Kultur-Kompass: „Zur Kritik der instrumentellen Vernunft“.

Der Griff zum Buch des linken Vordenkers Horkheimer lohnt sich auch im Jahre 2022.

Was früher intellektuell und avantgardistisch war, ist heute grundsätzlich massentauglich und altbacken. Die Rede ist von Teilen der politisch Linken und ihren Perlen des Irrsinns: Das ins Abstrus-Lächerliche gezogene Opfernarrativ, die ad absurdum geführte Dekonstruktion von Begriffen oder die Ablehnung von Logik und Argumentation als patriarchalische Herrschaftsinstrumente.

Könnten sie es, so würden sich die Vertreter der „Kritischen Theorie“ im Grabe umdrehen. Denn zumindest Max Horkheimer warnte bereits vor diesen Auswüchsen intellektueller Unfähigkeit, die in einen Verlust der individuellen Freiheit münde. Und das vor 55 Jahren, mit seinem Werk „Zur Kritik der instrumentellen Vernunft“.

Toxische Männlichkeit

Ausgangspunkt stellt für ihn die „instrumentelle Vernunft“ dar, das ausschließliche Denken in Nützlichkeit und Funktionalität, eigene Befindlichkeiten und Strebungen heiligten den Zweck. Das ist totalitäre Politik auf individueller Ebene. Denn: „Denken an sich tendiert dazu, durch stereotypisierte Ideen ersetzt zu werden.“ Man denke nur an gedankliche Verallgemeinerungen, die alle Männer der „toxischen Männlichkeit“ beschuldigen und alle Frauen in der Position des Opfers sehen. Dieses schematische Denken schießt heutzutage geradezu kometenhaft, wie Pilze nach dem Regen aus dem Boden.

Fehlende Kompetenz, genauer gesagt fehlende Intelligenz, sieht Horkheimer hierfür als ausschlaggebend: „Die Vorliebe für unkomplizierte Worte und Sätze, die auf Anhieb zusammengestellt werden können, ist eine der anti-intellektuellen, anti-humanistischen Tendenzen, die in der Entwicklung der modernen Sprache wie auch im kulturellen Leben im Allgemeinen sich offenbaren“. Um seine Diagnose zu aktualisieren: Neben der „Einfachen Sprache“, WhatsApp und Twitter kommt noch die visuelle Kommunikation hinzu, mittels SnapChat oder TikTok.

Das unentrinnbare Schicksal des Durchschnittsmenschen

Wer sich gerade von diesen Mitteln „beherrschen“ lasse, fokussiere sich zu sehr auf die Meinung der anderen und sehe seine persönliche Selbstverwirklichung in einem übersteigerten Konformismus. Das sei eben das unentrinnbare Schicksal des Durchschnittsmenschen. Denn: „Ein Denken, das nicht den Interessen einer etablierten Gruppe dient oder sich nicht auf das Geschäft einer Industrie bezieht, hat keinen Ort, wird als nichtig oder überflüssig erachtet“. Unweigerlich denkt man an die allzu bereitwilligen Impflinge und Freunde der Maske, die übereifrig gendernde Regenbogenfraktion und die Kämpfer gegen „rechts“. Für individuelles und differenziertes Denken bleibt da kein Platz.

Wie gefährlich dieses gruppenbezogene Denken sei, führt Horkheimer auch aus: „Wenn die Unterschiede zwischen den Berufen, zwischen Dorf und Stadt, zwischen Arbeitszeit und Freizeit, zwischen Kind und Jüngling, weiblicher und männlicher Gesinnung jetzt sich angleichen, so werden die Menschen einander gleich, ohne daß sie sich einander nähern“. Sie sind in der Gruppe und doch allein.

Ausgesuchte Experten

Dieser Zustand begünstige den „autoritären“ und „sadomasochistischen“ Charakter derer, die sich ungezügelt mit allem Mächtigen identifizierten. Sie gierten geradezu nach Erfolg, Popularität und Einfluss. Hört sich das nicht irgendwie bekannt an? Die geradezu kritiklose Berichterstattung vieler Medienschaffender. Die häufig liebedienerischen Empfehlungen ausgesuchter wissenschaftlicher Experten. Die übereifrige Übernahme des Gendersterns in den Verlagen. Undsoweiterundsofort.

Summa summarum: Es lohnt sich, Horkheimers „Zur Kritik der instrumentellen Vernunft“ noch einmal zur Hand zu nehmen. Die etwas mehr als 200 Seiten sind jede Leseminute wert. Nicht nur weil der linke Intellektualismus der Gegenwart kläglich versagt, sondern auch weil Horkheimers Gedanken immer noch aktuell sind.

Horkheimer, Max (1967/2007). „Zur Kritik der instrumentellen Vernunft“. Frankfurt/Main: Suhrkamp. Hier bestellbar.

Foto: Deborah Ryszka

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ralf heinritz / 29.05.2022

Wie Benedikt Diller bemerkt hat, rückte Horkheimer nach Auschwitz von vielen seiner alten kommunistischen Weisheiten ab. Außerdem mochte er comic strips, was ja auch schon mal ein gutes Zeichen ist. Ich denke mittlerweile, das ausgerecht der von Adorno und Horkheimer wohl eher verachtete ex-Stalinist und ex-KPD Mann K. A. Wittfogel das für uns heute bedeutendste Werk der Frankfurter Schule - Tradition verfaßt hat: Oriental Despotism.

sybille eden / 29.05.2022

Danke, Frau Ryszka. Warum muss ich bei “einfacher Sprache”  immer an das Merkel denken ?

Johannes Schuster / 29.05.2022

Horkheimer ist wider Willen eine gewaltige Einflußgröße auf mein Interesse gewesen. Doch was ist die Umkehrung des Schicksals kraft Willen zum Nichtssein: Etwas sein und das in der Kunst außerhalb jeder Gesellschaft. Das Wissen um die Soziologie hat mir meine Schulzeit zur Hölle gemacht und meine berufliche Laufbahn um den Mars gewickelt. Schicksal oder Sein ? Nun, ich halte es mit Hannah Arendt: Ich muß den Preis zahlen, damit sage ich nicht, daß ich ihn gerne zahle, auch wenn ich heute nicht mehr ohne das Prädikat leben will für das ich im größten Gram gezahlt habe. Das Privileg der Ausgestoßenheit. Ist das eine Rolle ? Nein, es ist eine fast physikalische Zwangsfolge ob man bereit ist einer Funktion das Ich zu opfern. Lieber fliege ich aus der Ordnung einer Abteilung als aus der Ordnung des Ichs, oder ? Gut man hat dauernd Probleme, aber allein das Problem mit dem Konformisten ist eine Impfung für sich. Draußen vor der Türe ist man auf der Gasse, ich bin nicht Gefangener in einem Haus, ich kann handeln, was auf der Gasse verkehrt. Also: Ist Ausgeschlossenheit von Konformität ein Vor - oder Nachteil ? Man muß um dem unweigerlichen Schicksal eines hündischen Größenklein zu entkommen dafür sorgen, daß man auf der Gasse sein Geschäft machen kann. Soweit ist Horkheimer blanker Kapitalismus.

Gerhard Schäfer / 29.05.2022

Sehr verehrte Frau Ryszka: Zu “Ausgangspunkt stellt für ihn die „instrumentelle Vernunft“ dar, das ausschließliche Denken in Nützlichkeit und Funktionalität, eigene Befindlichkeiten und Strebungen heiligten den Zweck.” // Sie beschreiben hier sehr anschaulich die Auswüchse der utilitaristischen Ethik, wie sie besonders im deutschen Ethikrat praktiziert wird! Wer ein ganzes Volk für den Sozialismus, - egal ob braun, rot oder grün -, gewinnen will, muß die ethischen Grundlagen dafür ändern. Kannte die deontologische Ethik noch Gut und Böse als absolute Werte, so richtet sich die utilitaristische Ethik nach Nützlichkeiten und wird dadurch relativ! Durch diesen Änderungsprozess erodieren dann die althergebrachten Werte einer Gesellschaft. (Ehe, Familie, Gut & Böse, z.B. 10 Gebote usw.). Diese Nützlichkeiten einer relativen utilitaristischen Ethik sind die Voraussetzungen für den Transhumanismus, wobei die Sozialisten (egal welche Farbe) die nützlichen Idioten der Transhumanisten sind. Das Ganze endet dann für die Gesellschaften (wie immer!) in der sozialistischen Hölle! (Verlust von Freiheit! (Analog zu Klaus Schwab: “Ihr werdet nichts besitzen, (noch nicht einmal euren eigenen Körper ( >> Zwangsimpfungen)) und (totun-) glücklich dabei sein.

Helmut Driesel / 29.05.2022

  Müsste es nicht Hoaxheimer heißen?

Hans Max Meier / 29.05.2022

Frau Ryszka da haben „Sie ja ein Fass Äppelwai aufgemacht“. Jede Wette, die „Politvögel“ die uns immer noch belästigen wollten, waren schon Anlaß unsrer Flucht in den Teil „von`ne Unität für de Ingenieure,“ damit „Mann alles Durchblickst“. Das größte Unglück der Welt das sin und bleiben die so „politische Infektionen zum Opfer gefallen sind“. Also die vom Dorf gegangen um noch nichtmal Elektriker zu können, also ab nach Frankfurter Schule für völlig Bescheuerte die schon an 22:7=? Dauerhaft gescheitert sind. In der „Alten Frankenfurtersch(w)ule wo Göhte mal war“ haben ja nach dem ZweitenBlödsinn, solche „feschen Freundchens wie Max Murksheimer und seine Kumpels, Ala Jürgen Labermaß, un Theodoria Adorno, alias Heulwiesengrund“ der hat sogar Musik für Sensen gedengelt und alles was diese „Theorieklemptner nie in ihreren wirresten Behauptungen so beschworen haben“. Ich kannte „einen Anbeter der Altenfrankfurte Knülche“, ständig „links wie Bolle, natürlich überzeugter Veganer, anonymer Millionär mit Oberoldy mit Maserati 6Zylindermotor im Luxusschlitten mit feinrot Sofa vorn“. Der hat felsenfest behauptet er beziehe Ökostrom aus Norwegen. Es bleibt einfach vieles unbegreiflich, wie „viele stolze Tierliebhhaber, ohne eigenes Haustier“, der alten Frankfurterschule Treue wie Eide halten, un im Spiegel „Waschbärhengstchen“ weder sehen können noch ihr „Gewieher von voll geile Stromversorgung“, so überall nur grüngelbekabelt. Das is ja echt „zum Abkneifen un Abzwicken“ infolge neurolgisch nix funktioniert wegen Blackout, bzw. Burnout bzw. IF rausgeflogen, alle Spannung müsste jetzt entspannt sein. Naja so Grande Reflexe sin dann futsch. „Theoretiker sind Praxisflüchtlinge“.

lutzgerke / 29.05.2022

“Mit einer aus zeitgeschichtlichen Umständen und persönlichen Erfahrungen verständlichen Konsequenz konstatiert Horkheimer einen Zusammenhang zwischen dem Kapitalismus (der wirtschaftlichen Ordnung der bürgerlichen Gesellschaft) und der Entstehung des Faschismus: Als eine Reaktion auf die Krise des Kapitalismus versuche der Faschismus, den Kapitalismus mit despotischen Mitteln aufrechtzuerhalten. „Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen“, formulierte er (Horkheimer) pointiert am Vorabend des Zweiten Weltkriegs.” wikipedia - ergo sollte die Tagesschau schweigen. Die Marionetten der Faschisten umarmen alles, was sie nicht besiegen können, damit wir nicht dahinter kommen, daß sie selber die braune Gefahr sind, vor der sie uns warnen. Mit Max Horkheimer auch Karl Popper. Das Internet ist deshalb so gefährlich, weil darin ein Ideologiekampf stattfindet. Hier geht es selten um Tatsachen, hier wird der Kuchen geteilt; was die eine Seite ablehnt, schreibt sie der anderen als negatives Merkmal an. Aber die greift das auch noch auf. Na ja, was soll’s. Man kann nur einmal untergehen.

Benedikt Diller / 29.05.2022

Sehr geehrte Frau Ryszka, es ist zwar mittlerweile fast vier Jahrzehnte her, dass ich das Buch gelesen habe, aber ich nehme Ihre Empfehlung gerne zum Anlass, es noch einmal aus dem Regal zu nehmen. Für Ihre These, Horkheimer sei ein linker Vordenker gewesen, können Sie sich allerdings nur auf die selbst fabrizierten Mythen der Alt-68er und ihrer sog. Bewegung berufen. Horkheimer selbst stand, ebenso wie sein Freund Adorno, der “Studentenbewegung” kritisch bis distanziert gegenüber, was Sie vor allem seinen Notizen aus dem fraglichen Zeitraum und dem Briefwechsel der beiden entnehmen können. Die englische Originalausgabe des Buches wurde übrigens bereits 1947 unter dem Titel “Eclipse Of Reason” veröffentlicht.

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