Martina Binnig, Gastautorin / 13.07.2022 / 16:00 / Foto: Pixabay / 25 / Seite ausdrucken

Kürzer duschen – Eisbären retten

Der Onlinedienst Watson bespielt Werbetafeln mit als Nachricht getarnter Werbung. Die ungeschickten Schlagzeilen lösen bei mir regelmäßig Lachkoller aus. Doch das drollig wirkende Geschäftsmodell verbreitet nichts als woke Propaganda.

In letzter Zeit werde ich in Kölner U-Bahn-Stationen regelmäßig von Lachkrämpfen geschüttelt. Auslöser dafür ist Watson. Allerdings nicht der sympathisch-pragmatische Sherlock-Holmes-Begleiter, sondern das gleichnamige News-Portal, das seine „guten Nachrichten“ auf den bewegten Werbeflächen, den sogenannten Infoscreens, am Bahnsteig verbreitet. Zunächst hatte ich Watson für das Pseudonym eines mutigen Satirikers gehalten, doch mittlerweile habe ich begriffen, dass Watsons Schlagzeilen ernst gemeint sind. Todernst. Heute Abend etwa bekam ich, während ich auf die Bahn wartete, zu lesen, dass die Luftwaffe der deutschen Bundeswehr als Beitrag zum Klimaschutz nachhaltigen Kraftstoff verwenden möchte.

Im ersten Moment dachte ich, ich hätte mich verlesen oder mir diese Schlagzeile nach einem langen Arbeitstag nur eingebildet. Sicherheitshalber rief ich daher zu Hause gleich noch einmal die Webseite von Watson auf, und auch hier steht grün auf weiß die Überschrift: „CO2-neutral fliegen: Luftwaffe setzt auf mehr Klimaschutz.“ Und darunter: „Um einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten, setzt die Luftwaffe der deutschen Bundeswehr jetzt auf den Einsatz von nachhaltigem, synthetischem Kraftstoff.“

Abgesehen davon, dass die Dativ-Konstruktion nicht ganz geglückt ist, erschließt sich im dann folgenden kurzen Artikel immerhin der Hintergrund. Denn hier wird der Luftwaffen-Inspekteur Ingo Gerharz zitiert: „Wir sind verpflichtet, uns diesem Thema zu stellen, gesamtstaatlich und auch in den Streitkräften, dass wir den CO2-Fußabdruck so weit reduzieren, wie es eben möglich ist“. Und weiter heißt es im Artikel: „Zwar sei der Kernauftrag die Verteidigung, jedoch habe der klimaneutrale Treibstoff im Werben um junge Leute einen zweiten Aspekt. 'Wenn wir von den Streitkräften nicht zeigen, dass wir dieses Thema für uns angenommen haben, werden junge Generationen uns meiden, dann werden sie nicht zu uns kommen. Das ist ganz wichtig', sagte der General.“

„Führende Newsmarke für die Generation Mobile“

Aha. Es geht also darum, den woken Nachwuchs dort abzuholen, wo er steht, respektive wo er vermutet wird. In der Verknappung auf eine einzige Schlagzeile wirkt die Nachricht jedoch geradezu absurd. Diese Verknappung ist allerdings Programm von Watson ‒ und das nicht von ungefähr. Watson gehört nämlich zur Ströer Gruppe mit Sitz im Kölner Süden, deren Kerngeschäft die Werbung ist, genauer: die Außenwerbung. Auf ihrer Startseite wirbt die Ströer Gruppe ganz bescheiden mit dem Slogan: „GROSS, GRÖSSER, OUT-OF-HOME. So geht Außenwerbung.“ Wer herausfinden möchte, wer redaktionell hinter den allgegenwärtigen, über die öffentlichen Infoscreens verbreiteten Schlagzeilen steckt, stößt schnell darauf, dass Watson ursprünglich 2014 in der Schweiz online gegangen ist. Die deutsche Ausgabe ist mittlerweile allerdings laut Wikipedia-Eintrag redaktionell und inhaltlich vom Schweizer Nachrichtenportal getrennt. Seit 2019 besteht dafür eine Content-Partnerschaft mit Zeit Online und t-online.de.

Auf der Ströer-Webseite gelangt man über den Pfad „Home/Planen + Buchen/Onlinewerbung“ zu watson.de. Demnach ist Watson ein Nachrichtenportal mit dem Selbstverständnis eines Onlinewerbeträgers. Anders als bei Fernsehsendern unterbricht hier also nicht die Werbepause das laufende Programm, sondern die Nachrichten von Watson unterbrechen die laufende Werbung. Das Selbstverständnis von Watson klingt natürlich ganz anders: Watson sei die „führende Newsmarke für die Generation Mobile“. Zunächst denke ich bei Mobile an die fröhlichen Kinderspielzeuge, bei denen sich an Fäden hängende Gegenstände im Luftzug bewegen, doch so ist die Großschreibung des Worts offenbar nicht gemeint. Denn es geht weiter: „watson.de ist die News-Marke für die Generation, die ohne Zeitung, aber mit Smartphone und Social-Media aufgewachsen ist. Ein umfassendes News-Angebot gepaart mit bester Unterhaltung: watson.de diskutiert mit seinen Usern auf Augenhöhe – überall und jeden Tag.“ ()

Eine Diskussion „auf Augenhöhe“ findet zwar, realistisch betrachtet, durch Infoscreens nicht statt, aber Ströer tutet ins selbe Horn:

„Die Erweiterung des Publishing Portfolios um allgemeine News erfolgte 2015. Mit t-online sind wir auf der klaren Mission, Deutschlands Medienmarke Nummer 1 zu werden. Mehr als 120 Redakteur:innen offerieren jeden Tag ein umfassendes nachrichtliches Angebot. t-online besitzt die größte digitale Reichweite (AGOF e.V.) aller deutschen Medien und erreicht im Internet sowie über unsere rund 6.000 Public Video Screens in Innenstädten, Bahnhöfen und Einkaufszentren monatlich 47 Millionen (GfK) Menschen, also mehr als die Hälfte der Bundesbevölkerung. Zusätzlich haben wir mit watson.de Deutschlands größtes Nachrichtenportal für die 'next generation' aufgebaut. Mit t-online, watson.de, desired.de und familie.de verfügen wir außerdem über die idealen Plattformen, um Nachhaltigkeit mehr als 50 Millionen Nutzer:innen näher zu bringen. Für Werbungtreibende bieten unsere Plattformen die Möglichkeit, in passenden Themenumfeldern mit den Zielgruppen in den Dialog zu treten.“

„Je kürzer Du duschst, desto mehr Eisbären bleiben übrig.“

Ein eher einseitiger Dialog. Doch darum geht es in Wahrheit auch nicht. Für Ströer sind t-online und watson.de nichts anderes als „Marken“. Übrigens zählen apotheken-umschau.de für die etwas ältere Zielgruppe, BRAVO, MensHealth.de und Autozeitung ebenfalls zu den aufgeführten „Top-Marken“ der Ströer Gruppe. Und damit nicht genug: Die Ströer Gruppe dient sogar der Erziehung der Bürger, indem sie das Programm der „Smart Cities“ unterstützt. Ströer dazu:

„Eingesetzt als Kommunales Informationssystem für Städte (KISS) erleichtern digitale Medien im öffentlichen Raum den Informationsfluss und den Dialog zwischen der Stadt und ihren Bürger:innen. Aufrufe zur Bürgerbeteiligung, Veranstaltungshinweise zur Stärkung der Kulturszene und die Unterstützung des lokalen Handels tragen ebenso zu einer modernen, offenen und solidarischen Gemeinschaft bei wie die Möglichkeit von Ad-hoc-Warnungen, Suchmeldungen in Echtzeit und allgemeinen Sicherheitshinweisen. Platziert an Straßen, im Bereich des ÖPNV, in Fußgängerzonen, Bahnhöfen und Einkaufszentren kann eine Stadt bei Bedarf jederzeit ihre Bürger:innen im öffentlichen Raum erreichen.“

Wenn mich also das nächste Mal ein Lachkoller an einer Kölner U-Bahn-Station packt, werde ich selbstverständlich pflichtbewusst daran denken, dass Ströer mich lediglich zum Teil einer „solidarischen Gemeinschaft“ machen will. Ich werde mich also darum bemühen, Watsons „gute Nachrichten“ künftig gebührend ernst zu nehmen. Gar nicht so einfach bei Schlagzeilen wie: „Green Nudging: Schon kleine Anreize bringen Menschen zum Energiesparen.“ Im entsprechenden Artikel heißt es nämlich:

„Erst sind fünf Eisbären auf dem Duschkopf zu sehen, dann vier, drei, zwei, einer. Die Botschaft: Je kürzer Du duschst, desto mehr Eisbären bleiben übrig. Die Ingenieure, die das Schweizer Produkt entwickelt haben, konnten in Studien zeigen, dass Menschen kürzer duschen und im Durchschnitt 22 Prozent Energie sparen, wenn sie darauf hingewiesen werden, wie viel Wasser – und damit Energie – sie verbrauchen. Die Eisbären sind ein sogenannter 'Green Nudge', ein Stups oder Anreiz, sich umweltfreundlicher zu verhalten. 'Green Nudging', das Konzept, Menschen ohne große Verbote oder neue Regeln zu umweltfreundlicherem Verhalten zu animieren, ist groß im Kommen. Oder bei der Dusche mit den Eisbären, die den Wasser- und Energieverbrauch anzeigt. Die Firma Amphiro lässt den Duschkopf auch via App mit dem Smartphone verbinden. So kann die Schnelligkeit, mit der die Eisbären verschwinden, eingestellt werden. In der App können Duschende verfolgen, wie sich ihr Energieverbrauch entwickelt. Auf Instagram ist die Firma mit Informationen wie dieser präsent: 'Eine Sekunde warm duschen verbraucht so viel Energie wie das Aufladen eines Smartphones.´“

„Start-up stellt Essen aus Luft her“

Ob es mir also tatsächlich gelingt, bei Schlagzeilen wie den folgenden Contenance zu wahren, weiß ich nicht. Falls aber in absehbarer Zukunft Gesichtserkennungskameras installiert werden sollten, müsste ich mich tunlichst darum bemühen: Wer weiß, was ein Lachen dann alles auslösen könnte ...

Hier nun abschließend eine Auswahl der „guten Nachrichten“ von Watson: „Start-up baut Straßenlaternen in Ladestationen für E-Autos um“. – „Veganes Fleisch aus dem 3D-Drucker: 2023 könnten deutsche Restaurants beliefert werden“. – „Start-up stellt Essen aus Luft her – und bekommt für innovative Methode Millionen-Investitionen.“ – „Erste Kommune in Deutschland verbietet Tiere im Zirkus.“ - „Start-Up will Schweden mithilfe dressierter Krähen von Zigarettenstummeln befreien.“ – „Klimaretter Popcorn: Kino-Snack dient als nachhaltiger Dämmstoff.“ – „Zu gut für die Tonne: Bäckereifiliale in Potsdam verkauft nur noch Brot vom Vortag.“ – „Katzenstreu kann klimaschädliches Gas Methan binden.“

Foto: Pixabay

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Leserpost

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Rainer Irrwitz / 13.07.2022

Aus Wiki zum Roman 1984 #Krieg ist Frieden: “In unserer (Orwells) Welt führen die drei Supermächte nur noch begrenzte Kriege an der Peripherie. Es genügt ihnen, um die Bevölkerung dazu zu bewegen, sich mit Armut und Mangel infolge des Kriegszustandes zufriedenzugeben. Da dies im Interesse aller drei Regierungen liegt, verhindert es den großen Krieg zwischen ihnen…...” Nicht sehr einfallsreich, aber ein gutes bewährtes Konzept, scheint ja prima zu klappen.

Lars Einnicken / 13.07.2022

Schon vor über einem Jahrzehnt unterhielt hier eine regionale Bäckerei-Kette einen Vortagsladen. Fand ich gut, weil dunkleres Brot mag ich eher nicht ganz frisch. Und den Geldbeutel hat es auch geschont. Irgendwann in den letzten zweieinhalb Jahren ist das Ganze eingeschlafen, aus Personalmangel oder warum auch immer. Also kein Grund für die Potsdamer, jetzt dicke Backen zu machen…

Anton Weigl / 13.07.2022

Diese Bundeswehr wird auch noch die 100 Milliarden dafür verwenden, daß das Heer mit Lastenradln ausgerüstet wird. Besonders die vorgegebene co2 Bilanz wird man schon allein mit der angebauten Steinschleuder erreichen.

W. Renner / 13.07.2022

Watson, gestern noch unterwegs um Windows zu heilen. Heute schon ein neuer Tiefpunkt im Medienschaffen, Journalismus mag man diese Zumutung nicht nennen. Je kürzer du sie liest, desto mehr Verstand bleibt übrig.

Regina Horn / 13.07.2022

Langsam nehmen die hiesigen Privatfehden (Herr @Lowry zum Beispiel) ein Niveau an, wie es mir früher teilweise vom Nordkurier, der Regionalzeitung für den gemeinen Vorpommern, bekannt war. Tut das Not, hier so rumzuproleten?

Hans-Peter Dollhopf / 13.07.2022

Wie heißen die Tafeln, eWalls oder so? Hier in der Stadt wurden die vor Corona von welchen regelmäßig reihenweise “entkernt” - war bestimmt die “Antikommerzionelle Antikapitalistische”, hoh ho.

archi bechlenberg / 13.07.2022

Die Überschriften und Anreißer erinnern mich sehr an ein legendäres Satire-Magazin mit dem Namen “Neue Spezial”; eine einzige Ausgabe davon hat sich bei mir erhalten. Darin so geniale Headlines wie “Ehedrama - 88 Jahre verheiratet, weil er Angst vor der Scheidung hat!”“Ein außerirdischer Schwuler hat mein Leben zerstört” oder “Blinder stolperte über seinen Hund und kann wieder sehen!” Bei Ströer ist das alles natürlich völlig ernst gemeint, und das völlig zu Recht. Der überwiegende Teil der Deutschen glaubt schließlich jeden Stuss. Daher kommt auch der Ausdruck “Dumm wie Ströer.”, oft irrtümlich als “Dumm wie Stroh” verwendet.

Eberhardt Feldhahn / 13.07.2022

Nur mit so einem Militär konnte es soweit kommen.

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