Deborah Ryszka, Gastautorin / 24.11.2024 / 14:00 / Foto: Pixabay / 8 / Seite ausdrucken

Kultur-Kompass: „Herzensbildung“

Jesuit Klaus Mertes prangert eine fehlende Herzensbildung oder eine falsch verstandene Menschlichkeit in vielen Kreisen unserer Gesellschaft an.

Was jedoch Mertes konkret damit meint, kann der Leser in seinem neuen Buch „Herzensbildung: Für eine Kultur der Menschlichkeit“ erfahren. Dort weist Mertes auf den fast 160 Seiten auf einen wichtigen Aspekt hin, nämlich das immer stärker werdende Fehlen eines gebildeten Herzens (Mertes spricht auch von „informellen guten Sitten“), das Elend wahrnimmt, erkennt und hilft – und dem die Vereinbarkeit vermeintlicher Widersprüche gelingt. Denn das gebildete Herz weiß: Herz und Kopf schließen sich nicht aus, sie stellen keinen Gegensatz dar. So lokalisiert das gebildete Herz, gleich der biblischen Tradition, den Verstand im Herzen.

Mit intellektueller oder kognitiver Bildung hat das wenig zu tun, wie Mertes betont. So waren es die gebildeten Schichten zur Zeit der Weimarer Republik und später des Nationalsozialismus, die dem Mainstream folgten und gerade den Aufstieg des Nationalsozialismus befeuerten. Viel hat sich seitdem nicht geändert. Die „tempi“ sind augenscheinlich nicht wirklich „passati“.

Ein schlechtes Beispiel

Obwohl Mertes mit der fehlenden Herzensbildung auf eine wichtige gesellschaftliche Wunde aufmerksam macht, so bedient er sich nicht selten unpassender Beispiele. Wie zum Beispiel Angela Merkels Dilemma, zwischen Gesetz und Menschlichkeit zu balancieren, als sie mit dem sogenannten „weinenden Flüchtlingsmädchen“, Deem Sahmil, im Juli 2015 zusammentraf.

Aber wieso ist das gerade ein schlechtes Beispiel? Nicht wenige Flüchtlinge importieren bestimmte Denkmuster aus ihren Heimatländern nach Deutschland – so wie das „weinende Flüchtlingsmädchen“. Ihre Reaktion nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel verdeutlicht das: „From the river to the sea“ veröffentlichte sie. Gibt es hier tatsächlich ein Dilemma? Ein gebildetes Herz kennt die Antwort: selbstverständlich nicht. Warum sollte man für Menschenhass, Unrecht und Bösartigkeit das eigene Recht brechen oder irgendwelche Bürden oder Nachteile auf sich nehmen - es sei denn man ist ein Masochist?

Und genau das ist die Schwachstelle von „Herzensbildung“. Während Mertes Beispiele gibt, in denen muslimischen Protagonisten Menschlichkeit verwehrt werde, weist er gleichzeitig auf Fälle hin, in denen es israelischen Menschen an Menschlichkeit fehle. Trotz seiner richtigen Diagnose, der Unbildung des Herzens, lässt dieser tendenziöse Blick seine Schlussfolgerungen teilweise fragwürdig erscheinen.

Konkrete Schritte

Trotzt dieses Mankos wird im Verlaufe der Lektüre ersichtlich, welch wichtige Stellung zum Beispiel Schule und Lehrer einnehmen. Die Schule, weil sie nicht nur Inhalte, sondern im besten Falle auch ungewollt Werte vermittelt: „Es gibt einen Nutzen, der dazugegeben wird, gerade wenn und weil man ihn nicht direkt pädagogisch anzielt“ (sogenanntes „Nutzenparadox“, das die Herzensbildung anregt). Dem Lehrer, weil er als Vorbild fungiert, mit dem die Schüler tagtäglich konfrontiert sind.

Zu guter Letzt bezieht sich Mertes bei seinem „Curriculum der Herzensbildung“ auf die ignatianischen Exerzitien. Hier nennt Mertes konkrete Schritte, mit denen jeder einzelne durch sein Selbstverständnis die Kernkompetenz der Herzensbildung erlangen kann, nämlich das Lieben: „Ignatius formuliert: ‚Die Liebe muss mehr in die Werke als in die Worte gelegt werden‘.“ Handeln, handeln, handeln. So lautet das ignatianische Credo, und nicht, palabern, palabern, palabern.

Wie jedoch die einzelnen Schritte genau aussehen, und was es ganz genau mit der Herzensbildung auf sich hat, kann jeder für sich selbst herausfinden. Indem er Mertes’ „Herzensbildung“ auf eigene Faust erkundet. Womöglich wird so mancher Russland-Unterstützer und Israel-Hasser sein Herz endlich bilden können. Und somit seine irrtümliche Position korrigieren.

 

Mertes, Klaus (2024). „Herzensbildung. Für eine Kultur der Menschlichkeit“. Freiburg i.B.: Herder.

Dr. phil. Deborah Ryszka, geb. 1989, Kind politischer Dissidenten aus Polen, interessierte sich zunächst für Philosophie und Soziologie, dann für Kunst und Literatur und studierte Psychologie. Später lehrte sie an verschiedenen Hochschulen und ist seit 2023 Vertretungsprofessorin für Psychologie an einer privaten Hochschule. Zudem schreibt sie regelmäßig Beiträge zu gesellschaftspolitischen Themen und bespricht Bücher.

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Leserpost

netiquette:

Michael Hoffmann / 24.11.2024

“Oftmals paaret im Gemüte Dummheit sich mit Herzensgüte” W. Busch

Benedictus Zweifel / 24.11.2024

Merkel als Beispiel: Das Buch kann weg. Menschen mit Herzensbildung tun Gutes auf eigene Kosten. Liebe linke Intelligenzbestien und Judenhasser. Ihr denkt doch immer nur an Euch. Also dann mal los, denkt nur an Euch! Wenn die Hamas und die Hisbollah die “Judenfrage” endgelöst haben werden, was glaubt Ihr, ist dann als nächstes “dran”!

Elizabeth Bennett / 24.11.2024

Gutmenschen sind Sentimentale, die ihre Gefühlsduseleien für die Galerie für Gefühle halten und die um ihrer eigenen Imagepflege (Persönliche Vorteilnahme) willen öffentlich gut dastehen wollen, also letztlich sentimentale Komödie spielen; Herzensbildung hingegen ist nur dem romantisch begabten Idealisten möglich, der weiß, was richtig und was falsch ist und der deshalb befähigt ist, der Wahrheit und dem Guten zuzustreben, auch wenn’s schwer fällt. Auf welcher Seite unsere Dienenden Führer (TM) von UnsereDemokratie (TM) stehen, ist somit hoffentlich bündig erklärt.

Karl Schmidt / 24.11.2024

Auch die Bildung des Herzens fängt im Kopf an. Dazu gehört, dass man einen Schaden nicht sehenden Auges vergrößert. Das wird auch nicht dadurch legitim, dass man vorgibt, anderen zu helfen. Nach meiner Beobachtung gibt es z. B. nur ganz wenige “Unterstützer” von Russlands Imperialismus, aber viele, die nicht bereit sind, die Tötung junger Menschen zu organisieren, weil dies politisch für den Westen (unstrittig) nützlich ist. Es gibt Grenzen, die gebildete Herzen einhalten und nicht überschreiten. Dazu gehört übrigens auch, sich nicht an der Sabotage von Infrastruktur eines Nachbarstaates zu beteiligen und die Strafverfolgung zu sabotieren. Gebildete Herzen wissen nämlich, dass der Zweck nicht das Mittel heiligt.

s.clemens / 24.11.2024

Schade, da hat es die Frau Ryszka aber ordentlich aus der Kurve getragen. Eine Kultur der Menschlichkeit hätte beide Kriege unmöglich gemacht. Aber Bücher schreiben hinterher geht immer….

R. Reiger / 24.11.2024

@ eine falsch verstandene Menschlichkeit in vielen Kreisen unserer Gesellschaft; Schopenhauer: Kriterium der Handlungen von echt moralischem Wert: Legale Handlungen können aus egoistischen Triebfedern hervorgehen, aber nicht echt moralische. … Denn offenbar würden alle durch Motive … hervorgerufene Handlungen immer nur im bloßen Egoismus wurzeln. Dagegen ist das Kriterium der Handlungen von echt moralischem Wert die Ausschließung derjenigen Art von Motiven, durch welche sonst alle menschlichen Handlungen hervorgerufen werden, nämlich der eigennützigen im weitesten (!) Sinne des Wortes. Abwesenheit aller egoistischen Motivation ist also das Kriterium einer Handlung von moralischem Wert. Die moralische Triebfeder: Die moralische Triebfeder muss schlechterdings, wie jedes den Willen bewegende Motiv, eine sich von selbst ankündigende, deshalb positiv wirkende, folglich reale sein; und da für den Menschen nur das Empirische, oder doch als möglicherweise empirisch vorhanden Vorausgesetzte Realität hat; so muss die moralische Triebfeder in der Tat eine empirische sein und als solche ungerufen sich ankündigen, an uns kommen, ohne auf unser Fragen danach zu warten, von selbst auf uns eindringen, und dies mit solcher Gewalt, dass sie die entgegenstehenden, riesenstarken, egoistischen Motive wenigstens möglicherweise überwinden kann. Dieser Forderung entspricht allein das Mitleid. »» DAS HEIẞT, ES LÄSST NICHT JENES SELBST ZU, DAS IM MITGEFÜHL SICH GEFIELE. «« Ergänzung: Der „Politischer Moralismus“ fällt da schon mal vollständig darunter und disqualifiziert sich so schon mal vollständig selbst. Das gilt insbesondere für Aktivisten, denn merke: Aktivisten erkennt man am besten daran, dass sie sich gerne selbst filmen b.z.w. filmen lassen … .. .

Ralf Berzborn / 24.11.2024

Auch Herrn Mertes , möchte ich auf diesem Wege empfehlen sein Kamel anzubinden .

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