Am ersten Montag im April war es wieder einmal so weit. Bremens Querdenker-Szene ging gegen die Politik der Corona-Maßnahmen protestieren. Die lokale linke Szene beschäftigte im Rahmen ihrer Gegendemonstration und antifaschistischen Aufarbeitung dabei insbesondere ein Mann, der auf der Querdenker-Demo mit einem „Judenstern“ bekleidet mitlief. Der Publizist Peter Sichrovsky identifizierte auf der österreichischen Website Schlaglichter vor Kurzem in der „Opfer-Täter-Umkehr“ von solch geistigen Irrläufern, die sich mit einem „Judenstern“ selbst als vermeintliche „Opfer“ der Corona-Maßnahmen-Politik gerieren, „nicht Leugnung der Shoa, sondern die Benutzbarkeit“, denn:
„bis ins 19. Jahrhundert gehen die Vorwürfe der Impfgegner zurück, Juden seien die Nutznießer der Impfungen und verantwortlich für die Impfschäden. Jetzt erklären sich die Hetzer selbst zu Juden. Ausgerechnet jene, die den Opfern die Opferrolle verweigerten, übernehmen sie jetzt und vergleichen die Zustände mit der Verfolgung während der NS-Zeit.“
Diese Selbstkennzeichnung von Gegnern der Corona-Maßnahmen ist eine ungeheure Instrumentalisierung der faschistischen Mordmaschinerie von Auschwitz und Treblinka. Kein Wunder, dass das Simon-Wiesenthal-Center derlei antijüdische Covid-Verschwörungstheorien daher in seiner bekannten Liste der antisemitischen Vorfälle des Jahres 2020 auf Platz 1 einstufte. Sichrovsky antwortete dem Corona-Wahn von solch Querdenkern mit der Lebensgeschichte seines Großvaters:
„Zwingt die historische Verantwortung die Nachkommen der NS-Opfer in diese unerträgliche Situation, den Unterschied zwischen ‚echten‘ und ‚unechten‘ Opfern belegen zu müssen? Ich persönlich werde mich aus diesem unwürdigen Schauspiel heraushalten. Ich werde darauf verzichten, den Protestierenden gegen Corona-Verordnungen, die sich mit einem gelben Stern zeigen, den Unterschied zum Leben meines Großvaters zu erklären, der in Wien gezwungen wurde, den gelben Stern zu tragen, aus seiner Wohnung gejagt wurde, sein Geschäft verloren hatte, von betrunkenen Nazis auf offener Straße verprügelt und ein paar Jahre später in Maly Trostinez in der Nähe von Kiew ermordet wurde.“
Vorzügliches Sittengemälde der Ambivalenz von Bremer Linken
So weit, so eindeutig. Doch was sich im Bremer linken Mikrokosmos mit seiner dezidierten Nähe zur örtlichen Linkspartei angesichts dieser zutiefst unwürdigen Selbstinszenierung des Corona-Querdenkers in der Folge an Scheinheiligkeit herausschälte, taugt als ein vorzügliches Sittengemälde der Ambivalenz von Bremer Linken im Umgang mit Vorfällen von Judenfeindlichkeit. Schrieb der Entdecker dieses gelben Sterns, ein Landessprecher der Jugendorganisation Linksjugend der Bremer Linkspartei, zunächst wortreich in einer vielfach in sozialen Medien geteilten Nachricht:
„Den sogenannten ‚Judenstern‘ als Symbol gegen einen Rechtsstaat zunutzen war unter anderem ein Grund dafür, dass ich beim dokumentieren den Tränen nah war. Unerträglich!“
All dies hielt den jungen Mann, der ob eines Judensterns ja so am Wasser gebaut ist, indes nicht davon ab, einen Tag zuvor bei einer Veranstaltung des „Bremer Friedensforums“ zum Ostermarsch 2021 eine Rede zu halten. Also bei jenen vermeintlichen Friedensaposteln, die sich seit Jahren als ein substanzieller Player im Bremer Anti-Israel-Netzwerk gebärden.
So postierten sich Aktivisten des Friedensforums im März 2011 mit anderen Israel-Boykotteuren vor einem Bremer Lebensmittelmarkt und riefen „zum Boykott von Produkten auf, die mit dem Herkunftsland Israel gekennzeichnet“ waren. Dieser Vorfall schaffte es sogar bis in den Bericht „Antisemitismus in Deutschland“ des unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus des Deutschen Bundestags. Erst im November 2020 erneuerte das Friedensforum seinen Boykottaufruf, indem es forderte, „keine Produkte aus illegalen israelischen Siedlungen einzuführen […] und die militärische Kooperation mit Israel zu beenden“.
Wie sagte es Henryk M. Broder im Jahr 2008 in einer Rede vor dem Innenausschuss des Deutschen Bundestages so treffend: „Der Antizionist hat die gleiche Einstellung zu Israel wie der Antisemit zum Juden.“ Etwas, was Bremens Anti-Israel-Blase nur allzu vortrefflich vorexerziert. Allen voran ihre Friedensbewegten und selbsterklärten Palästina-Freunde.
Dann als Linksjugend-Sprecher am einen Tag wegen eines mit einem Judenstern bekleideten Corona-Querdenkers in Kümmernis zu verfallen und am anderen Tag mit dezidierten Antizionisten und Israel-Boykotteuren auf einer Bühne zu stehen: Da werden aus den bitteren Zähren des jungen Mannes doch eher Krokodilstränen ob dieser ungeschminkten Bigotterie.
Und dass der Linksjugend-Sprecher zur Zeit des ersten Israel-Boykotts des Friedensforums noch im Kindesalter war, kann nicht als Erklärung für diese doppelbödige Einfalt dienen. Mag Alter nicht vor Torheit schützen, so offensichtlich schützt (Links-)Jugend auch nicht vor der Naivität einer Verbrüderung mit Bremens oberster Antizionisten-Klasse.
„Legitimes, friedliches Mittel der internationalen Zivilgesellschaft“
Auch der derzeitige Bremer Linksvorsitz spielt seine ganz eigene Rolle im Bremer Antizionismus: Sah doch die aktuelle Landesspitze um Cornelia Barth und Christoph Spehr, die seit November 2019 in Amt und Würden ist, noch im Jahr 2011als bereits damals amtierender Landesvorsitz in Boykottaufrufen gegen Israel „ein legitimes, friedliches Mittel der internationalen Zivilgesellschaft“. Seinerzeit begleitete die Bremer Linkspartei auf ihrer Website redaktionell den oben genannten Israel-Boykott des „Bremer Friedensforums“. Weiß der Linksjugend-Sprecher darum eigentlich? Und wenn ja, was er wohl davon hält?
Dass die Landesvorsitzenden Barth und Spehr ihre Haltung zu Israel in den letzten Jahren verändert hätten, bezeugt übrigens keine Stellungnahme. Vielmehr legt Barths Beteiligung an einer Pro-Mullah-Demonstration des „Bremer Friedensforums“, unter dem vielsagenden Titel „Hände weg vom Iran“, im Januar 2020 nach der Tötung des iranischen Terroristen Kassem Soleimani eher das Gegenteil nahe.
Auf einem der Transparente stand dabei „Verhandeln statt Eskalieren“; eine Reminiszenz an Neville Chamberlains epochal katastrophale Appeasement-Politik der 1930er Jahre. Wie man mit einem Regime verhandeln möchte, dass allen Beteuerungen zum Trotz versteckt weiter an der Atombombe arbeitet und als Ziel die „Endlösung“, also die Judenvernichtung, hat, beantworten Bremens Friedensbewegte lieber nicht. Hier wird das Scheitern von Chamberlains verheerender Politik vielmehr zum linken Auftrag, sie in ihrer neuzeitlichen Übersetzung mit all ihren verheerenden Konsequenzen proaktiv zu unterstützen.
Und folgt man den Einlassungen der Bremer Linksjugend, die erst unlängst den Ausschluss von Lokalpolitikern der Linkspartei mit den Worten „Mitglieder[,] die bei Antisemitismus klatschen[,] sind keine Genoss*innen“ forderten, stellt sich die Frage, warum Barth und Spehr überhaupt noch Mitglieder des Landesverbandes sind und das dabei sogar in exponierter Position? Wer nicht nur aktiv den Israel-Boykott gutheißt, sondern umso mehr das vernichtungs-antisemitische Mullah-Regime banalisiert, klatscht mutmaßlich mehr als nur in die Hände.
Ein genauer Blick auf die Umtriebe des anti-israelischen Netzwerks seiner eigenen Partei wäre folglich lohnenswert für den Linksjugend-Sprecher, da er sich laut seinem Twitter-Profil der „Antisemitismuskritik“ verschreibt und unlängst sogar dazu entschieden hat, für die Bundestagswahl 2021 auf der Landesliste der Linkspartei zu kandidieren. Sich in einer „Hochburg des Israelhasses“ einzig in der Reflexion eines Judenstern tragenden Querdenkers zu konditionieren, wird einer adäquaten „Antisemitismuskritik“ sicherlich nur schwerlich gerecht. Die Baustellen sind in seiner eigenen Partei wie bei seinen Friedensbrüdern da doch ganz andere.
In Deutschlands kleinstem Bundesland ticken die Uhren also ein wenig anders. Antisemitismus ist in den Augen der lokalen Linken nämlich nicht immer Antisemitismus, vor allen Dingen dann nicht, wenn er sich in seiner modernen Ausprägung des Antizionismus manifestiert. Da braucht es vielmehr einen sich wahnhaft mit einem Judenstern selbststigmatisierenden Corona-Querdenker, um im wohlorchestrierten pseudo-antifaschistischen Getöse einmal gegen Judenfeindlichkeit aktiv zu werden.
Lesen Sie morgen: Die Bremer Antifa macht jetzt Hausbesuche bei Querdenkern.