Deborah Ryszka, Gastautorin / 08.09.2024 / 16:00 / Foto: FN / 4 / Seite ausdrucken

Kultur-Kompass: „Was ist digitale Aufklärung?“

Dass es sich lohnt, immer wieder einmal Klassiker in die Hand zu nehmen, das bestätigt der Philosoph, Jörg Noller. Mit Immanuel Kant.

Zum Kant-Jahr (Kant hätte am 22. April seinen 300. Geburtstag gefeiert). Zum Thema der digitalen Aufklärung. Mit seinem Buch „Was ist digitale Aufklärung? Mit Kant zur medialen Mündigkeit“. Indem er Kants Verständnis der Mündigkeit zeitgerecht auf digitale Techniken und Medien überträgt. Endlich! Denn: Smartphones und Tablets, YouTube und Instagram, WhatsApp und X, sie alle sind schon fast zwanzig Jahren kaum mehr aus unserem Alltag wegzudenken. Sie sind erweitertes Gedächtnis, virtuelle Schule oder alternativer Freundestreff. Unabhängig von Raum und Zeit, immer präsent, überall erreichbar. So haben sie das menschliche und zwischenmenschliche Leben einschneidend verändert.

Deswegen gilt es sorgsam damit umzugehen, was auch direkt zur These der Philosophen Noller führt: Digitale Technologien und Medien seien per se nicht böse oder gut. Erst der menschliche Gebrauch führe zu negativen oder positiven Konsequenzen. Daher müsse die Gefahr einer digitalen Unmündigkeit näher untersucht werden. Und genau das ist auch das Ziel Nollers mit seinem Buch. Dem Leser nicht nur darzustellen, wie wichtig eine „digitale Mündigkeit“ sei, sondern diesem auch gewisse Handlungsanweisungen zu präsentieren.

„Mündigkeit“ begreift Noller hiernach, angelehnt an Kant, als einen selbstdenkerischen und reflektierten Umgang mit digitalen Technologien und Medien (Kants „Sapere aude!“), der letztendlich ein selbstbestimmtes Leben ermögliche. Noller formuliert es wie folgt: „Wie wir die neuen Medien so einsetzen können, dass ihre Vermittlung mit unserer Selbstbestimmung vereinbar ist und diese idealerweise sogar noch vergrößert“.

Ideologisches Denken, Banalisieren und Trivialisieren sowie Dramatisieren gehörten eindeutig nicht in dieses vernünftigen Verhältnis. Um diese alle zu vermeiden, müsse man selbständig denken, sich in andere Perspektiven hineinversetzen und konsequent Denken. Wer jedoch nach diesen Grundsätzen bereits sein analoges Leben gestaltet, der sollte mit dem Erreichen seiner „digitalen Mündigkeit“ nicht allzu große Probleme haben.

„Tempi passati

Um darüberhinaus diese Wichtigkeit einer „digitalen Mündigkeit“ zu untermauern, lässt Noller den Leser in unterschiedliche Bereiche des Lebens eintauchen, in denen digitale Technologien und Medien tatkräftig eingesetzt und genutzt werden. Von der digitalen Politik über die digitale Bildung bis hin zu eine digitalen Philosophie. Stets an konkreten Beispielen orientiert, begreift der Leser, mehr und mehr, wieso die Kategorien von „gut“ und „böse“ nicht auf Smartphone, Instagram und WhatsApp übertragen werden dürfen. Idealerweise kommt er, wie Noller, zu dem Schluss, wie bereichernd die digitale Welt und ihre Techniken sein können. Vorausgesetzt man bediene sich seiner „digitalen Mündigkeit“.

Wer sich demnach für Kant und Digitalität interessiert, muss einfach zu „Was ist digitale Aufklärung?“ greifen. Noller verbindet dort auf etwa 175 Seiten beide Themen gekonnt miteinander und verpackt sie in eine leicht verständliche und schnörkellose Sprache. Doch auch alle anderen machen mit diesem Werk definitiv nichts falsch.

Denn: Noller verdeutlicht indirekt den Wert alter Klassiker, wie Kant, für unsere heutigen Zeiten. Weite Teile der intellektuellen Konkurrenz und ihre Theorien von heute, umhüllt in Regenbogenfarben und dem fanatischen Kampf gegen „rechts“, können mit ihnen einfach nicht mithalten. „Tempi passati“. Doch zum Glück können wir noch immer auf die Überlieferungen der „alten, weißen Männer“ zurückgreifen.

Noller, Jörg (2024). „Was ist digitale Aufklärung? Mit Kant zur medialen Mündigkeit“. Freiburg i. B.: Herder.

Dr. phil. Deborah Ryszka, geb. 1989, Kind politischer Dissidenten aus Polen, interessierte sich zunächst für Philosophie und Soziologie, dann für Kunst und Literatur und studierte Psychologie. Später lehrte sie an verschiedenen Hochschulen und ist seit 2023 Vertretungsprofessorin für Psychologie an einer privaten Hochschule. Zudem schreibt sie regelmäßig Beiträge zu gesellschaftspolitischen Themen und bespricht Bücher.

Die in diesem Text enthaltenen Links zu Bezugsquellen für Bücher sind teilweise sogenannte Affiliate-Links. Das bedeutet: Sollten Sie über einen solchen Link ein Buch kaufen, erhält Achgut.com eine kleine Provision. Damit unterstützen Sie Achgut.com. Unsere Berichterstattung beeinflusst das nicht.

Foto: FN

Achgut.com ist auch für Sie unerlässlich?
Spenden Sie Ihre Wertschätzung hier!

Hier via Paypal spenden Hier via Direktüberweisung spenden
Leserpost

netiquette:

Karl Vogel / 08.09.2024

Interessant sind die vielfältigen Versuche der politischen “Eliten” und ihrer Vordenker (z.B. J. Habermas) uns treusorgend vor den Gefahren unserer - nach deren Auffassung ja wohl nur scheinbaren - digitalen Mündigkeit zu “beschützen”. Offenbar klappt das nicht so richtig, wie man am Wahlverhalten der digitalaffinen Jungwähler erkennen kann. Vielleicht wird noch alles gut.

Thomin Weller / 08.09.2024

Was nützt eine Aufklärung, hier Digital, wenn das größte Datenkartell seit bestehen der Erde über die gesamte Menschheit hinweg absolut undemokratisch beschlossen ist? Da könnte ich mich gleich über die Freiheit des Vakuum auf dem Mond oder Erdnähe unterhalten. Siehe Norbert Häring “Pakt für Digitalzwang.. 7. 09. 2024 Am 22. und 23. September findet in New York ein von der deutschen und namibischen Regierung vorbereiteter UN-Zukunftsgipfel statt. Dabei soll ein Globaler Digitalpakt verabschiedet werden, der unter fast völligem Ausschluss der Öffentlichkeit und – soweit ich weiß – der Parlamente, bereits ausverhandelt wurde.” Gerade New York, der schlimmste Gerichtsstandort der gesamten Erde.

Klaus Erich / 08.09.2024

Ich brauche diesen wunderbaren Artikel nicht mal zu lesen, um zu wissen, dass die sich jetzt an den Hebeln der Macht befindliche Generation ihn nicht versteht. Sie ist einfach zu ungebildet, oder um es plump zu sagen: zu dumm. Sie führt uns schnurstracks in den Untergang unserer Zivilisation und freut sich vielleicht sogar noch darauf… Die einzige Chance wäre eine Gegen-Revolution. Vorbild wäre da zum Beispiel Clint Eastwood und sein Film „Space Cowboys“. Aber das ist wohl nur ein romantischer Traum…

Bernhard Piosczyk / 08.09.2024

“Sapere Aude” stammt eigentlich aus den Episteln von Horaz. I. Kant hat ihn übernommen. Der Spruch ist also über 2000 Jahre alt. Was ist digitale Aufklärung. Das Wort “digital” würde ich streichen. Digital kann helfen, Denken muss du selber. Wie vor 2000 Jahren.

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Deborah Ryszka, Gastautorin / 24.11.2024 / 14:00 / 8

Kultur-Kompass: „Herzensbildung“

Jesuit Klaus Mertes prangert eine fehlende Herzensbildung oder eine falsch verstandene Menschlichkeit in vielen Kreisen unserer Gesellschaft an. Was jedoch Mertes konkret damit meint, kann…/ mehr

Deborah Ryszka, Gastautorin / 17.11.2024 / 16:00 / 0

Kultur-Kompass: „Gespenster wie wir“

Stefan Meetschens „Gespenster wie wir“ lädt statt zum Gruseln zum Lachen, Weinen, Hoffen, Bangen, Genießen und Denken ein. Lang, lang ist’s her, als „Made in…/ mehr

Deborah Ryszka, Gastautorin / 03.11.2024 / 14:00 / 8

Kultur-Kompass: Für ungeneigte Leser

Die hegemoniale Neigung der deutschen Journalisten nach links und zu den Grünen ist so hartnäckig wie die Schlagseite des schiefen Turms von Pisa. Aber es…/ mehr

Deborah Ryszka, Gastautorin / 25.08.2024 / 16:00 / 6

Kultur-Kompass: „Das Atelier“

Die Novelle „Das Atelier“ gibt Einblicke in den ostdeutschen Geist. An der Spree kratzt man sich noch immer den Kopf: „Wieso wählen so viele, besonders…/ mehr

Deborah Ryszka, Gastautorin / 18.08.2024 / 14:00 / 9

Kultur-Kompass: „Heimatlos“

Der Konservative  ist „heimatlos“. Weil er zurückgedrängt wurde. Von links-grüner Seite. Weil er nicht zugelassen wird. Aus Angst vor Machtverlust. Es ist ein Teufelskreis. Der…/ mehr

Deborah Ryszka, Gastautorin / 11.08.2024 / 16:00 / 7

Kultur-Kompass: „Die Essenz des Seins“

Der Psychologe Jordan B. Peterson hat ein neues Buch herausgebracht, in dem er erklärt wie die Trias von Verantwortung, Beziehungen und Gott zu Gesundheit und…/ mehr

Deborah Ryszka, Gastautorin / 04.08.2024 / 16:00 / 0

Kultur-Kompass: „Der Diener des Philosophen“

Felix Heidenreichs Roman „Der Diener des Philosophen“ ist eine amüsante Hommage an Immanuel Kant und passt hervorragend ins Kant-Jahr. Das Leben ist voller Rätsel: hier…/ mehr

Deborah Ryszka, Gastautorin / 28.07.2024 / 16:00 / 4

Kultur-Kompass: „Content“

Hauptsächlich die jüngere Generation baut sich gern ein Leben in der virtuellen Realität auf. Wie beide Leben sich gegenseitig bedingen und aufeinander auswirken, wird im…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com