Kultur-Kompass: „Das Atelier“

Die Novelle „Das Atelier“ gibt Einblicke in den ostdeutschen Geist.

An der Spree kratzt man sich noch immer den Kopf: „Wieso wählen so viele, besonders freigeistig-künstlerische Köpfe und allen voran im Osten Deutschlands, politisch blau?“. Der Schriftsteller, Uwe Tellkamp, liefert allen, denen der Kopf juckt, die Antwort. Mit seiner Novelle „Das Atelier“.

Seine Antwort ist dabei so einfach, wie einleuchtend. Mit Extremismus hat es mitnichten zu tun. Weder mit Rechts- noch Links- oder irgendeinem sportlichen Extremismus. Nein. Es geht, schlicht und ergreifend, um die deutsche Kultur: Um Caspar David Friedrich und Johan Christian Clausen Dahl, um Otto Dix und Hermann Glöckner, um Neo Rauch und Axel Krause, undsoweiterundsofort.

Doch „Das Atelier“ ist nicht nur eine Tellkamp’sche Führung durch die Sternstunden der deutschen Geschichte. Es ist auch ein Zeitdokument über die ostdeutsche Mentalität, wo man, anders als in weiten Teilen Westdeutschlands, noch die deutsche Kultur pflegt und sich mit ihr tiefgreifend auseinandersetzt – auch in der intellektuellen Szene. Indem man selber schreibt oder malt oder bildhauert. Indem man die Werke altehrwürdiger Künstler und die der Kollegen genießt und begutachtet. Oder indem man ganz genüßlich den regionalen Wein und den heimischen Postelein verzehrt. Mit Nationalismus hat das rein gar nichts zu tun. Eher mit der Würdigung und Anerkennung des Schönen und der Erkenntnis.

Die ostdeutsche Kunstszene

So stehen im Zentrum Tellkamps Erzählung die beiden Künstler Martin Rahe (samt seiner Frau Nina Schmücke) und Thomas Vogelstrom. Vermutlich repräsentieren alle bedeutende Vertreter der Neuen Leipziger Schule. Rahe Neo Rauch, Nina Schmücke Rosa Loy und Vogelstrom Axel Krause. Der passive, sich im Hintergrund aufhaltende Ich-Erzähler, der Schriftsteller Fabian, exemplifiziert hingegen den Autor höchstpersönlich, Uwe Tellkamp:

Beobachtend, suchend, findend bewegt sich dieser durch die Welt der Kunst und Kunstszene, allen voran der ostdeutschen Kunstszene. Informative und stichhaltige Exkurse über verstorbene Künstler und deren Kunstwerke wechseln sich hierbei mit schnelllebigen Zusammenfassungen ab. Dort der Maler Osmar Schindler, da sein Werk „Junge Frau vor gelbem Grund“ und hier das Jahr 1905, mit einer russischen Revolution, dem Tod Jules Vernes und einer kurzen Geschichte des Rollkragenpullovers. Schließlich ziert eine Frau mit weißem Rollkragenpullover das Bild mit Entstehungsdatum 1905.

Amüsante Dialoge im Thomas Bernhard’schen Ausmaße runden das Ganze noch einmal ab und sorgen für den nötigen inhaltlichen wie formalen Schliff. Dem doch intellektuell anmutenden Lesestoff (über Kunst und Kunstgeschichte) stellen die teilweise leidenschaftlich gespickten Gespräche das komplementäre Gegengewicht dar: „Kunst-Sparschweine, Kunst-Lumpen, Kunst-Gesindel! Drittmitteleinwerbung, Gremienarbeit, Gequatsche den ganzen Tag, vor allem gehe es um eines: Wer bekommt welchen Posten.“, wie der Protagonist Vogelstrom bemerkt.

Erbe, Ambition und Stolz

Als „Kunst-Lumpen“ würde Vogelstrom Tellkamps „Das Atelier“ mit Sicherheit nicht bezeichnen. Wohl eher als „Kunst-Werk“. Denn das ist es: eine schriftstellerische Meisterleistung, die weder politisiert noch karikiert oder anklagt. Tellkamp verbindet ausschließlich eine konzise und präzise Sprache mit kunsthistorischen und künstlerischen Fakten. Ganz ohne Schnörkeleien und ohne Beschönigungen. Stets auf den Punkt kommend.

Folglich ist „Das Atelier“ als eine realistische Erzählung der ostdeutschen Wirklichkeit anzusehen, bei der handwerkliches Talent auf intellektuellen Geist trifft. Dem Leser eröffnet sich so auf ungefähr über 100 Seiten ein hervorragender Einblick in den intellektuellen Geist, der durch den Osten Deutschlands weht: über das kulturelle Erbe, über die intellektuelle Ambition und über den Stolz auf die eigenen kulturellen Errungenschaften.

Obwohl das Werk bereits aus dem Jahr 2020 stammt, hat es an der Beschreibung ostdeutscher Wirklichkeit kaum an Aktualität verloren und kann so manche Wahlergebnisse erklären. Doch wie der große Karl Kraus bereits wusste: „Ein Witzbold: Kopfjucken ist keine Gehirntätigkeit“.

Tellkamp, Uwe (2020). „Das Atelier“. Dresden: edition buchhaus loschwitz.

Dr. phil. Deborah Ryszka, geb. 1989, Kind politischer Dissidenten aus Polen, interessierte sich zunächst für Philosophie und Soziologie, dann für Kunst und Literatur und studierte Psychologie. Später lehrte sie an verschiedenen Hochschulen und ist seit 2023 Vertretungsprofessorin für Psychologie an einer privaten Hochschule. Zudem schreibt sie regelmäßig Beiträge zu gesellschaftspolitischen Themen und bespricht Bücher.

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Foto: Gustave Courbet - Ursprung unbekannt, Gemeinfrei, via Wikimedia Commons

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Leserpost

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Rainer Hanisch / 25.08.2024

Herr Liebezeit: In einem Punkt gebe ich Ihnen Recht: Besonders weise waren sie zur “Wende” nicht. Sich der Alt-BRD anzuhängen, war nicht so gut. Jedenfalls haben sie aber mehr Durchblick bewiesen als ihre überheblichen Brüder und Schwestern. Die haben nach 75 Jahren “Freiheit und Demokratie” immer noch nichts begriffen!

Karsten Dörre / 25.08.2024

“Mit Nationalismus hat das rein gar nichts zu tun. Eher mit der Würdigung und Anerkennung des Schönen und der Erkenntnis.” - Oder schlicht mit den Menschen in der regionalen Heimat. Die Liebe zur Heimat vor der Haustür, der Region in der man lebt, arbeitet und stirbt. Die Werte der Nachbarn schätzt, bewundert oder schützt. Wo man sich das Heim aufbaut, pflegt und wenn es sein muss gegen jeden Wahnsinn von Kosmopolitismus und Gleichmacherei verteidigt und nicht wegen Weltrettungsdogmen zerstört. Letzteres gab es schon in ähnlicher Form bis 1989: das sozialistische Warten auf Godot, auf das versprochene bessere Leben in einer schleichend, permanent zerfallenden Infrastruktur. Schliesslich gingen sie los, erst in kleinen Gruppen, dann zu hunderttausend und dreihunderttausend in Leipzig. Heute muss man nicht mehr auf der Straße stehen. In Sachsen und Thüringen wählt man die Feinde des Volkes weg, siehe dortige, zukünftige Landtagswahlergebnisse der SPD und Grünen.

B. Endres / 25.08.2024

Klingt interessant. Deutsche Kultur ohne Deutschstaat, das entspricht bekanntlich nicht nur der Realität der besseren 9/10tel deutscher Geschichte vor 1871, das ist auch eine brauchbare Perspektive für all jene Deutschen, die heuer Deutschstaat überleben wollen, physisch wie mental überleben. Neo Rauchs Bilder aus den 1990ern erscheinen mir in der Rückschau als durchaus bemerkenswerter Beitrag zum Verständnis der jüngeren (staats)deutschen Geschichte und sind auch malerisch von hoher Qualität.

Lutz Liebezeit / 25.08.2024

Was soll das Völkerrecht rechtlich absichern, wenn nicht die Nation und den Nationalstaat? Die Verschmelzung von Rechts und Nation ist ... völkerrechtswidrig. Was sonst. Die Ostdeutschen mögen meinetwegen sogar belesen sein, aber weise sind die nicht. Und rechtlich bewandert auch nicht. Eher ein bisschen unterbewandert. Was einfach geht, muß schwierig werden. Wenn keine Wand da ist, druch die man mit dem Kopf durchgehen kann, muß man eine Wand aufstellen. Bevor ich mich jetzt aufrege und sich orthographische Fehler häufen, belasse ich es dabei.

Wolfgang Heinrich Scharff / 25.08.2024

Ich schätze die deutsche Sprachkunst des Uwe Tellkamp, ich halte Caspar David Friedrich für einen der weltbesten Maler und ich schätze auch sehr Herrn Axel Krause und seine politischen Ansichten. Um so unverständlicher, dass die Redaktion zur Illustration ausgerechnet eines der vielen obszönen Bilder des “Commune”-Künstlers Courbet auswählt! So kann die 180°-Wende in der Kultur nicht gelingen!

L. Luhmann / 25.08.2024

“Mit Nationalismus hat das rein gar nichts zu tun.” - Man muss nicht alles glauben, was über dieses Wort hervorgewürgt wird.

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