Deborah Ryszka, Gastautorin / 12.11.2021 / 12:00 / Foto: Jordi Cuber / 20 / Seite ausdrucken

Kultur-Kompass: Wann rufen wir den Vernunftnotstand aus?

Man mag meinen, das Leben sei ein einziger Katastrophenfilm. Unter anderem diesen Irrweg der gegenwärtigen Wissenschaft entlarvt Alexander Ulfig in „Das bedrohte Vermächtnis der europäischen Aufklärung. Wege aus der gegenwärtigen Krise“.

Köln rief im Sommer 2019 den Klimanotstand aus. Nun ruft Bayern, zur Eindämmung der Coronainfektionszahlen, den landesweiten Katastrophenfall aus. Und auch bei den beiden frisch Vermählten, wer kennt sie nicht, „Anika“ und „David“ aus der TV-Sendung „Hochzeit auf den ersten Blick“, kriselt es.

Krise über Krise über Krise reiht sich an. Man mag meinen, das Leben sei ein einziger Katastrophenfilm. Womöglich rührt daher dieser verbissene, fast fanatische Griff vieler gen Wissenschaften? Wie an einem Rettungsanker, der vor den Wellen weiterer Katastrophen schützen soll? Zumindest der Slogan „Folge der Wissenschaft“ ist in aller Munde. Allen voran bei den Huldigern Gretas und ihren Klimajüngern.

Daher sollte man meinen, dass gerade sie, als „Freunde“ der Wissenschaft, Neutralität, Unparteilichkeit und Objektivität zu schätzen wissen. Und sich nicht von Panik und Hysterie leiten lassen. Für die Wissenschaft, für die Weitsicht, für die Welt. Doch im Ergebnis greift hier „nur“ die instrumentelle Pseudowissenschaft um sich.

Weder alarmistisch noch panisch

Wissenschaft dient hier nur als Mittel zum Zweck, zur Bestätigung der eigenen Weltsicht. Was am Ende raus kommt, steht von vornherein fest, hängt maßgeblich von der politischen Couleur ab. Von wissenschaftlicher Unabhängigkeit kann hier keine Rede mehr sein.

Unter anderem diesen Irrweg der gegenwärtigen Wissenschaft entlarvt Alexander Ulfig in „Das bedrohte Vermächtnis der europäischen Aufklärung. Wege aus der gegenwärtigen Krise“. Doch keine Sorge. Es ist kein Katastrophenroman für Roland-Emmerich-Fans. Kein Remake mit Feder und Papier von „The Day After Tomorrow“.

Kurzer Einschub: Für alle Regenbogenfahnenschwenker und Gendersternastrologen gilt nun Triggerwarnung. Ulfig operiert, anders als Gesinnungs- und Aktivismuswissenschaftler, weder alarmistisch noch panisch. Ausschließlich nüchtern und sachlich. Für ideologiebesaitete Aktivisten, mit Hang zum Katastrophisieren, kann das wie ein Buch mit sieben Siegeln wirken.

Denn Ulfig beleuchtet wissenschaftlich, welche realistische Gefahr zum einen seitens neuer Ideologien, wie politische Korrektheit, Gender und Diversity, und zum anderen seitens des politischen Islam für die europäische Aufklärung ausgeht. Angelehnt an Karl Marx könnte man auch pointiert sagen: Die grüne und islamistische Revolution frisst ihre Kinder. DAS wäre doch Material für einen neuen Emmerich-Film?

„Allianz der Linken mit dem Islam“

Um seine These zu untermauern, geht der Wissenschaftsfreund Ulfig systematisch und rational vor. In jedem der zehn Kapiteln definiert er Begriffe und/oder rezipiert verschiedene Theorien. Von den Grundlagen wissenschaftlichen Arbeitens, wo er Begriffe wie „Beobachtung“, „Experiment“ oder „Hypothese“ definiert, bis hin zur Geschichte der Aufklärung, die er mit Theorien von etwa Immanuel Kant und Georg W. F. Hegel besetzt. Und nicht zu vergessen, Phänomene und Strömungen, die er aufgreift, wie den „Individualismus“ und die „Kritische Theorie“.

Darüber hinaus weist der Aufklärungspassionat Ulfig auf die logischen Widersprüche politisch linker Systeme hin. So etwa auf die „Allianz der Linken mit dem Islam“. Unter anderem ihre Ablehnung von Autoritäten und Hierarchien oder ihr Engagement für ein kritisches Denken seien mit dem Islam inkompatibel. Folglich entlarvt Ulfig das gegenwärtige linke Agieren als pure Ideologie - im Gegensatz zum linken Programm der letzten Jahrzehnte.

Eben diese Widersprüchlichkeit zeigt er auch im Verhältnis der politisch Linken zum Genderismus auf. „Wie können Frauenrechte, also Rechte, die offenbar nur Frauen in Anspruch nehmen können, als Menschenrechte, also Rechte, die für alle Menschen gelten sollen, betrachtet werden?“. Für alle die das Denken und die Logik schätzen eine durch und durch berechtigte Frage.

Hass auf alle Männer

Offensichtlich steht aber die Vernunft nicht hoch im Kurs. In unserer Zeit der Postmoderne. Daher lautet auch Ulfigs Fazit: „Die philosophische Postmoderne ist der größte intellektuelle Irrtum unserer Zeit. Ihr Hauptanliegen ist es, bestehende Strukturen zu zerstören, sie zu dekonstruieren“.

Eben diese Zerstörungswut geht Ulfig exemplarisch an Radikalfeministen durch. Narzisstische Frauen wünschen sich (unbewusst) einen Mann, der sie versorgt. Der Mann wird diesem Anspruch nicht gerecht. Die narzisstische Frau ist enttäuscht. Folglich entwickelt sie einen Hass auf alle Männer. Nun wendet sie sich entweder dem weiblichen Geschlecht zu oder sie wird zur Radikalfeministin.

Im Gegensatz zu den restlichen scharfsinnigen und treffenden Aussagen Ulfigs, kommen bei dieser Interpretation Zweifel auf: Sind radikale Feministinnen gerade nicht diejenigen Frauen, die trotz Frauenquote und Frauenförderung ihre Ambitionen nicht verwirklichen können? Frauen, die es zum Beispiel nicht zur Professorin geschafft haben?

Frauen, die für viele Männer nicht attraktiv sind, und daher gezwungen sind, das Leben alleine zu meistern? Frauen, die zu hohe Ansprüche an Männer haben, aber selbst wenig bis gar nichts zu bieten haben? Frauen, die sich alle Rechte nehmen, aber keinerlei Pflichten bereit sind zu übernehmen?

Balsam für die wissenschaftlich-vernünftige Seele

Sind daher Radikalfeministen nicht eher gescheiterte Existenzen? Sowohl in Karriere als auch in der Paarbeziehung? Frauen, deren Hass gegen die Welt im Allgemeinen und gegen Männer im Konkreten sie nur am Leben hält? Selbstverständlich ist Ulfigs Erklärung nachvollziehbar. Aber letztlich ist sie nur ein kleines Puzzlestück, das den Hass gegenüber Männern in Gänze aufklären kann.

Trotz Ulfigs hier wenig überzeugender Argumentationskette ist „Das bedrohte Vermächtnis der europäischen Aufklärung“ grundsätzlich Balsam für die wissenschaftlich-vernünftige Seele. Indem Ulfig sich von der Vernunft leiten lässt, bleibt er standhaft gegenüber Ideologien oder Parteiprogrammen.

Deswegen ist sein Werk auch nicht unbedingt als Bett- oder Strandlektüre zu empfehlen. Die knapp 120 Seiten können schon eine wissenschaftliche Party im Kopf anrichten. Selbstverständlich ist bei dieser Party alles coronakonform und in 2G. Das nur der Sicherheit halber als Anmerkung für alle „Coronapologeten“. Jedenfalls sollte man beim Lesen klar bei Verstand und bei Sinnen sein.

Doch gerade die fehlende Vernunft und Einsicht, von der Ulfig spricht, sind gegenwärtig die größte Katastrophe unserer Zeit. Wir leben in einer Zeit der Verklärung. Das lässt die Frage aufkommen: Wann skandieren Liebhaber der Vernunft endlich „Folge der Aufklärung“? Wann ruft Köln endlich den Vernunftnotstand aus? Und wann verkündet Bayern endlich den landesweiten Vernunftausfall? Heißt es wenigstens bald: „Roland Emmerich to be continued?“

 

Ulfig, Alexander (2021). „Das bedrohte Vermächtnis der europäischen Aufklärung. Wege aus der gegenwärtigen Krise“. Baden-Baden: Deutscher Wissenschaftsverlag (DWV). Hier bestellbar.

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Leserpost

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Jürgen Fischer / 12.11.2021

Erinnert mich an den Witz von dem Bürger, der den diensthabenden Beamten, nachdem dieser zum x-ten Mal mit hirnrissigen Begründungen sein Anliegen abgeschmettert hat: „Nehmen Sie doch Vernunft an!“ - „Tut mir leid, als Beamter darf ich nichts annehmen.“ Apropos annehmen, ich rätsele seit Monaten, wie es sein kann, dass die BMGF in ihrer Spendenübersicht auch das RKI erwähnen kann: darf das RKI als Bundesbehörde überhaupt Spenden annehmen? Während ein kleiner Beamter schon ein dickes Disziplinarverfahren an der Backe hat, wenn er nur einen Kleckerbetrag annimmt und es rauskommt?

Gerhard Hotz / 12.11.2021

Die Vernunft ist eben nur die Sklavin der Leidenschaft (David Hume, schottischer Philosoph).

Uwe Schäfer / 12.11.2021

Sehr guter Artikel und bestimmt lesenswertes Buch, da Balsam für die geschundene Seele. Aber 17,95€ für 120 Seiten sind mir einfach zu happig.

Rolf Mainz / 12.11.2021

“Europäische Aufklärung”. Fragen Sie einmal testweise aktuelle “Abiturienten” oder “Studierende” danach, was sie sich unter dem Begriff vorstellen könnten. Den gleichen Test bei sonstigen Schülern kann man sich ohnehin ersparen.

Ludwig Luhmann / 12.11.2021

@Horst Jungsbluth / 12.11.2021 -“Es ist auch nicht der Islam, der gefährlich ist, sondern es sind jene, die sich hinter dieser Ideologie verstecken und sie so interpretieren, dass einem nur Angst und Bange werden kann.”—- Sie haben ganz offenbar nicht den geringsten Schimmer von Islam.

R.Lichti / 12.11.2021

Das Zerstören an sich ist doch die Grundlage linker Ideologie - schon seit der Teilung der Menschheit in links und rechts in der Nationalversammlung der französischen Revolution: Alles zerstören und dann das linke Paradies auf den Trümmern errichten.   Deshalb passt auch der Feminismus in der hier beschriebenen Form ganz gut ins linke Weltbild.  Nur mit dem Aufbau des Paradieses hat es in den letzten 230 Jahren noch nicht geklappt - trotz hunderter Millionen Menschenopfer.  Aber wie sagte schon der GröSaZ: Opfer müssen gebracht werden…..

Gudrun Meyer / 12.11.2021

Als der Slogan “Frauenrechte sind Menschenrechte” ca. 1980 aufkam, war nur gemeint, dass Menschenrechte auch für Frauen gelten müssen, z.B. das Recht auf körperliche Unversehrtheit, das nicht mit einem Vergewaltigungsrecht des Ehemannes (in Deutschland noch bis 1997) vereinbar war. Die Feministinnen der 1980-er Jahre wiesen im Kontext darauf hin, dass deutsche und westliche Frauen in den allermeisten Situationen durchaus ihre Menschenrechte hatten und sich mit ausdrücklicher rechtlicher und gesellschaftlicher Zustimmung gegen Misshandlungen wehren konnte. Im Einzelfall war das schwieriger, aber das war eine praktische, keine Rechtsfrage. Laut Feministinnen wie Edit Schlaffer und Cheryl Benard bestanden die meisten und schwersten Probleme auch nicht in westlichen, sondern vor allem in islamischen und indischen Gesellschaften, bezüglich der Mädchenbeschneidung auch in einigen nicht-islamischen, afrikanischen Gesellschaften. Sie sagten ausdrücklich: “Im Westen ist es besser, viel besser”. Von geschlechtsspezifischen Bevorzugungen war nicht die Rede, und echte Feministinnen wünschten auch keine. Sie bestanden im Gegenteil auf einer Unteilbarkeit der Menschenrechte, womit sie außer den Radikal"feministinnen” auch den Kulturrelativisten, Islamisten und “Anti"rassisten auf den Zeh traten. Heute werden ihre Bücher nicht neu verlegt, eben weil sie aktueller als je zuvor, aber “rechts” sind. Wer “Die Grenzen des Geschlechts” von Schlaffer/Benard, 1983 bei rororo verlegt, heute liest, erleidet fast einen Schock. Was, das konnte man damals noch sagen, ohne gecancelt zu werden?

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