Wolfram Weimer / 26.10.2008 / 22:00 / 0 / Seite ausdrucken

Krisengewinner und Verlierer

Max Frisch wusste es schon vor Jahrzehnten: Jede Krise ist eine fruchtbare Zeit, man muss ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen. Vor allem diejenigen, die das können, gehören zu den ersten Gewinnern jeder Krise. Nicholas Sarkozy und Gordon Brown zum Beispiel. Beide waren politisch schwer angeschlagen, persönlich unbeliebt und auf dem Weg zum Gespött Europas. Der eitle Gockel und der tapsige Brummbär. Einige Wochen Krisenmanagement und beide wirken plötzlich wie stolze Löwen in der weltpolitischen Arena. Sie haben die Bestie des Bankencrashs gebändigt, zupackend und kreativ zugleich. Und es vergeht kein Tag, dass die beiden nicht neue Ideen in die Welt hinausbrüllen und jeder ihnen die Mähne krault…

Nun ist jede Krise ein Geschenk für die Exekutive. Sie zeigt die Staatenlenker im Brennpunkt der Ereignisse, sie lässt die Opposition im Schatten großer Entscheidungen verschwinden und mobilisiert nationale Geschlossenheiten. In einer Krise wird der politische Führer zum Träger kollektiver Hoffnungen. Ob es nun die Elbeflut für Schröder oder die Finanzkrise für Angela Merkel ist – der Schimmelreiter-Effekt lässt alle hinter den Rettern versammeln. Und wenn die Sache glimpflich ausgeht, dann erwachsen aus gewöhnlichen Politikern zeitweilige Helden.
So ergeht es auch Angela Merkel. Sie hatte mit der Bayernwahl und dem Ende der SPD-Beck-Krise eine doppelt ungünstige Situation. Die Umfragewerte bröckelten und in der Union machte sich Unmut über die Vernachlässigung konservativer Positionen breit. Doch die Finanzkrise änderte schlagartig die Konstellation. Plötzlich war Angela Merkel in der Rolle der Drachentöterin. Ihr Krisenmanagement war geschickt und bestimmt zugleich, es verzichtete – anders als bei Sarkozy – auf Schwadroniergehabe und Pathos. Dabei demonstrierte sie doch, dass sie im entscheidenden Moment alle Zügel in der Hand hatte und das richtige zum richtigen Zeitpunkt tat. Merkels Kanzlerschaft war bis zu diesem Zeitpunkt eine Schönwetterveranstaltung, ein seichtes Surfen im Wind des Zeitgeistes. Nun aber stand sie im Sturm und musste ein Stahlgewitter überstehen. Und sie hat es gut überstanden. Ihre Umfragewerte steigen kräftig und sie zählt unbestritten zu den großen Gewinnern der Krise.
Im Schlepptau der Kanzlerin hat auch Peer Steinbrück seine diffuse Regierungsbilanz klar aufgebessert. Auch ihm schien das politische Schicksal bis vor wenigen Monaten nicht gewogen. Er wirkte als konservativer Sozialdemokrat in der Linksrutsch-SPD isoliert, machte sich durch sein freimütiges Mundwerk immer wieder Feinde und wirkte wie auf der Zielgeraden seiner Karriere. Plötzlich wurde er über Wochen hinweg zur gefühlten Nummer 1 der Sozialdemokratie. Die SPD hatte gerade einen Kanzlerkandidaten ernannt und einen neuen Parteichef gleich dazu, doch zu sehen war nur der hanseatische Bankenzuchtmeister.
Ganz anders Michael Glos. Der Wirtschaftsminister gehört zu den klaren Verlierern der Krise. Er konnte seine historische Chance nicht nutzen, seine seit langem gefühlte Inkompetenz wurde schlagartig offenbar. Im Strudel der CSU-Entzauberung strampelte er gleich mit hinunter. Ganz im Gegensatz zu Norbert Röttgen. Mit ihm ließ die Kanzlerin ganz gezielt einen neuen Stern am wirtschaftspolitischen Firmament der Union aufgehen. Er besuchte eine Talkshow nach der anderen, formulierte besonnen, als alle schrien und vor allem das, was die Kanzlerin dachte. Und er setzte das Wording für die neue Zeit und betonte geschickt das Soziale an der sozialen Marktwirtschaft. Aus dem Kanzleramt ist heute zu hören, dass man mit Röttgen im kommenden Jahr fest für höhere Aufgaben rechnen kann.
Zu den passiven Krisenverlierern gehören dagegen Franz-Walter Steinmeier und Horst Köhler. Beide wirkten in den Tagen der Angst pomadig und leise. Beide sind zwar politische Sympathen, aber beide bestätigten das Gefühl, sie seien eher im Salon als auf dem Schlachtfeld versiert. Ihnen unterliefen zwar keine echten Fehler, aber ihre schiere Passivität gereichte ihnen im Ablauf der Krise zum spürbaren Nachteil. Gerade bei Horst Köhler, Deutschlands Parade-Experten für internationale Finanzfragen, hatte man in einer solchen Lage mehr erwartet.
Zu den passiven Krisengewinnern zählt Andera Ypsilanti. Ihre verwegene Strategie zur Machtübernahme in Hessen wäre zum wochenlangen Gegenstand bundespolitischer Erörterungen geworden. Und da nicht nur Drei-Viertel aller Bundesbürger ihr Ansinnen für einen Wahlbetrug halten, sondern auch die Führung der SPD für einen strategischen Fehler, hätte sie diese Wochen nur schwer überstanden. So konnte sie unter den Wogen der Weltfinanzkrise durchtauchen und in Wiesbaden ihre Ränke schmieden.
Interessant ist schließlich der Fall Lafontaine und seiner Linkspartei. Im ersten Reflex dachte die halbe Republik, dass er von der Krise des Finanzkapitalismus deutlich profitieren müsse. Tatsächlich aber lag seine Linkspartei vor Ausbruch der Krise Ende August bei 14-15 Prozent Zustimmung, jetzt mobilisiert sie nur mehr 13 Prozent. Hier gibt es einen eklatanten Unterschied zwischen gefühlter und tatsächlicher politischer Bewegung. Ganz offensichtlich geht mit Oskar Lafontaine ein hohes Maß an politischem Unernst und Denkzettel-Stimmung einher. Im Moment aber, da die Dinge wirklich ernst werden, lässt dieser Effekt sofort nach. Die einfache Frage, ob man sein erspartes Geld lieber Merkel und Steinbrück oder Gysi und Lafontaine anvertrauen würde, reicht aus, diesen Rückschlag zu erklären. Integrität, Glaubwürdigkeit, Zuverlässigkeit sind plötzlich wieder Bedeutungskategorien in der deutschen Politik. Und da schneidet Oskar Lafontaine so schlecht ab wie Banker. Seine Entscheidung für den ältlich-giftigen Schauspieler Peter Sodann als Bundespräsidentenkandidaten hat diese Schwäche eher betont. Sodanns marodierende Attacken gegen die Demokratie, die Hymne, das Land und seine Führungsfiguren wirken in einem Moment der ernsten Sorge wie Jahrmarktgeplärre. Darum zählt Oskar Lafontaine zu den Überraschungsverlierern der Finanzkrise.

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