sie ja eisern bei absolut jeder Gelegenheit.

Die Botschaft von der „Senfbüchse"

Als Pointe der Geschichte über die Veranstaltung zum „Tag des Grundgesetzes“ wäre das an sich schon ausreichend. Aber da kommt natürlich noch was. Dem Ortskundigen und erst recht dem Ortsunkundigen dürfte sich die Frage gestellt haben, warum als „Ort des Festes“, welches als Demonstration angemeldet war, der Schatten der „Senfbüchse“ gewählt worden war. Auf die Aufmerksamkeit zufälliger Passanten, deren Zahl sich hier in engen Grenzen hält, konnte man es nicht abgesehen haben. Andererseits handelte es sich erkennbar nicht um die Art von Party, bei der man vor allem für sich und die Gäste feiert. Botschaften sollten schon gesendet werden – aber an welchen Empfänger?

Ha! Der Teufel steckt im Detail. Des Pudels Kern, der Hase im Pfeffer war in der Passage „Tag + Ort des Festes - kein Zufall“ verborgen. Der Tag war natürlich der Grundgesetzgeburtstag, aber in Kombination mit dem zunächst kryptischen Hinweis, dass es mit dem Ort auch etwas auf sich habe, ergab sich noch eine andere Lesart. Just gegenüber, in Sicht- und vor allem in Rufentfernung vom Feier- und Demonstrationsort befindet sich das KulturHaus Loschwitz. Dessen Veranstaltungen sind stets gut besucht. Das hat möglicherweise Gründe. Etwa den, dass bei den dortigen Gesprächen, Buchpräsentationen und Diskussionen der staatsmedialgesellschaftliche Meinungskorridor nicht einmal eine Randexistenz fristet. Davon fühlt sich der eine oder andere Zeitgenosse über- und herausgefordert. Der Grundgesetzgeburtstag bot sich hervorragend als Vehikel an, wieder mal zu zeigen, wo das resp. der Gute steht. 

Und exakt an diesem 23. Mai war seit längerem eine Veranstaltung im KulturHaus geplant, an deren Dauer sich die „Senfbüchsen“-Demonstration weitgehend orientierte. Lorenz Jäger (vor allem bekannt als FAZ-Redakteur, aus einer Zeit, als die FAZ noch die FAZ war) stellte sein neues Buch „Die Kunst des Lebens, die Kunst des Sterbens“ im Gespräch mit Uwe Tellkamp vor. Anderthalb Stunden stupende und ebenso stupend unterhaltsame Gelehrsamkeit. Die Herren Montaigne, Jean Paul und Lukrez kamen zu Wort und neben vielem anderen wurden Vermutungen darüber angestellt, inwiefern das Matterhorn mit dem Tod von Theodor Adorno in Zusammenhang zu bringen ist (nein, nein, kein Kriminalfall, viel interessanter). Auf politisches Terrain begab man sich eher in Form ethisch-religiöser Großdimensionen, in den Blick genommen wurde auch die immer erschreckendere Ausmaße annehmende Hybris bezüglich der Beherrschbarkeit, Formbarkeit und Verlängerung des menschlichen Lebens. Das Konkreteste unter den aktuellen Wundpunkten war vielleicht, dass Tellkamp unterstrich, dass es nur zwei Geschlechter gebe, „zwei, that‘s it!“. Tellkamp hat – bevor er sich ganz der Schriftstellerei zuwandte, 2022 erschien der große Roman „Der Schlaf der Uhren“ – als Arzt praktiziert, er könnte sich in solchen Fragen ein wenig auskennen.

Störer ohne Angebot

Aber all das war für die Meinungskorridorfreunde und -freundinnen an der „Senfbüchse“ wohl nicht ausschlaggebend, zumal es zum Denken hätte anregen können. Das BuchHaus an sich stand im Fokus („kein Zufall“). Es ging einfach darum zu stören. Und das ist durchaus gelungen. Von sehr lästigen, kräftig tönenden Volksfestweisen von gegenüber wurden Lesung und Gespräch begleitet. Stichwort Rufweite. Je lauter, desto Musik, viel Blaswerk, Blech, Tröt, Tröt. Opa Hoppenstedt hätte es nicht besser dirigieren können. 

Für die, die es nicht verstanden hatten, dass so ein Grundgesetzgeburtstag zwar ganz nett ist, aber dann doch nicht der eigentliche Punkt der Versammlung war, wurde im Sprechteil der Demonstration noch einmal klar verschlagwortet: Ein trübe, traurige Lesung da drin, während hier gefeiert und getanzt werde, und Kubitschek und Sellner und Krah… die hatten mit der BuchHaus-Veranstaltung zwar nichts zu tun, aber es schadet nichts, die Namen zu nennen. 

Tröt, tröt. Kindisch? Der Zweck heiligt die Mittel auch im Kulturkampf. Und der ist in vollem Gange. Zu früheren Auseinandersetzungen allerdings mit dem Unterschied, dass eine Seite nichts anzubieten hat, nichts – und sich folglich aufs Stören und Zerstören beschränkt.

 

Dr. Erik Lommatzsch ist Historiker und lebt in Leipzig.

Foto: Pixabay

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Leserpost

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T. Schmidt-Eichhorn / 26.05.2024

@ Peter Holschke : Wenn Ihnen die Angabe (das Zitat) in dem Beitrag von Herrn Lommatzsch “neu” ist, dass sich das deutsche Volk das Grundgesetz selbst gegeben hat, dann haben Sie offenbar die Präambel des Grundgesetzes nicht gelesen. Denn dort heißt es (seit 75 Jahren) ausdrücklich: “Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen ....hat sich das Deutsche Volk ... dieses Grundgesetz gegeben.” So ganz “neu” sollte diese Angabe also nicht sein. Und der ewige Spruch, das Grundgesetz sei keine Verfassung, ist auch nicht tragfähig. Als “Verfassung” wird gemeinhin das zentrale Rechtsdokument eines Staates bezeichnet. Und das zentrale Rechtsdokument der Bundesrepublik Deutschland, also ihre Verfassung, heißt eben “Grundgesetz”. Wie der Verfassungsgeber die von ihm geschaffene Verfassung nennt, steht ihm doch frei. Was allerdings der Rechenmeister Adam Ries mit der Definition des Begriffs “Verfassung” und / oder der Bezeichnung “Grundgesetz” zu tun haben soll, erschließt sich mir nicht.

Marcel Seiler / 26.05.2024

Das Grundgesetz mit den Füßen treten, indem man behauptet, es zu feiern: Grüne und SPD eben.

sybille eden / 26.05.2024

Welche ” Verdienste ” hat sich die Partei der Sozialdemokrazis nochmal erworben ? Mir wollen partout keine einfallen.

Peter Holschke / 26.05.2024

Ach das ist mir aber neu, dass das deutsche Volk sich das Grundgesetz selbst geben hat. Und mir ist auch neu, dass das Grundgesetz eine Verfassung ist, denn diese sollte es ja laut Grundgesetz erst nach der Einigung vom Volk beschlossen werden. Nach Adam Ries bedeutet sowas, dass das Grundgesetz eben keine Verfassung ist, allenfalls verfassungsähnlich. Das Grundgesetz ist also eine Art Verfassung, nur ohne Volksbestimmung. Na so, wie es sich eben für ein besetztes Land gehört.

Peter Thomas / 26.05.2024

Mutigsein ist so wärmend mit der Staatsmacht im Rücken. Rechthaben ist so erhebend mit der Staatsmacht im Rücken. Verleumden macht Spaß mit der Staatsmacht im Rücken. Und das Trommeln macht frei, mit der Staatsmacht im Rücken. Denn die Einheit von Volk und Partei ist unverbrüchlich! Niemand kann bestehen gegen die, die die Wahrheit haben! Die Wühler und Hetzer aber werden wir aufspüren und abholen!

Wilfried Düring / 26.05.2024

Den Staat des geschätzten Grundgesetzes gibt es nicht mehr! Das ‘neue’ Deutschland, wird von Figuren wie Steinmeier, Baerbock und dem Regierungssprecher Hebestreit vertreten. Die schicken wahlweise Glückwünsche oder Beleidstelegramme an Massenmörder (Teheran). Baerbock und Hebestreit haben dann fast gleichzeitig names der Deutschen erklärt, sich an ‘Geltes Recht halten zu wollen’ (wie sie es verstehen). Das würde konkret bedeuten: Juden (der freigewählte israelische Premier Netanjahu) werden WIEDER auf Befehl von Mitgliedern einer deutschen Regierung (diesmal ‘bunt statt braun’!) von deutschen Uniformträgern an ihre TOD-FEINDE und Henker ausgeliefert. Merke: Der selbsternannte sogenannte ‘Internationale Strafgerichtshof’ ist ein politisch konstruiertes und mißbrauchtes Gericht, welcher aus guten Gründen von den USA, China und Rußland nicht anerkannt wird! Aus der Erklärung der freigewählten DDR-Volkskammer: (12.04.1990): ‘... Wir, die ersten frei gewählten Parlamentarier der DDR, bekennen uns zur VERANTWORTUNG der Deutschen in der DDR für ihre GESCHICHTE und ihre ZUKUNFT und erklären einmütig vor der Weltöffentlichkeit: ...  Wir BITTEN die Juden in aller Welt UM VERZEIHUNG. Wir bitten das Volk in Israel um Verzeihung für Heuchelei und Feindseligkeit der offiziellen DDR-Politik gegenüber dem Staat Israel und für die Verfolgung und Entwürdigung jüdischer Mitbürger auch nach 1945 in unserem Lande. ... Wir wissen uns VERPFLICHTET, die jüdische Religion, Kultur und Tradition in Deutschland in besonderer Weise zu fördern und ZU SCHÜTZEN. ...  Eine besondere AUFGABE sehen wir darin, die JUGEND unseres Landes zur ACHTUNG vor dem jüdischen Volk zu erziehen und WISSEN über jüdische Religion, Tradition, Kultur zu vermitteln. ...’. Man sollte das Wort DDR durch ‘buntes Deutschland’ ersetzen. Dann könnte ein neugewählter bunter Tag diese Worte wortwörtlich 1:1 übernehmen und neu beschließen! Aber dazu bräuchte es anderer Merheiten, die nicht bzw. nicht mehr in Sicht sind.

Dr. med. Jesko Matthes / 26.05.2024

Die Taste der Würden ist unentmenschbar. Vor allem bei Eskia Sasken.

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