Giuseppe Gracia, Gastautor / 01.04.2022 / 12:00 / Foto: Pixabay / 47 / Seite ausdrucken

Kulturkämpfer des Wohlstands

Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit, Handelsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Reisefreiheit. Ob in den USA oder in Westeuropa: Immer mehr politische Bewegungen und Gruppen wollen diese Freiheiten einschränken oder ganz abschaffen. Warum?

Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit, Handelsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Reisefreiheit. Ob in den USA oder in Westeuropa: Immer mehr politische Bewegungen und Gruppen wollen diese Freiheiten einschränken oder ganz abschaffen – im Namen einer neuen, kollektiven Moral, die in Zukunft über der Freiheit des Einzelnen stehen soll. Eine Moral im Namen von Anti-Diskriminierung, Anti-Rassismus, Anti-Faschismus und Klimaschutz. Ich nenne die Akteure dieser Bewegungen „Kulturkämpfer 2.0“: Sie prägen seit einigen Jahren unseren politisch-medialen Mainstream und haben dem Lebensstil und der Kultur, dem sie ihre Bildung und ihren Wohlstand verdanken, den Kampf angesagt.

Zugespitzt formuliert, stehen auf der einen Seite dieser Auseinandersetzung jene, die den Glauben an die individuelle, religiöse und politische Freiheit als elementar betrachten und grundsätzlich verteidigen. Ihnen gegenüber stehen jene, die Missbräuche und Ungerechtigkeiten einer marktliberalen, kapitalistischen Gesellschaft beklagen und einen „Systemwechsel“ fordern. Damit verbunden ist der Glaube an einen neuen Kollektivismus der gerechten, zukunftsweisenden, umweltschonenden Gesinnung. Der Glaube an eine internationale politische Macht, welche die Freiheit der Bürger umverteilen muss. Eine Macht, welche unsere Freiheit gesellschaftsverträglich einhegen muss – denn auf der Welt gibt es einfach zu viele unsolidarische, egoistische Personen.

Viele Debatten, von denen wir zurzeit täglich in den Nachrichten erfahren, drehen sich unter der Oberfläche um diese Grundpositionen, in Bewegung gehalten von digitalisierten, moralisierten, emotionalisierten Aktivisten, die fundamental infrage stellen, was bis vor wenigen Jahren noch als Erfolgsgeschichte des Westens verstanden wurde. Aktivisten, die uns „erlösen“ wollen vom toxischen, patriarchal-imperialen Kapitalismus. Die Menschheit verbessern. Das Weltklima retten. Die Kultur reinigen – reinigen von weißen männlichen Rassisten, Sexisten und Faschisten.

Geboren auf dem Campus

Diese neo-revolutionäre Stimmung – geboren unter anderem in den Vereinigten Staaten von Amerika – entstand auf dem Campus von gut dotierten Universitäten, von Hochschulen des Wohlstands, und prägt seitdem Studenten und künftige Führungskräfte. Studenten und Führungskräfte, die zwar Kinder des Wohlstands sind, aber gerade gegen jene Werte und Lebensmodelle ins Feld ziehen, denen sie ihre Privilegien verdanken.

Das Phänomen wirkt wie eine Mischung aus kultureller Selbstdemontage, Geringschätzung der Vorfahren und einem neuen, einem moralischen Puritanismus. Einem Puritanismus, der mit Sprachpolizei arbeitet, mit Gesinnungspolizei und sprungbereiten Social-Media-Mobs – drapiert mit Regenbogenfahne, Klimaziel und Genderstern.

Fridays for Future, Black Lives Matter, #MeToo, Critical Race Theory: An der Oberfläche tauchen ganz diverse Anliegen auf. Wir hören von Umweltschutz und Klimawandel, vom Kampf gegen strukturellen Sexismus und gegen Sextäter in Machtstellung, vom Schutz von LGBTIQ*-Menschen und von Bestrebungen, Rassismus an allen Fronten und vor allem in der Rechtsprechung zu bekämpfen.

Systemisch ungerecht

Schaut man jedoch genauer hin, dann haben alle diese Bewegungen unter der Oberfläche eine gemeinsame Stoßrichtung: Sie alle richten sich im Kern gegen den Liberalismus. Sie alle empfinden die westliche Kultur als „systemisch“ ungerecht. Als rassistisch-imperialistisch-frauenfeindlich. Als umweltschädlich, transphob, islamophob und so weiter. Als Medizin empfehlen sie mehr Staat und weniger Bürgerfreiheit. Und sie haben ein Problem mit dem Christentum. Sie lehnen zwar nicht grundsätzlich Religionen ab, sondern nehmen etwa den Islam in Schutz oder begeistern sich für den Buddhismus und asiatische Spiritualität. Doch sie haben ein Problem mit dem traditionellen Christentum, das die weltanschaulich-moralische Grundlage des Abendlandes bildet.

Das wirft die Frage auf, wie es so weit kommen konnte. Wie ist es möglich, dass in den letzten Jahren antifreiheitliche und antichristliche Bewegungen so erfolgreich wurden, dass sie es schafften, den öffentlichen Mainstream zu prägen? Wie ist es möglich, dass heute mehr und mehr antiwestliche Ideologien das westliche Kulturschaffen dominieren? Dass Millionen junger Menschen sich gegen die Kultur ihrer Eltern und Großeltern aufbringen lassen? Wieso vertrauen diese Jungen, die alle Freiheiten haben, den Grundlagen dieser Freiheit nicht mehr? Ob Klimakrise, Pandemiekrise, Wirtschaftskrise oder Geschlechtergerechtigkeit: Statt auf Forschung, Markt und mündige Bürger setzt man lieber auf den Staat als Vormund – Gesetze, Steuern und Quoten.

Wie ist das möglich, obwohl der Westen nicht nur den größten Massenwohlstand der Geschichte hervorgebracht hat, sondern auch den größten Grad an gesellschaftlicher Freiheit? Kreativität, Innovation und Fortschritt für hunderte von Millionen: Welche andere Kultur kann einen solchen Leistungsnachweis vorweisen?

Es ist schwer zu erklären, warum diese Traumbilanz von vielen als Alptraum-Bilanz betrachtet wird. Ist es Blindheit für den Rest der Welt? Ist es moralische Dekadenz, Wohlstandsverwahrlosung? Oder steckt mehr dahinter?

 

Dies ist ein Auszug aus „Utopia-Methode“ von Giuseppe Gracia, 2022, Basel: Fontis-Verlag. Hier bestellbar.

Foto: Pixabay

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Georg Dobler / 01.04.2022

Eine mögliche Antwort:  Folgt man den uralten Religionen so wurde diese unsere Welt nicht geschaffen um andauernd in Wohlstand Glück und Frieden zu leben. Nach dem Sündenfall am Baum der Erkenntnis wurden wir in die extra dafür geschaffene Welt (Urknall) geschickt um hier “unser Brot im Schweiße des Angesichts” zu verdienen. Ein großer lang andauernder Lern- und Erkenntnisprozess begann und soll nach langer langer Zeit (der Buddhismus spricht vom Rad der Wiedergeburten) erst wieder im Paradies in der Einheit mit Gott enden. Im Wohlstand ohne Anstrengungen kommt man diesem Ziel keinen Schritt näher. Deshalb sind wir so geschaffen dass wir ständig kämpfen müssen, mit Wiederspruch, Streit, Verrat und Machtkämpfen konfrontiert sind, das Erreichte zerstören und wieder neu aufbauen müssen. Im Hinduismus wird dies durch die Götter für die Erschaffung, der Zerstörung und der Erhaltung (Brahma, Shiva, Vishnu) symbolisiert. Ähnliches im Christentum (Drei-einiger Gott) und im Ägyptischen Totenbuch. Komme Keiner dass doch alle Religionen verschieden sind. Bei genauem Hinsehen sind das nur verschiedene Verpackungen mit gleichem Inhalt. Sollte dies zutreffen dann folgen die heutigen Kulturkämpfer, so bescheuert es auch aussieht, nur einem inneren Drang. Nach den alten Lehren folgt auch der 7- und 70 Jahres-Rhythmus bestimmten Gesetzen, man beachte dass die Sowjetunion so ziemlich genau nach 70 Jahren unterging und nun rechne man bitte mal dass die Bundesrepublik 1949 gegründet wurde und addiere 70 Jahre ...  klar, es passt nicht immer (DDR), lohnt sich trotzdem mal wieder hinzu sehen, die Rückbindung zu suchen. “religo” heisst ich binde zurück, ich bemühe mich um den Anfang.

Peter Zinga / 01.04.2022

Die Antwort ist kurz: Wohlstandverblődung…

Wolf-Dieter Schleuning / 01.04.2022

Was mehr dahinter steckt? Der Kulturmarxismus, der das westliche akademische, künstlerische und intellektuelle Leben völlig unterwandert und vergiftet hat. Seine Ahnen sind Georg Lukacs und Eduardo Gramsci, seine Epigonen die Frankfurter Schule und die französischen Poststrukturalisten, seine gegenwärtigen Verkünder u.a. Judith Butler und immer noch Jürgen Habermas.

sybille eden / 01.04.2022

Die Antwort steht bei Roland Baader, - in seinem Werk : ” Totgedacht. Warum Links-intellektuelle die Welt zerstören.”

Hans Meier / 01.04.2022

Herr Garcia, ich halte es für Designerdekadenz. Ein Mangel an kreativer Intelligenz, in Dubai tagt aktuell Klaus Schwab mit seinem Verein. Fragt sich wie sind denn diese Teilnehmer + Innen dressiert? Wer versorgt die denn mit „Input“, was picken die denn auf der Forum-Farm der „Champions of united Esprit“ und wie ist denn der „Output“? 1.) Bleibt die Zeit nicht stehen. Auch dann nicht, wenn ihr statisches Denken, die Hühner und ihre Halter plötzlich und unerwartet überrascht. Kein Grund zur Panik, der Fuchs frisst nicht alle auf einmal, das schafft der nicht, der ist nicht dumm. 2.) Es läuft wie immer, in Schritten ab. Nach dem Erstaunen und Entsetzen auf der gefiederten Champions-Farm, kommen geniale Experten-Lösungsvorschläge. Man ändert die Drehrichtung, z. B. beim Energiewenden, Verkehrswenden, Elektrowenden, Klimawenden oder Geldwechseln. Das wird nicht so einfach. Bisher saßen die Hühner und Hähne ja stolz auf den Sitzstangen. Das war bequemer, als daran kopfunter zu hängen. 3.) Das globale universitäre Gegacker macht zwar vom Design, ob in Dubai oder Davos, so einiges im „World Economic Forum“ her, aber nicht im Ergebnis. Wie denn auch? Hähne sind nicht fähig goldene Eier zu legen, Hühner werden in diesem Punkt auch überschätzt. 4.) Die „Festivals des World Economic Forum“ zu Ehren der größten Kapitalhalter des Westens, die auf den höchsten Kapitalpyramiden thronen, können die Zeit auch nicht anhalten, in der sich die Relationen transformieren. 5.) Es geht auf Ostern zu. Die „Überraschungseier“ mit denen die Western-Farm-Gockel von der Wallstreet sich Kapitalnachwuchs bebrüten lassen wollen, sind dummerweise faul. Sie haben versäumt sie mit Intelligenz befruchten zu lassen. Da kommt keine Freude auf. Jetzt wird`s draußen wieder schön grün, weil die Sonne aus dem CO2 die Blätter und Blumen wachsen lässt und uns Sauerstoff macht, obwohl wir dafür „Klimaschutz-Zertifikate“ für viel Geld bei den Hühnerhaltern an der Wallstreet, zum Zahlen gezwungen werden.

Bernart Welser / 01.04.2022

“... und sie werden nicht mehr frei ihr ganzes Leben… “

Stefan Riedel / 01.04.2022

Ver 00000 ecke. Ich sollte dann doch? So viele Nullen auf einem Haufen. Nullen ?

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