Die Autoren des Sammelbandes „Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit“ leisten nichts Ungewöhnliches. Sie betreiben Wissenschaft, wie es sich gehört. Sachlich, nüchtern, um Objektivität bemüht. Trotzdem ist das Werk außergewöhnlich.
Es ist fünf vor zwölf, wenn es um das Klima geht. Keine Panik. Ich meine nicht das Klima, das in aller Munde ist und über das sich der Wetteraktivist des Zweiten Dienerischen Fridays-for-Future, kurz des ZDF, Özdem Terli, weigert von „schönem Wetter“ zu sprechen. Nein, gemeint ist das gesellschaftliche Klima der Unfreiheit. An den Universitäten. Konkret in der Wissenschaft. Dort nistet sich nämlich zunehmend eine Wetterfront der Intoleranz ein.
Wen dieses wissenschaftliche Tief interessiert, seine Gestalt, sein Ausmaß und seine Konsequenzen, für den gibt es das passende Buch. „Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit. Wie die Cancel Culture den Fortschritt bedroht und was wir alle für eine freie Debattenkultur tun können.“ Mit feinem Gespür und dem richtigen Näschen für die „tatsächlichen“ gesellschaftlichen klimatischen Bedrohungen präsentieren die beiden Herausgeber, Harald Schulze-Eisentraut und Alexander Ulfig, genau die richtigen Autoren mit genau der richtigen Kritik am falschen Umgang mit den Mode-Themen unserer Zeit: Vom Klimawandel und der Corona-Politik über politische Korrektheit und Gender Studies bis hin zur Migrationspolitik.
Das alles verpacken Schulze-Eisentraut und Ulfig auf etwas über 260 Seiten. Bei dem heutigen Niveau der breiten universitären Soziologie eine soziologische Spitzenleistung. Oder in Termini des akademischen Grades gesagt: „Summa cum laude.“ Das beginnt schon bei der kühlen, kopfgeleiteten Auseinandersetzung der elf Autoren. Ziemlich ungewöhnlich für den heutigen „wissenschaftlichen“ Diskurs, wo immer weitflächiger unliebsame Personen niedergebrüllt, anderweitige Meinungen kriminalisiert und Personen mit den „falschen“ politischen Ansichten in ihrer bürgerlichen Existenz gefährdet sind.
Abstruses Schlagwort „neue Normalität“
Die hieraus resultierenden gesellschaftlichen Konsequenzen bespricht Ulrike Ackermann in einem Interview. Der einzige Ausweg aus diesem ideologischen Wetterhoch ihrer Ansicht nach? Freiheit und Aufklärung, kurz, Liberalismus. Demgegenüber fühlt Heinz-Dieter Pohl der Politischen Korrektheit sprachanalytisch auf den Zahn. Sachlich und nachvollziehbar zeigt er, wie willkürlich die „Sprachpolizisten“ vorgehen und wie wenig „nachhaltig“ ihre Bemühungen letztlich seien. Anders als intendiert, schafften neue Begriffe allein keine neuen Realitäten.
Apropos des abstrusen Schlagwortes „neue Normalität“: Um die Corona-Pandemie geht es beim Beitrag von Michael Esfeld. Sein Fazit? Das Ausmaß der politischen Maßnahmen war in keinster Weise gerechtfertigt – was man auch damals hätte wissen müssen. Die Reputation der Wissenschaft litt massiv unter der politischen Instrumentalisierung angeblicher Corona-Experten. Ihre Auswirkungen sehen wir noch heute.
Das gelte auch für die Politisierung beim Umgang mit dem Klimawandel, wie Fritz Vahrenhold verdeutlicht. Denn diese verenge, verzerre und verrücke den wissenschaftlichen Diskurs. Wissenschaftlich nachhaltig tragbare Ergebnisse zu generieren, werde folglich zweifelhaft. Wissenschaftlich eine Katastrophe. Diese Eiszeit der Intelligenz setzte sich auch im medial-öffentlichen Komplex durch. Die überwiegend einseitig positive Bewertung der Migrationsbewegungen seit 2015 mit ihrer „Willkommenskultur“ zeuge von einer ideologischen Wahrnehmung, so David Engels.
Diese Unsachlichkeit sehe man auch im Umgang mit kritischen Stimmen gegenüber dem Islam, führt Hartmut Krauss aus. Reflexhaft werde jegliche Islamkritik mit der Keule des Rassismus erstickt. Nicht nur das. Mittlerweile werde die eigene europäisch-christliche Kultur negiert, abgewertet und sogar dämonisiert. Die Rufe nach „Dekolonialisierung“ mehrten und verstärkten sich, wie Ronald G. Asch ausführt.
„Angst aus Überfluss“
Welches zerstörerisches Potential diese pervertierten Sichtweisen und der rigorose Aktivismus einer kleinen ideologischen Minderheit entwickeln kann, schildert Martin Wagener aus eigener Erfahrung. Die Fortsetzung seiner Junior-Professur an der Universität Trier scheiterte am Aktivismus einiger Studenten. Ihr Vorwurf? Wagener verbreite ein Klima der „Angst“. Wieso? Er verlangte, dass seine Studenten pünktlich zu den Veranstaltungen erschienen und Texte zur Vorbereitung lesen würden. Wen wundert es da, dass es heute die Diagnose „Klimaangst“ gibt?
Im Gegensatz zu dieser „Angst aus Überforderung“ oder „Angst aus Überfluss“ müssen hingegen mehr und mehr Wissenschaftler mit real-bedrohlichen Ängsten leben, weil die Grundlagen ihrer Existenz bedroht werden. Hierauf macht Alexander Ulfig aufmerksam. Indem er die Ausschlussstrategien und -mechanismen analysiert, mit denen kritische Wissenschaftler aussortiert werden. Diesen Verstoß gegen die Wissenschaftsfreiheit konkretisiert er an einem realen Projekt zu den Gender Studies.
Wieder konkreter und persönlicher wird Josef Christian Aigner. Am eigenen Leib erlebte er die „Toleranz“ und „Wissenschaftlichkeit“ einer „dogmatisch-feministischen Fakultätsleitung“. Schon ihre Besetzung ließ an wissenschaftlichen Standards zweifeln. So erhielt besagte Dame den Posten aus einem einzigen Grund: ihrem Frau-Sein.
„Schönes Wetter“ für Vernunft und Seele
Dass diese Ideologisierung und Politisierung zunehmend das Wissenschaftsklima prägt und die Wissenschaftsfreiheit als Ganzes einschränkt, verdeutlicht auch Axel Meyer im Interview. So thematisiert er unter anderem die Unwissenschaftlichkeit derjenigen, die die biologische Zweigeschlechtlichkeit negieren. Wer wissenschaftlich denke, müsse die Existenz von biologisch zwei Geschlechter anerkennen. Alles andere sei indiskutabel.
Alles in allem bleibt festzuhalten: Die Autoren des Sammelbandes leisten nichts Ungewöhnliches. Sie betreiben Wissenschaft, wie es sich gehört. Sachlich, nüchtern, um Objektivität bemüht machen sie, inhaltlich breit aufgestellt, auf die Bedrohung der Wissenschaftsfreiheit aufmerksam. Trotzdem ist es außergewöhnlich. Wieso?
In einigen Bevölkerungsgruppen, allen voran im politisch rot-grünen Lager, betrachtet man das „Normale“ mittlerweile als Ausnahme, ja Deviation oder gar Perversion: Zweigeschlechtlichkeit und Heterosexualität, traditionelle Familie und Monogamie, Vernunft und Wissenschaftlichkeit. Sie gelten dort als nicht „normal“.
Deswegen lohnt es sich, zum „Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit“ zu greifen. Bei trüb-nebligen Novembertagen bietet das Werk eine große Portion Sonnenschein. Oder wie es unser Wetteraktivist nicht sagen würde: „Schönes Wetter“ für Vernunft und Seele.
„Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit. Wie die Cancel Culture den Fortschritt bedroht und was wir alle für eine freie Debattenkultur tun können“ von Harald Schulze-Eisentraut und Alexander Ulfig (Hrsg.), 2022, FinanzBuch Verlag: München. Hier bestellbar.