Kulturkampf um einen Volksaufstand

Vor 500 Jahren tobte der Bauernkrieg. Heute prägt die Angst vor dem Populismus die Erinnerung an das historische Ereignis in Deutschland.

Was vor fünfhundert Jahren geschah, war ein Volksaufstand, heißt es in einem Beitrag in der F.A.Z. zum Bauernkrieg von 1525. Im selben Atemzug, stellt der Autor Andreas Kilb mit einiger Verwunderung fest, wie still es um den Jahrestag dieses Ereignisses geblieben ist. Keine große Ausstellung in Berlin, München oder Stuttgart. Kein Gedenken in den großen Häusern der Geschichtsschreibung.

Dabei war dieser Aufstand, dem sich nicht nur Bauern, sondern auch Bergleute (es ging um Eisenerz) und städtische, plebejische Schichten sowie auch einige Ritter anschlossen, eines der einschneidendsten Ereignisse der deutschen Geschichte. Hunderttausende beteiligten sich. Die australische Historikerin Lyndal Roper spricht vom größten Volksaufstand in Westeuropa vor der Französischen Revolution. In Memmingen formulierten aufständische Bauern die berühmten Zwölf Artikel, in denen sie – nichts weniger – als „Freyheit“ forderten.

Zugegeben, es gab kleinere Veranstaltungen. In Bad Frankenhausen und Mühlhausen, den Wirkungsorten Thomas Müntzers, wurde z.B. des Aufstands gedacht. Aber im Vergleich zum Reformationsjubiläum 2017 mit seinen unzähligen Festakten ist das Schweigen auffällig. Es ist kein Zufall, sondern Ausdruck eines tiefen Unbehagens, das die Ereignisse von 1525 bis heute in Politik und Medien auslösen. Ein Unbehagen, das im Zeichen wachsender populistischer Bewegungen noch zugenommen hat.

Besonders seit den Bauernprotesten des letzten Jahres, als plötzlich Gummistiefel an Ortsschildern, Traktoren und Zäunen im ländlichen Raum auftauchten – Symbole, die schnell als Zeichen des Aufbegehrens gelesen wurden. Eine bewusste Anspielung auf den historischen Bundschuh, eines der bekanntesten Embleme der aufständischen Bauern im frühen 16. Jahrhundert.

Ideologischer Stellvertreterkrieg

Plötzlich bekam ein 500 Jahre altes Ereignis eine beunruhigende Gegenwartsbedeutung. Der Bauernkrieg – bislang vor allem Mythos der politischen Linken (Friedrich Engels schrieb seine berühmte Schrift darüber 1850, unter dem Eindruck der gescheiterten 1848er-Revolution; in der DDR wurde der Aufstand zum Gründungsmythos erhoben) – wurde nun zum Schauplatz eines ideologischen Stellvertreterkriegs. Und die Warnungen folgten prompt.

„Seit mehreren hundert Jahren begleiten Bauernproteste die deutsche Geschichte. An den jüngsten Protesten von Landwirt:innen versuchte die extreme Rechte zu partizipieren“, schrieb etwa die linke Wochenzeitung Kontext im September 2024. Auch Mirko Gutjahr, Historiker und Leiter der Luther-Museen in Eisleben und Mansfeld, warnte in einem Podcast vor einer „rechten Instrumentalisierung“. Er erinnerte daran, wie Robert Habeck nach seinem Weihnachtsurlaub von aufgebrachten Bauern empfangen wurde – eine Szene, die, so Gutjahr, „zurecht“ die Stimmung gegen die Protestierenden verschärft habe.

Der Theologe Michael Haspel schrieb über den Bauernkrieg, „Freiheit zielt auf die Gleichheit aller. Freiheit muss durch das Recht bewahrt werden“. Deshalb, so sein Argument, unterscheide sich die damalige Bewegung von denen der Populisten, die auf Ausgrenzung und Abwertung anderer setzten.

Der öffentlich-rechtliche Sender SWR Kultur sah im Bauernkrieg gar einen Kampf um „Teilhabe“ – und eine frühe Formulierung universeller Menschenrechte. Eine historisch gewagte Zuschreibung, wenn nicht gar Projektion: Modische Begrifflichkeiten wie „universelle Menschenrechte“ oder „Teilhabe“ wären den Akteuren von 1525 vollkommen fremd gewesen.

Angst des Establishments vor der Masse

Dass die Erinnerung an den Bauernkrieg heute umkämpft ist, verwundert wenig. Jede Seite bezichtigt die andere der Instrumentalisierung. Tatsächlich ist der Bauernkrieg zu einem neuralgischen Punkt im deutschen Erinnerungskanon geworden – einem Spiegel, in dem sich die aktuellen Kulturkämpfe brechen.

Hinter dem Unbehagen gegenüber der historischen Erinnerung steht die Angst des Establishments vor der Masse. In Wahrheit gibt es keine direkte Linie von 1525 in die Gegenwart. Die Welt war damals eine andere und noch vom Feudalismus geprägt. Die Anführer der Aufstände wurden gevierteilt, verbrannt, enthauptet. Weder die Herrschenden von heute noch die protestierenden Landwirte lassen sich eins zu eins mit ihren historischen Vorgängern vergleichen.

Doch genau das ist der Punkt. Es geht nicht um historische Genauigkeit, sondern um moralische Legitimität. Die bloße Möglichkeit, dass die heutigen Populisten sich auf die Seite der „Freyheit“ und Gerechtigkeit schlagen könnten, erschreckt ihre Gegner. Es ist diese Vorstellung, nicht die Geschichte selbst, die den Ton der Debatte bestimmt.

Oder, wie Marx schrieb: „Die Tradition aller toten Geschlechter lastet wie ein Alp auf dem Gehirn der Lebenden.“ Der Versuch des Establishments, die Deutungshoheit über den Bauernkrieg zu behalten, spricht Bände über seine eigene Unsicherheit – über die Angst vor der einen, immer wiederkehrenden Frage: Was wäre, wenn große Teile des Volkes es doch einmal ernst meinten mit der Forderung nach Veränderung und dem Aufstand?

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Novo-Argumente.

 

Sabine Beppler-Spahl ist Diplom-Volkswirtin, Deutschlandkorrespondentin des britischen Online-Magazins Spiked sowie Vorsitzende des Vereins Freiblickinstitut e.V. Sie ist Herausgeberin des Sammelbandes „Cancel Culture und Meinungsfreiheit“.

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Thomin Weller / 07.06.2025

Es ist ein großes Wunder dass das gesamte Berufsamtentum keine Mistforke in die Hand nimmt und ihr Remonstrationsrecht durchsetzt. SHomburg und die Nancy Turbo-Kündigung “Niedersachsens rot-grüne Regierung will Beamte ohne Gerichtsurteil feuern. ..Künftig gilt: Ein Polizist, der sein Entlassungsschreiben im Briefkasten findet, erhält kein Arbeitslosengeld, sondern fällt unmittelbar ins Bürgergeld. Seine Chancen, einen langen Prozess über mehrere Instanzen zu gewinnen, werden gering sein. ...Der neue MP Olaf Lies und seine Innenministerin Daniela Behrens zielen auf Amtsträger.” Wie unter dem “Gesetz zur wiederherstellung des Berufsbeamtentums” 7.4.1933 bekannt ist.—>>”„Beamte, die nach ihrer bisherigen politischen Betätigung nicht die Gewähr dafür bieten, dass sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten“) konnten nach § 4 in den Ruhestand versetzt oder aus dem Dienst entlassen werden.”<<—Sie sind wieder da.

Hans-Joachim Gille / 07.06.2025

@Thomin Weller ... Man kann das mit dem Adel köpfen so nicht vergleichen. Der Europäische Adel in Europa ist meistens Deutsch, in Frankreich Franken mit ein paar dazu gereisten Normannen, während der Mob aus Gallo-Römern besteht. Dieses ethnische “Problem” hatten wir so nicht. Was man dem Adel überall vorwerfen darf, ist seine völlige geistige Degeneration.

Sam Lowry / 07.06.2025

Was zählt ist HEUTE! “Fahrer: Ein 48-jähriger Iraker wurde festgenommen.” Mit Auto in Passau in Menschengruppe, mit Vorsatz. 3 Schwerverletzte… BeDaZ?

maciste rufus / 07.06.2025

maciste grüßt euch. es gibt mittlerweile einen kernbestand gut und solide erarbeiteter historischer publikationen über das gesamtgeschehen, die man gelesen haben sollte, bevor man aus heutiger sicht politisch urteilt. auch zu luther und dem truchsess von waldburg gibt es umfangreiche neuere arbeiten, die mehr als politschlagworte bieten. zurückhaltung im urteil täte not. wichtiger wäre es, möglichkeiten und formen heutigen widerstandes zu erörtern. ich bin rechts. battle on.

Horst Oltmannssohn / 07.06.2025

Inzwischen sind wir Leibeigene der Pharmaindustrie, die ihre „sicheren und wirksamen“ Impfstoffe an uns ausprobiert. 500 Jahre Fortschritt.

Rudi Knoth / 07.06.2025

@Jochen Lindt Ich dachte immer, daß der Prager Fenstersturz 1618 stattfand und der Dreissigjährige Krieg damit anfing.

Thomin Weller / 07.06.2025

“Weder die Herrschenden von heute noch die protestierenden Landwirte lassen sich eins zu eins mit ihren historischen Vorgängern vergleichen.” Das ist ein ganz großer Irrtum. Die Franzosen lachen über die Deutschen mit den Worten, Ihr hab vergessen den Adel und Kirche zu köpfen. Und so leben alle Deutschen seit 100 Jahren in einen fortwährenden Verfassungsbruch. Und jetzt kam auch noch der Islam und seine Fanatiker und Lärmkultur dazu. “Die ehemalige FDP- und SPD-Spitzenpolitikerin Ingrid Matthäus-Maier, die am 22. Mai an der Diskussion im Karlsruher Schlosshotel mitwirken wird, gestand nach der Lektüre von Darnstädts Buch, dass sie “Tränen der Wut” in den Augen hatte, als ihr das ganze Ausmaß der kirchlichen Einflussnahme auf das Bundesverfassungsgericht bewusst wurde.” Thomas Darnstädt Buch “Verschlusssache Karlsruhe”. Und ja, sie sind wieder da das dritte klappte nicht nun schaffen sie ihr 4. Reich. Die religiösen Schlepperbanden.. ach bringt nichts.

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