Bald erscheint die Taschenbuch-Version von Peter Sloterdijks „Den Himmel zum Sprechen bringen“. Wie schon in den letzten Jahren widmet sich Sloterdijk abermals dem Religiösen.
Wer viel unterwegs ist und neben Laptop, Smartphone und Powerbank wenig Stauraum zur Verfügung hat, darf sich freuen. Anfang April erscheint die Taschenbuch-Version von Peter Sloterdijks Den Himmel zum Sprechen bringen, das bereits seit Oktober 2020 in den Bücherregalen zu finden ist – nämlich als Hardcover. Natürlich kann der Reisefreund auch zur eBook-Variante greifen, doch jeder „Genussleser“ weiß um die Vorteile eines Buches in der Hand. Digitales und analoges Lesen sind einfach nicht dasselbe.
Wer nichtsdestotrotz auf die digitale Version zugreifen möchte (oder muss), kann sich trotzdem auf einen Lesegenuss freuen. Wie schon in den letzten Jahren, mit Nach Gott oder Polyloquien, widmet sich Sloterdijk abermals dem Religiösen. Während er scheinbar ziellos durch die Gefilde der Religion mäandert, ihre poetischen Stilmittel analysiert, weil er Religion als „literarische Produkte“ begreift, schafft er das, was Immanuel Kant in seiner Kritik der Urteilskraft als „interesseloses Wohlgefallen“ bezeichnete: „Alles Interesse verdirbt das Geschmacksurteil und nimmt ihm seine Unparteilichkeit.“ Aus diesem Grund kann sich der an objektive Erkenntnis interessierte Leser doppelt an Sloterdijks Reise durch die poetische Religions- und Theologiegeschichte erfreuen.
Von der Antike über die Scholastik und die Neuzeit bis hin zur Gegenwart beleuchtet Sloterdijk assoziationsreich, auf welche Weise unterschiedliche Religionen „den Himmel zum Sprechen bringen“ – der Untertitel Über Theopoesie erschließt sich spätestens jetzt. Sei es auf der Bühne im griechischen Theater oder im Buch Mose als Dornenbusch. Hierbei erfreuen sich seiner Aufmerksamkeit nicht nur Geistestitanen der Antike, wie Aristoteles oder Epikur, sondern auch Mystiker wie Nikolaus von Kues und Augustinus sowie neuzeitliche Denker, wie Max Scheler und Helmuth Plessner. Zwar ist der rote Faden bei seiner Darstellung nicht immer ersichtlich, doch hierfür gibt es eine mögliche Erklärung.
Abstrakt-heitere Wortakrobatik
Ursprünglich war ein Beitrag Sloterdijks in einer Festschrift für den renommierten Ägyptologen Jan Assmann zum 80. Geburtstag geplant. Dieser kam jedoch aus Zeitgründen nicht zustande. Den Himmel zum Sprechen bringen ist somit ein verspätetes Geschenk an Assmann. Der erste Teil des Buches basiert auf einem Vortrag, den Sloterdijk im Jahr 2019 hielt, dem sich im zweiten Part neue, aber auch wiederholt redundante Gedanken anschließen. Während einige inhaltliche Stellen verkrampft zusammengewürfelt wirken, wird dem Leser nicht immer ersichtlich, wieso Sloterdijk bestimmte Themenbereiche aufgreift. So springt er zum Beispiel überraschend vom antiken Rom in die kassidische Dynastie oder hängt am Ende seines Werkes eine zeitdiagnostische Analyse zum Wert der Religion an, die im Vergleich zum Gesamtinhalt deplatziert erscheint.
Doch Sloterdijks abstrakt-heitere Wortakrobatik lässt über diese Ungereimtheiten hinwegsehen. Hier einige Beispiele: Sloterdijk nennt die Götter Olymps „eine society von Oligarchen“, die sich auf ihrer „solaren Cloud“ tummeln. Weiterhin spricht er vom „outsourcing des Bösen“ als einer wichtigen Funktion antiker Religion, und er bezeichnet die Serapis-Religion als „eine der melancholischen Copy-and-paste-Religionen der Spätantike“.
Dazu gesellen sich Ausdrücke und Sätze von höchster Prägnanz. Auch hierzu mehrere Beispiele: „Götter sind Vagheiten, die durch Kult präzisiert werden“ oder „Die Domestikation Gottes durch die Gläubigen“. Und weiter: Eben diese „Domestikation“ lasse sie an eine „Poesie der Geduld“ glauben, nach der der leidende Gerechte sich in Gottes Prüfung befände: „Aus der Poesie der Geduld folgt die Poesie der Wiederherstellung, in jedem möglichen Sinn des Wortes“. Und für die „Poesie der Suche“: „Wer sucht, wird gefunden. Indem der Sucher sich finden läßt, erduldet er seine Verwandlung.“
Bedeutung der Religion
Doch auch inhaltlich kann Sloterdijk aufwarten. Vielseitig und tiefgründig zeichnet er mithilfe seines Wissensrepertoires die Entwicklung der Religionen inklusive ihrer poetischen Stilmittel. Hierbei bedient er sich auch historischer und soziologischer Gegebenheiten und geht auf bestimmte Epochen der Geschichte näher ein. So legt er aufschlussreich dar, wie der Polytheismus der Antike sich hin zum Monotheismus entwickelte. Insbesondere sei hier der „platonische Einspruch“ zu erwähnen, der die Einheit von Dichtung und Wahrheit trennte. Ehemals vermenschlichte Götter mit ihren Rachegelüsten und ihrem Machtstreben, standen nun ausschließlich für das „Gute“. Die Kehrseite: Das „Böse“ verbreitete sich auf Erden.
Das und eine aufschlussreiche Reise durch die Geschichte der „Theopoesie“ findet sich auf mehr als 350 Seiten. Es ist kein Geheimnis, dass bei Sloterdijks Werken ein gewisser „Bildungshintergrund“ das Leseerlebnis enorm anhebt. Doch sollte der Leser wider Erwarten, hier und dort stolpern, erleichtern ihm neben abstrakt-heiteren Analogien auch inhaltliche Finessen die Lektüre. Daher sei abschließend noch auf das gezeichnete Verhältnis von Ungläubigen und Gläubigen hingewiesen: „Die Verkündung gewinnt Elan, solange sie mit Ablehnung rechnet. Stieße die Mission nicht auf Widerstand, würde sie sich durch ihren Erfolg selbst erledigen: Gerade der Block der Verneinung beweist den Verkündern, daß ihre Botschaft im Unbedingten gründet. Stimmten alle der Botschaft mühelos zu, wären Himmel und Hölle doch ungefähr dasselbe, es fiele keiner ins ewige Feuer“. Der nicht auf den Kopf gefallene Leser erkennt sofort einige Parallelen zu unserer heutigen Zeit – wenn nicht immer religiös getönt.
Denn obwohl in unseren westlichen Gesellschaften Religion oberflächlich eine marginale Rolle spiele, komme ihr eine wichtige Bedeutung zu. Zwar besitze sie nicht den identitätsstiftenden Charakter wie einst, doch ihr gesellschaftlicher Wert sei enorm. „[Sie] ist überflüssig wie Musik; doch: ‚Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum.‘“ Gleiches gilt auch für Sloterdijks Werk. Man muss es nicht lesen, aber man kann. Das neue Taschenbuch-Format erleichtert diese Entscheidung. Und wer diesen Schritt geht, wird es mitnichten bereuen.
Sloterdijk, Peter (2022). „Den Himmel zum Sprechen bringen. Über Theopoesie.“ Berlin: Suhrkamp. Hier bestellbar.