Kroatien: Die Doppellast der EU-Grenzpolitik

Von Sabine Beppler-Spahl.

Kroatien, sagte die neue EU-Kommissarin Dubravka Suica, nachdem sie im September ihr Amt angetreten hatte, werde sich für eine Erweiterung der Union einsetzen. Ihr Land wolle nicht der Grenzschutzbeamte an der Außengrenze der EU bleiben. Ähnlich äußerte sich auch die Regierung in Zagreb, die mit dem Antritt der EU-Ratspräsidentschaft am 1. Januar das Ziel verbunden hat, das Aufnahmeverfahren Albaniens und Nordmazedoniens zu beschleunigen.

Suicas Aussage ist heikel, denn sie erinnert daran, dass es vor allem die Staaten in Südosteuropa sind, die die Widersprüche und Defizite der EU-Grenzpolitik zu spüren bekommen. Viel zu selten wird hierzulande darüber berichtet, was die Strategie der EU – Freizügigkeit nach innen und Abwehr des Migrationsdrucks von außen – für die Regionen an der Peripherie des Kontinents bedeutet.

In einem Essay mit dem Titel, „Kroatien – Grenzer Europas“ (1), beschäftigen sich die Wissenschaftler Vanessa und Mladen Pupavac von der Universität Nottingham mit dem doppelten Migrationsdruck als Folge dieser Strategie. Da ist zum einen die anhaltende Auswanderungswelle, die durch die Freizügigkeit beschleunigt wurde: In den letzten Jahren verlor Kroatien über ein Fünftel seiner – zumeist jungen und arbeitsfähigen – Bevölkerung. Mit dem Beitritt zur EU im Jahr 2013 ist Kroatien aber auch zu einem Grenz- und Transitland für Migranten aus dem noch ärmeren Süden geworden. In einer Region, die oft Spielball fremder Mächte war – und die Rolle des „Grenzers“ schon in der Zeit der Habsburgermonarchie spielte –, weckt dies naturgemäß Sorgen, wie die Pupavacs erläutern: „Wenn sie miterleben, wie ihr Land zu einem Durchgangsgebiet wird, das man möglichst eilig durchquert, ruft das historische Erinnerungen wach.“

Wie ehrlich ist die Kritik?

Wie ernst die Lage ist, zeigte sich noch im Oktober, als der Berichterstatter des UNO-Menschenrechtsrats Felipe Gonzales Morales die bosnische Regierung heftig kritisierte, weil sie Flüchtlinge in Vucja – ein von Landminen verseuchtes Lager an der kroatischen Grenze – ohne ausreichende hygienische Versorgung unterbringt. Etwa 40.000 Migranten sollen seit 2018 nach Bosnien gekommen sein. Ein Großteil hofft, über Kroatien in die EU einreisen zu können. Auch der kroatischen Regierung wurden Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen: Kroatien sei so rabiat wie Ungarn und schiebe tausende Flüchtlinge mit Gewalt ab, klagte die taz im Sommer 2018. Doch wie ehrlich ist diese Kritik? Hat nicht auch die Bundesregierung ein Interesse daran, die Migration zu stoppen? So drängte Bundeskanzlerin Angela Merkel schon 2016 bei einem Gespräch mit dem kroatischen Ministerpräsidenten Tihomir Oreškovic darauf, dass die Politik des „Durchwinkens“ von Migranten an der kroatischen Grenze beendet werden müsse.

Fest steht, dass die Freizügigkeit innerhalb der EU nur aufrechterhalten werden kann, wenn das System der Außengrenzen funktioniert – und andere, die ärmeren Regionen, die unfeine Arbeit der Abwehr erledigen. Das bedeutet, dass die Länder Südosteuropas zu einem Cordon Sanitaire (Pupavac) für Nordeuropa geworden sind. Auch ein Großteil der Hilfe, die den Ländern des Balkans für die Bewältigung der Flüchtlingskrise gewährt wurden, dient dem Zweck, die Migranten möglichst lange auf- und abzuhalten. Die damit verbundenen Summen, so Pupavac, seien jedoch, gemessen an den sozialen Anforderungen der Grenzsicherung und der humanitären Versorgung, kaum adäquat.

Dass es schon immer eine tiefe Diskrepanz zwischen dem von der EU erhobenen Ideal der Grenzenlosigkeit und der Realität gab, ist bekannt. So wurden Grenzen erst mit der Bildung der EU errichtet oder verstärkt. Ein Beispiel ist der Zaun in der spanischen Enklave Ceuta. Doch der Begriff Festung Europas, der von den Kritikern der EU-Einwanderungspolitik oft bemüht wurde, trifft den Kern dessen, was sich an den Außenstellen der EU entwickelt, nicht. Die Pupavacs sprechen von einem „verstärkten Europa“: Die Vision der grenzfreien EU bestehe darin, die Einwanderungskontrollen noch weiter auszulagern und auf Drittstaaten im Balkan und in Nordafrika zu übertragen. Die mit diesen Regionen geschlossenen Verträge machten aus ihnen regelrechte Grenzfestungen. Gleichzeitig sorgt diese Strategie dafür, dass die Frage der Grenzkontrollen und Einwanderung dem demokratischen Diskurs in den reicheren EU-Mitgliedsländern entzogen wird. Die neuen, militarisierten Grenzregionen aber sind für die Migranten gefährlicher und brutaler als jede nationale Grenze, die unter demokratischer Kontrolle steht.

Entvölkerung im Hinterland

Die Umgehung der Debatte über Grenzen bestärkt die Heuchelei und trägt keinesfalls zu einem freieren und offeneren Europa bei. Im Oktober hat die EU-Kommission die Aufnahme Kroatiens in den Schengen-Raum empfohlen. Das Land sei in der Lage, die Bedingungen für den Beitritt zu erfüllen, so die Behörde. Die Probleme werden dadurch nicht gelöst. Die meisten Migranten, die es schaffen, die kroatische Grenze zu überwinden, wollen das Land ohnehin nur möglichst schnell durchqueren, um in die reicheren EU-Länder im Norden zu gelangen. So erinnere die Migration die Bevölkerung Kroatiens auch an ihre eigene prekäre Situation, meinen die Pupavacs.

Das internationale Image des Landes bestehe darin, ein beliebtes Reiseziel zu sein. Doch das Bild sehe ganz anders aus, wenn man die Touristenzentren verlasse. Besonders stark ausgeprägt sei der wirtschaftliche Niedergang und die Entvölkerung im Hinterland Dalmatiens und im Osten Slawoniens: Dörfer sterben, und selbst große Städte können die Bevölkerung nicht halten, weil es keine Beschäftigungsperspektiven gibt: „Im Rahmen der Globalisierung stehen sich Auswanderer aus der EU und aus Drittländern im Wettbewerb um Arbeitsplätze in den reicheren Wirtschaftsregionen gegenüber“.

Wird die kroatische Ratspräsidentschaft unseren Blick für das, was im Namen der Freizügigkeit und Grenzenlosigkeit in der EU passiert, schärfen? 

Der Essay von Vanessa und Mladen Pupavac, „Kroatien – Grenzer Europas?“, ist im Band 130 der Edition Novo, mit dem Titel: „Grenzen und Spaltungen“ vom 18. Dezember 2019 (Sabine Beppler-Spahl, Hg) abgedruckt. Der Band kann hier sowie bei amazon.de erworben werden.

Dieser Beitrag erschien zuerst im Wirtschaftsmagazin Makroskop.

 

Quelle:

(1) Pupavac, Vanessa und Mladen: Kroatien – Grenzer Europas, in: Grenzen und Spaltungen, Edition Novo, Bd. 130, Dez. 2019

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Leserpost

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Dr. Phil Omanski / 23.01.2020

Die Jihadisten an der kroatisch-bosnischen Grenze müssen Richtung Asien zurückvertrieben werden. So sieht die Wirklichkeit aus.

Marcel Seiler / 23.01.2020

Das alles interessiert Merkel in Berlin und vdLeyen in Brüssel nicht. Solch lächerliche Probleme in marginalen EU-Ländern lächeln die einfach weg. Oder machen ihnen die Probleme der griechischen Inseln etwas aus? Eben! Dass diese Probleme durch die Sogwirkung Deutschland entstehen: einfach verleugnen! – Und recht haben sie, diese Politiker: die deutsche wohlstandsverwahrloste Bevölkerung stört all dieses auch nicht.

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