Kultur-Kompass: Ursprüngliches Denken

Wer eine intellektuelle Herausforderung sucht und wissen möchte, weswegen Erkenntnis objektiv möglich ist bei Philosoph und Theologe Paul Asmus richtig.

Nicht wenige bezweifeln, dass es biologische, und daher auch psychologische Unterschiede zwischen Mann und Frau gäbe. Stattdessen könne man sein Geschlecht jederzeit ändern. Mittels Geschlechts-Telepathie. Von Frau zu Mann, von Mann zu Frau, von Frau sogar zur Blume? Deswegen ist die Welt so chaotisch. Weil Fakten mit der Brechstange und nach Gutdünken umgebogen werden. Weil Fakten nicht als Fakten akzeptiert werden.

Dass es Fakten gibt und dass diese objektiv auch der menschlichen Erkenntnis zugänglich sind, das zeigt hervorragend Paul Asmus in seinem Werk „Das Ich und das Ding an sich. Geschichte ihrer begrifflichen Entwicklung in der neuesten Philosophie“. Es ist zwar keine leichte Lektüre, aber eine, die es sich lohnt zu lesen. Denn sie ist: anspruchsvoll, ideenreich, intellektuell erschlagend.

Das liegt auch am Jahr der Veröffentlichung: 1873, die Endphase des Idealismus nach Immanuel Kants drei Kritiken, Georg W. F. Hegel „Dialektik“, Friedrich Schellings „Transzendentalphilosophie“ und Johann Gottlob Fichtes „Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre“. Statt auf „TikTok“ und „X“ jeden aufkeimenden Gedanken sofort der Außenwelt zu präsentieren und diesen im Anschluss der Vergessenheit preiszugeben, beschäftigte man sich intensiver und länger mit seinen Reflexionen.

Das fulminante Ergebnis dieses reflektiven Gedankenumgangs kann man bei Asmus bewundern, der jedoch nie die Popularität eines Kant oder Hegel erlangte. Das liegt vermutlich an seiner kurzen Lebensphase, nur 35 Lebensjahre erreichte er. Doch rechtfertigen lässt es sich nicht. Denn geradezu als revolutionär muss man seine Philosophie bezeichnen. Schließlich bricht sie mit dem idealistischen Gedanken, der seit Kant in den Philosophiestuben wehte, und bleibt dabei trotzdem der idealistischen Philosophie treu.

„Ursprüngliches Denken“

Asmus’ innovative These? Das „Ich“ und das „Ding an sich“ seien zwar eigenständige Gattungen, doch ohne einander könnten sie nicht existieren. Das eine bedinge zwar in diesem Verhältnis das andere, aber gleichzeitig bewahre es seine eigene Autonomie. Deswegen sei objektiv Erkenntnis dem Menschen möglich: Weil im Prozess des Denkens kein Unterschied mehr zwischen dem „Ich“ und anderen „Ichen“ gemacht werde. Diese Nicht-Unterscheidung ermögliche weiterhin Zugang zu einem gemeinsamen Denken, das weder subjektiv noch objektiv sei und das Asmus als „ursprüngliches Denken“ bezeichnet.

Diesen Gedankengang führt Asmus selbstverständlich wesentlich detaillierter und präziser aus. Einmal, indem er dem Leser prinzipielle Erörterungen seiner Philosophie an die Hand legt. Ein andermal, indem er auf die Fehler und Widersprüche wichtiger (idealistischer) Denker eingeht, wie etwa Kant und Hegel, aber auch Herbart und Schopenhauer. Dabei rekurriert er nicht auf die gesamten philosophischen Systeme dieser Denker, sondern pickt sich nur diejenigen Aspekte heraus, die auch für sein Interessengebiet von Bedeutung sind. Peu à peu werden so dem Leser die Schwächen jener und die Stärken Asmus’ Philosophie bewusst gemacht.

Wer demnach die intellektuelle Herausforderung sucht und wissen möchte, weswegen Erkenntnis objektiv möglich ist, für den geht kein Weg an Asmus’ „Das ich und das Ding an sich“ vorbei. Auf etwa 140 Seiten kann der Leser nicht nur der Argumentation Asmus’ folgen, sondern lernt auch noch etwas über den Menschen Asmus kennen - und das alles ganz ohne Telepathie oder Geschlechts-Telepathie.

Asmus, Paul (1873/2014). „Das Ich und das Ding an sich. Geschichte ihrer begrifflichen Entwicklung in der neuesten Philosophie“. Faksimile-Reprint der 1. Auflage 1873. Berlin: Edition Immanente.

Dr. phil. Deborah Ryszka, geb. 1989, Kind politischer Dissidenten aus Polen, interessierte sich zunächst für Philosophie und Soziologie, dann für Kunst und Literatur und studierte Psychologie. Später lehrte sie an verschiedenen Hochschulen und ist seit 2023 Vertretungsprofessorin für Psychologie an einer privaten Hochschule. Zudem schreibt sie regelmäßig Beiträge zu gesellschaftspolitischen Themen und bespricht Bücher.

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Leserpost

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Ralf Pöhling / 29.09.2024

Damit “ursprüngliches Denken” funktioniert, muss der ganze Propagandamüll in TV und Internet weg. Und nein, ich meine nicht die “Verschwörungstheoretiker” die dort gegen das offizielle Framing ankämpfen, sondern das offizielle Framing des Politik- und NATO Apparates selbst. Hier läuft “tricksen, tarnen, täuschen”. Wer meint, der Sicherheitsapparat bestünde nur aus Polizei und Militär hat nichts begriffen. Der Großteil läuft nicht mit Waffen, sondern mit organisierter Gehirnvernebelung auf allen Kanälen. Ein Großteil der offiziellen Nachrichten beschreibt nicht die Wahrheit, sondern ist Meinungsmache in Verkleidung. Das funktioniert derart gut, dass selbst die Reporter und Redakteure der meisten Sender und Zeitungen nicht merken, dass sie vom internationalen Sicherheitsapparat am Nasenring durch die Manege geführt werden. Und das wirkt dann auf den Zuschauer der “Nachrichten” um so überzeugender, weil die Reporter voller Inbrunst vom dem ganzen inszenierten Käse berichten, als wäre es die Wahrheit. Weil sie es selbst für die Wahrheit halten. Das ist sie aber nicht. Ich sage nur “embedded journalism” und “Matrix”. ;-)

Irene Luh / 29.09.2024

Karl R. Popper [1902-1994], Physiker, Wissenschaftstheoretiker, Vertreter des “Kritischen Rationalismus”. ++ Die Wahrheit ist absolut (alsos für alle gültig, egal ob es denen paßt oder nicht), unabhängig (vom Menschen, egal ob er das wahrnimmt oder nicht) und objektiv (unabhängig vom Subjekt, wie so mancher das sehen will). ++ Sein Werk “Logik der Forschung” gilt noch immer als Standardwerk. ++ Falsifikation, das wissen sehr wenige, führte Popper bis zu den Vorgriechen zurück. Poppers Verdienst ist es diese Tatsache aus dem Staub der Geschichte wieder hervor gebracht zu haben. Er hat es NICHT “erfunden”, sondern dieser wichtigen Denktechnik den Raum wieder gegeben, den es verdient. ++ Desweiteren war Popper ein vorzüglicher Erkenntnistheoretiker. Hier sei sein Buch “Lesebuch” empfohlen, für all diejenigen, die das Denken lernen wollen. Es ist beim UTB-Verlag erschienen. Studenten sollten diesen Verlag kennen. ++ Fazit: der Rationalismus ist FEHLERBEHAFTET. Genau das steht bereits in der jüdisch-christlichen BIBEL. ++ Und das bedeutet den völligen Selbstmord jeglicher pol. Aufklärung. Es sind Blender, Nichtskönner, nichts weiter. Weil sie sehr vieles NICHT sagen und von völlig falschen, nie beweisbaren Annahmen ausgehen, diese zugrunde legen.

Volker Kleinophorst / 29.09.2024

Also mir wurde gestern ein Zitat zensiert, dass bestand aus 3 Zitaten aus Erich Kästners „Die Schule der Diktatoren“. Fine ich echt steil natürlich auch im historischen Kontext und genau da würde ich mal anfangen nachzudenken. Erst die Pflicht und dann die Kür. Und dieses Hegel, Kant Trallala ist sicher interessant, wichtig, ist allerdings so abgehoben so weit weg von der Realität. Kein Schwein kennt die, ihre Ideen schon gar nicht. Ob uns das weiterbringt? Darauf eine Labermas.

Rudi Knoth / 29.09.2024

Ein interessanter Artikel. Eine Frage zu diesem Thema ist, wie die Aussagen der Relativitätstheorie und Quantentheorie den Begriff von der objektiven Welt beeinflussen. Zum Beispiel die Heisenbergsche Unschärferelation. Ebenso die Relativität von Raum und Zeit nach der Relativitätstheorie.

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