Von Manuel Menéndez.
Die kubanische Industrie hatte bis 1958 eine wenigstens bescheidende Diversifizierung erreicht, in der der Anteil der Zuckerindustrie zurückgegangen war. Nach 1962 wurde diese Diversifizierung wieder rückgängig gemacht. Heute existiert die kubanische Industrie nur noch rudimentär, selbst Zucker wird nicht mehr ausreichend produziert.
Der Tourismus ist der erste Bereich, der weiterentwickelt werden kann. Voraussetzungen dafür sind die Privatisierung und die Schaffung marktwirtschaftlicher Verhältnisse, die Verbesserung der Infrastruktur sowie die der Ausbildung von Fachkräften (1.). Gleiches gilt für die Tabakwirtschaft, in der die Produktivität und die Qualität der Rohware bereits von privaten Farmern dominiert werden, die aber nicht unter marktwirtschaftlichen Bedingungen arbeiten können. Die Privatisierung der Staatsfarmen müsste in die generelle Privatisierung der Landwirtschaft eingebettet sein. Die Privatisierung der Tabakmanufakturen und des Exports ist jedoch mit der Lösung komplexer internationaler Eigentumsverhältnisse verbunden (2.).
Die landwirtschaftliche Produktion könnte mittels einer durchgängigen Privatisierung und der Verbesserung der Infrastruktur ebenfalls kurzfristig gesteigert werden. Damit würde sich die Selbstversorgung erhöhen und der Zuckerexport wieder einsetzen (3.). Die wenigen exportfähigen Industrieunternehmen befinden sich weitgehend in westlichem Besitz, wenngleich nur zu 50 Prozent. Heute wird die kubanische Wirtschaft in höherem Maße von internationalen Konzernen beherrscht als vor der Revolution, ausgenommen die Zuckerwirtschaft. Zweifelsohne würde deren vollständige Privatisierung sowie die der industriellen Überreste unmittelbar ihre Produktivität steigern. Ohne erheblichen Kapitalzufluss würde sich die industrielle Basis Kubas dadurch jedoch nicht wesentlich erweitern (4.).
Probleme eines Neuanfangs
Die erste Voraussetzung für einen Zufluss ausländischen Kapitals ist die innenpolitische Stabilität. In der ersten Zeit nach dem Zusammenbruch der Macht der kommunistischen Parteiführung ist ein chaotischer Zustand wahrscheinlich. Es existieren keine Parteien zur Willensbildung. Es existiert noch nicht einmal eine Schicht ausreichend gebildeter Fachleute für eine effektive staatliche Organisation. Kubastämmige Amerikaner, Spanier und Lateinamerikaner werden die Führung übernehmen (1.). Ein grundlegender Wandel wird auch das Leben der Kubaner substanziell verändern. Nach 60 Jahren Sozialismus wird sich nur ein kleiner Teil darauf kurzfristig einstellen können. Jeder gesellschaftliche Umschwung bringt Gewinner und Verlierer hervor. Die Verlierer werden sich wehren.
Der neue Staat wird anfangs bei weitem nicht über ausreichend Geld verfügen, um jeden Kubaner sozial abzusichern. Ohne einen staatlichen Machtapparat, das heißt ohne Polizei und Armee, würden heftige innenpolitische Auseinandersetzungen die unausweichliche Folge sein. Nicht nur die Investitionen, auch die Touristen würden ausbleiben. Die USA und Europa müssten für etliche Jahre die Existenz der kubanischen Polizei und erhebliche Teile der Armee finanzieren (2). Ohne eine umgehende Regelung der Eigentumsrechte wäre kein Wirtschaftsaufschwung möglich und auch keine innenpolitische Stabilität. Es ist nicht zu erwarten, dass alle Gruppen der kubastämmigen Amerikaner sich zu einer solchen Regelung bereitfinden würden. Dafür sind nach 60 Jahren die Eigentumsrechte viel zu verworren. In dieser Situation wäre die einzige Konjunktur die der Glücksritter. Kurzfristig müsste dazu eine staatliche Entscheidung der USA getroffen werden. Die Europäer haben darauf keinen direkten Einfluss, könnten dies aber unterstützen (3.).
Der Wiederaufbau der Infrastruktur müsste größtenteils durch den Staat finanziert werden. Dafür würde dieser in den ersten Jahren nicht ausreichend Steuern einnehmen und deshalb auf Kredite angewiesen sein, wozu jedoch die Rückzahlung der bisherigen Kredite eine Voraussetzung wäre. Letztlich ist dies ein Teufelskreis, der nur durch internationale Vereinbarungen durchbrochen werden könnte (4.). Bisher hält der kubanische sozialistische Staat noch 50-prozentige Anteile an einigen profitablen Unternehmen, teileweise nur im Inland, teilweise nur für den Export. Diese könnte ein demokratischer Staat verkaufen, um wenigstens kurzfristig eine gewisse finanzielle Entlastung zu erzielen, soweit nicht frühere Eigentumsrechte dem entgegenstehen würden.
In einigen Wirtschaftszweigen würde er damit jedoch die schon jetzt vorhandenen Monopolsituationen zementieren, wenigstens für eine gewisse Zeit, was Auswirkungen auf die Preise haben würde. Sollte allerdings der sozialistische Staat bereits jetzt verkaufen, ginge diese Option verloren (5.). Nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Systems würde ein erheblicher Teil der ohnehin geringen Anzahl der kubanischen Fachkräfte ihre berufliche und familiäre Hoffnung eher in westlichen Staaten suchen als in einem neuen Kuba. Das müssten die USA und die europäischen Staaten verhindern. Zeitweilige Zwangsmaßnahmen wären unvermeidlich, nicht nur auf diesem Gebiet (6.)
Konsequenzen der Privatisierung
Eine zukünftige kubanische Wirtschaft würde kurz- und mittelfristig auf drei Säulen basieren: Tourismus, Export landwirtschaftlicher Produkte, Zulieferung einfacher Produkte für Unternehmen in den USA, Kanada und Mexiko.
Im heutigen Kuba existiert kein privates Kapital. Die vorhandenen Privatunternehmen sind Kleinstunternehmen. Mehr als ein Dutzend Mitarbeiter weisen nur gastronomische Privatunternehmen auf, abgesehen von wenigen Ausnahmen in anderen Bereichen. Gleichfalls gibt es keine marktwirtschaftlich ausgebildeten Manager. Selbst mit Hilfe westlicher Kredite könnten nur wenige Kubaner eigene Unternehmen aufbauen. Trotzdem müssten westliche Staaten diese Möglichkeit unterstützen, auch wenn sie nur mittelfristig oder gar nur langfristig wirken würde.
Fast die gesamten Investitionen müssten von westlichen Unternehmen aufgebracht werden (1.). Damit würde sich der Anteil des Auslandsbesitzes in der kubanischen Wirtschaft jenseits der Zwei-Drittel-Marke bewegen, allerdings zu einem Teil auch durch kubastämmige Amerikaner (2.). Bei der Privatisierung der Landwirtschaft würde der kubanische Anteil größer sein, da die Alteigentümer teilweise noch existieren beziehungsweise Hilfe durch Verwandte aus den USA bekämen. Allerdings müsste die Privatisierung vermeiden, unrentable Kleinbauernwirtschaften zu schaffen, beispielsweise in der Viehzucht oder im Zuckeranbau. Demgegenüber würden kleinere Farmgrößen im Tabakanbau durchaus rentabel sein können (3.). Ein von den USA und anderen westlichen Staaten unterstütztes Kreditprogramm des kubanischen Staates müsste die erforderliche Anschubfinanzierung der privaten Bauernwirtschaft zur Verfügung stellen. Im Unterschied zur Industrie oder dem Tourismus würden deren kürzere Produktionszyklen eine schnellere Rückzahlung ermöglichen (4.).
In den Wirtschaftsbereichen, in denen größere Investitionen in Maschinen und Anlagen erforderlich sind, würden private Investoren rechtliche und finanzielle Sicherheiten erwarten. Ein junger kubanischer Staat könnte diese nicht garantieren. Die USA und andere westliche Staaten müssten als quasi Garantiemächte fungieren (5.). Eine wesentliche Folge wird der Gegensatz zwischen dem Erfordernis weltmarktfähiger Arbeitskosten und dem Begehren nach Lohnerhöhungen sein. Unausweichlich werden Streiks auftreten. Sollten zügig demokratische Wahlen stattfinden, würden Versprechen großzügiger Lohnerhöhungen Teil des Wahlkampfes sein. Das würde Investitionen behindern, umfangreiche Streiks täten das sowieso. Die kubanische Gesellschaft verfügt über keinerlei demokratische Erfahrung, wozu auch das Aushandeln von Lohnsteigerungen gehört. Ohne zeitweilige Repressionsmaßnahmen gäbe es keine Lösung (6.).
Und Deutschland?
Optionen basieren auf Interessen. Ein Interesse der deutschen Politik an Kuba ist nicht zu erkennen. Wieso auch, wo doch insgesamt keine außenpolitischen Interessen zu erkennen sind. Zumeist sendet das Außenministerium Botschafter nach Kuba, die erstmalig einen Botschafterposten übernehmen und zudem auch noch kurz vor der Pensionierung stehen. Erzielt jedoch einmal ein Botschafter Aufmerksamkeit bei den kubanischen Behörden, wird er trotzdem turnusgemäß abgerufen. Im Gegensatz dazu besuchen jedoch zahlreiche Delegationen verschiedener Ministerien Kuba, ohne jeglichen Ertrag.
Ein deutsches Interesse müsste darin bestehen, aktiv einen neuen Brandherd „Kuba“ zu verhindern. Ein derartig allgemeines Interesse kann nur durch verschiedene Details konkret werden. Gleichzeitig muss alles unterlassen werden, was zur Stabilisierung des kommunistischen Systems beitragen könnte. Den kubanischen Eliten unterhalb der kleinen Machtelite die Gewissheit zu vermitteln, dass sie eine Zukunft nach dem Ende des Kommunismus haben werden. Deutsche Investitionen nur zu fördern, wenn diese vollständig in private kubanische Unternehmen gehen.
Nachtrag
Vor einigen Tagen kündigte die Regierung umfangreiche Lohnerhöhungen für Mitarbeiter in zahlreichen staatlichen Behörden beziehungsweise Einrichtungen an, jedoch ausgenommen staatliche Unternehmen. Gestaffelt nach der Höhe der Position betragen sie zwischen 40 und geradezu unglaublichen 600 Prozent. Das Mindestgehalt soll dann bei 16 Euro, der Durchschnitt bei 42 Euro liegen. Als Höchstgehalt werden 120 Euro genannt. Davon sollen ca. 1,5 Millionen Mitarbeiter betroffen sein. Auch die Renten sollen erhöht werden, von 8 auf 10 Euro im Minimum. Zu den Gehältern von Polizei und Armee macht die Regierung keine Angaben. Die Sozialabgaben liegen zwischen 2,5 und 5 Prozent. Waren die früheren Behauptungen von einem kostenlosen Gesundheitssystem schon immer Nonsens, weil bereits mit den geringen Löhnen kaum das normale Leben finanziert werden konnte, geht die Regierung jetzt zu einem normalen Umlagesystem über.
Unausgesprochen gesteht die Regierung damit ein, dass sie den Rückhalt in den sie vor allem unterstützenden Mitarbeitern in den Ministerien und in Bildungsbereichen verloren hat. Deshalb will sie diesen Rückhalt mit zum Teil exorbitanten Lohnerhöhungen wiedergewinnen und zugleich anziehend für jüngere Fachkräfte werden. Die Regierung gibt nicht an, wie sie diese phantastische Erhöhung finanzieren will, wodurch sich das Misstrauen in ihre Politik weiter fortsetzen wird. Da die Staatseinnahmen durch den Rückgang der Produktion in den Staatsbetrieben real sinken, und zugleich keine Einsparungspotenziale angegeben werden, sind diese Lohnerhöhungen nur durch Geldvermehrung zu erreichen. Diese Geldvermehrung trifft auf ein gegenwärtig erheblich verringertes Warenangebot, die unausweichliche Folge wird ein Anwachsen der Inflation sein. Das versucht die Regierung durch verstärkte Preisregulierungen und Preiskontrollen zu verhindern. Es ist die alte staatsgläubige Illusion, die sich auch in zahlreichen westlichen Staaten ausgebreitet hat (5.). Konterkariert wird diese Politik durch einen drastischen Rückgang des Tourismus, geschätzt um 20 Prozent, infolge des Wirtschaftsabschwungs in westlichen Ländern, durch den Zusammenbruch des Kreuzfahrttourismus als Konsequenz der Restriktionen der USA sowie durch innerkubanische Qualitätsprobleme im Tourismus.
Übertragung aus dem Spanischen.
Folge 1 dieser Serie finden Sie hier.
Folge 2 dieser Serie finden Sie hier.