Wenn ein Kosmetikkonzern wie L’Oréal bessere Kredit-Konditionen erhält als die französische Republik, dann stimmt etwas nicht. Frankreich mag nicht der Punkt sein, an dem Europas Währungsunion aufhört zu funktionieren. Aber ebenso klar ist: So kann es auch nicht ewig weitergehen.
Anfang September warnte ich davor, dass die französische Politik Europas finanzielles Pulverfass entzünden könnte. Die Lunte, so schlug ich vor, könnte gezündet werden, wenn Premierminister François Bayrou einer unvermeidlichen Vertrauensabstimmung gegenüberstünde – die er verlieren würde. Diese Vorhersage hat sich bewahrheitet. Am 8. September lehnte die Nationalversammlung Bayrou mit 364 zu 194 Stimmen ab. Das Kabinett seines Nachfolgers Sébastien Lecornu hielt gerade einmal 14 Stunden – die kürzeste Amtszeit einer Regierung in der modernen französischen Geschichte.
Doch Präsident Emmanuel Macron setzte Lecornu nur wenige Tage später erneut als Premierminister ein. Wir werden sehen, wie lange er diesmal im Amt bleibt.
Frankreichs Misere geht jedoch tiefer als diese außergewöhnlichen politischen Turbulenzen. Die Nationalversammlung ist dreigeteilt: das NFP-Bündnis mit 182 Sitzen, Macrons „Ensemble“ mit 168 und Le Pens „Rassemblement National“ mit 143. Keine dieser Gruppen kann allein regieren. Zwei können sich jeweils zusammenschließen, um die dritte zu stürzen – und genau das tun sie auch.
Die Fünfte Republik wurde von Charles de Gaulle entworfen, um durch eine starke Präsidentschaft und ein gefügiges Parlament entschlossene Führung zu gewährleisten. Doch der Mechanismus, der Stabilität sichern sollte, verhindert sie heute. Frankreich ist unter seinen eigenen verfassungsmäßigen Regeln unregierbar geworden. Frankreichs Politiker werden sich irgendwie mit dieser Lähmung durchwursteln müssen – aber die Finanzmärkte haben weniger Geduld.
Zehnjährige französische Staatsanleihen rentieren derzeit mit 3,5 bis 3,6 Prozent. Das liegt rund 85 Basispunkte über dem, was Deutschland zahlen muss – ein Mehrjahreshoch und ein Zeichen dafür, wie ernst die Lage für Frankreich ist. Ein weiteres Indiz: L’Oréal konnte sich jüngst günstiger verschulden als der französische Staat bei ähnlichen Laufzeiten. Wenn ein Kosmetikkonzern bessere Konditionen bekommt als die Republik, stimmt etwas nicht.
Das Risiko der Währungsunion wird durch Frankreich definiert
Was die Märkte beunruhigt, ist nicht nur Frankreichs Schuldenberg von 3,3 Billionen Euro oder das gigantische Haushaltsdefizit von 5,6 Prozent des BIP. Die eigentliche Sorge ist die politische Dysfunktion. Denn sie bedeutet, dass Frankreich aus politischen Gründen Schwierigkeiten bekommen könnte, seinen Schuldendienst zu leisten. Zum ersten Mal seit der Eurokrise wird das Risiko der Währungsunion also nicht mehr durch Griechenland oder Italien definiert, sondern durch Frankreich.
Diese Verschiebung zeigt sich bereits im T2-System – den Forderungen und Verbindlichkeiten zwischen den Zentralbanken des Euroraums. T2 ersetzte im März 2023 das bekannte TARGET2-System. Ich habe dieses System stets als den besten Indikator für Spannungen in der Eurozone betrachtet.
T2 ist die verborgene Bilanz des Euro, die Kapitalbewegungen zwischen den nationalen Zentralbanken nachverfolgt. Wenn Vertrauen herrscht, nähern sich die Salden in T2 der Null. Wenn das Vertrauen schwindet, sieht das anders aus: Dann markieren negative T2-Salden die Länder, aus denen Kapital flieht, und positive Salden jene, in die es fließt. Die T2-Zahlen zeichnen ein klares Bild: Deutschland steht mit über einer Billion Euro im Plus. Italien weist rund 400 Milliarden Euro an Verbindlichkeiten auf, Spanien zwischen 390 und 440 Milliarden. Frankreich hat inzwischen ebenfalls negative Salden – etwa 150 bis 210 Milliarden Euro in den Jahren 2024–2025 – und die Tendenz ist steigend.
T2 ist wichtig, weil es zeigt, was die Europäer tatsächlich mit ihrem Geld tun – und nicht, was Politiker sagen, was sie tun sollten. Wenn Geld von Italien oder Frankreich nach Deutschland fließt, zeigt das, wo Menschen ihre Euros für sicherer halten.
Frankreich fällt bei allen fiskalischen Tests der EU durch
Die heutigen Salden übersteigen jene aus der Krise von 2012 bei Weitem, als die Märkte fürchteten, der Euro könne auseinanderbrechen. Damals gab es immerhin Klarheit: Deutschland war sicher, Griechenland nicht. Heute – mit einem gelähmten Frankreich und einem stagnierenden Deutschland – gelten die alten Gewissheiten nicht mehr.
Die Europäische Zentralbank verfügt über Instrumente für solche Momente. Ihr „Transmission Protection Instrument“ erlaubt unbegrenzte Anleihekäufe zur Unterstützung von Mitgliedstaaten, die unter „unbegründetem“ Marktdruck stehen (was auch immer das heißen mag). Doch um für solche Hilfe infrage zu kommen, müssen Länder die EU-Haushaltsregeln einhalten. Sie müssen eine tragfähige Schuldenpolitik nachweisen und mit Brüssel bei Wirtschaftsreformen zusammenarbeiten.
Heute fällt Frankreich bei allen fiskalischen Tests der EU durch. Das Defizit liegt fast doppelt so hoch wie die 3-Prozent-Grenze. Die Verschuldung übersteigt 110 Prozent des BIP – deutlich über der zulässigen 60-Prozent-Schwelle. Kein Wunder, dass die Kommission Frankreich unter das Verfahren wegen übermäßigen Defizits gestellt hat (was bisher allerdings nichts bewirkt hat).
Sollten die Märkte die EZB zwingen, Frankreich zu verteidigen, würde jede Intervention sofort juristisch angefochten. Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat die Mandatsausweitung der EZB schon lange kritisch gesehen. Dennoch würde die Zentralbank in einer echten Krise fast sicher eingreifen – sie könnte es sich schlicht nicht leisten, das zweitgrößte Mitglied der Eurozone Angriffen auszusetzen.
Doch genau dadurch würde sie den zentralen Widerspruch des Euro offenlegen: Es ist eine Währungsunion, die gezwungen sein könnte, ihre eigenen Regeln außer Kraft zu setzen, um zu überleben. Das zeigt, dass die Eurozone auch nach über 25 Jahren immer noch an Konstruktionsfehlern leidet.
In gewisser Weise der europäische Normalzustand
Nebenbei verdeutlicht die französische Krise auch die Unzulänglichkeit der europäischen Finanzinstrumente. Frankreich muss in diesem Jahr 307 Milliarden Euro refinanzieren. Der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM), der geschaffen wurde, um eine Wiederholung der griechischen Schuldenkrise zu verhindern, verfügt über eine maximale Kreditkapazität von 500 Milliarden Euro. Nach der Griechenland-Krise klang ein halbes Billionen-Euro-Sicherheitsnetz beeindruckend. Doch für Frankreich würde es kaum länger als anderthalb Jahre reichen.
Zur Klarstellung: Die europäische Währungsunion steht (noch) nicht am Rand des Zusammenbruchs. Doch mit Frankreich auf dem derzeitigen Kurs könnte sie bald die Belastungsgrenzen ihres Krisenrahmens austesten.
Das wahrscheinlichste Szenario ist vorerst eine lange Phase des „Durchwurstelns“. Das bedeutet: Es wird weder eine Lösung noch einen Zusammenbruch geben. Stattdessen wird das Vertrauen schrittweise erodieren. Die Märkte werden höhere Renditen verlangen, das Wachstum wird sich weiter abschwächen, und die französische Politik wird noch chaotischer werden. In gewisser Weise wäre das der europäische Normalzustand: Die EU hat die Kunst perfektioniert, jede Abrechnung aufzuschieben. In jeder Krise präsentiert sie eine neue Notlösung, um das System zu erhalten – ohne je die zugrunde liegenden Widersprüche oder Ursachen zu beseitigen.
Der Euro bleibt vorerst die zweitwichtigste Reservewährung der Welt und steht für rund 20 Prozent der globalen Bestände. Die französische Krise wird wohl bald aus den Schlagzeilen verschwinden, und die EZB wird einen Weg finden, ihre Regeln zu beugen, ohne sie ganz zu brechen. Und doch sollte man sich an das Bonmot des amerikanischen Ökonomen Herbert Stein erinnern: „Wenn etwas nicht ewig so weitergehen kann, wird es aufhören.“ Frankreich mag nicht der Punkt sein, an dem Europas Währungsunion aufhört zu funktionieren. Aber ebenso klar ist: So kann es auch nicht ewig weitergehen.
Dr. Oliver Marc Hartwich, geboren 1975 in Gelsenkirchen, ist seit 2012 geschäftsführender Direktor der New Zealand Initiative in Wellington, der windigsten Hauptstadt der Welt. Die Initiative ist ein Verband neuseeländischer Unternehmen und die führende Denkfabrik des Landes.
Alles Übel in FR liegt an der selbsverordneten Handlungsunfähigkeit der Politik. Es gibt keine demokratisch legitimierten Mehrheiten links der Brandmauer, um die Probleme in Angriff zu nehmen. Das Land befindet sich überdies in einem schwelenden Bürgerkrieg, der regelmäßig lokal eskaliert, und die Exekutive hat längst das Heft aus der Hand gegeben. Inzwischen müsste das Militär in die Städte und Viertel gehen, um die “neuen Herrscher” zu eliminieren - ohne rechtsstaatliches Verfahren und Gerichtsurteil. Das wäre alles nicht notwendig gewesen, wenn die Nationalversammlung ohne Parteizwang Gesetze beschlossen hätte, bevor es zu spät war!
Die deutsche Öffentlichkeit bzw. das Wahlvolk sollte sich sehr genau die fiskalische Historie bzw. die Defizitentwicklung (Ursachen, rechtzeitige ausgebliebene Gegenmaßnahmen, staatlich endlich den Ausgabegürtel enger schnallen) in Frankreich anschauen. Wie durch politisch eigentlich angemessen notwendige, aber „demokratisch“ verdrängte Grundsatzreformen (Parlamentsversagen?) das Staatsdefizit auch in den letzten Jahren zunahm. Sowie schon die Zinszahlungen bzw. Umschuldungsnotwendigkeiten immer stringenter jegliche verbleibende Handlungsspielräum einschränkten. Und nunmehr zwischen den drei großen Fraktionen (bzw. Volksvertreter!) kein Einvernehmen möglich erscheint, wo genau der staatliche Gürtel enger geschnallt werden müsste, um die damit verbundenen Lasten halbwegs gleichmäßig und vertretbar aufzuteilen. Also das trotz der staatlich finanziellen Risikoentwicklung faktisch eine Totalblockade eingetreten ist. In der Bundesrepublik sind wir über die vielen Sondervermögen, mit zeitnah zunehmenden Zinszahlungsverpflichtungen, inzwischen auf dem gleichen Weg (in den Abgrund). Die bei uns real existierende Parteiendemokratur, mit einem Abgeordnetentypus „Es ist doch noch nichts passiert (und hat noch Zeit bis zu einschneidenden Entscheidungen)“ oder „Was kümmert mich jetzt die staatlichen Zinsverpflichtungen (einschl. Inflationstendenzen d.h. allgemeine Preissteigerungen) in der nächste Wahlperiode“, werden essentielle Ausgabeherausforderungen (Rente, Gesundheitswesen, Verkehrsinfrastruktur, Verteidigung und innere Sicherheit, u.ä.) weiterhin ausgesessen. Von wegen demokratisch verantwortliches Handeln. Eher unverantwortlich stets zuversichtliches Schwafeln. Renommierte Studien (nicht nur des Bundesrechnungshof) beschreiben unmissverständlich, das explodierende Staatsschulden das Staatswesen (Währung?) strangulieren werden!
Frankreich, Deutschland, die ganze EU, disfunktionieren nach dem gleichen ökonomischen Prinzip, wie Cum-Ex, Wirecard und das Benko Firmengeflecht. Leider steht von den erstgenannten noch kein Verantwortendlicher vor Gericht.
Wenn irgendjemand meint, dass Deutschland in der Lage wäre, die Situation wie weiland in der Griechenland-Krise zu retten, so irrt sich der gewaltig! Deutschland hat seit geraumer Zeit kein bis negatives Wirtschaftswachstum, eine Regierung, die weiter munter das Geld in alle Welt schickt, sogar an Mörderbanden und Vergewaltigerhorden wie die Hamas, denn dort landet die deutsche Hilfe am Ende immer. Zunehmend verschuldet sich Deutschland auch selbst immer weiter, die sog. Sondervermögen lassen herzlich grüßen! Mithin gibt es auf mittlere Sicht niemanden im Euroraum, der die Möglichkeit hätte, die Währung zu retten, wenn die Schieflage zu groß wird. Und es ist durchaus erwartbar, dass die Hedgefondsmanager sich keine Gelegenheit entgehen lassen, gegen der EURO zu wetten! Der Goldpreis auf immer neuen Rekordhöhen lässt die Krise - in der sich auch der US-Dollar befindet - vorausahnen. Wer kann sollte dort sein Erspartes anlegen. Gold ist immer noch Krisenwährung Nummer 1. Und da sich ja Europa, an der Spitze Deutschland der Rettung des Weltklimas verschrieben hat, was in einem erst kürzlich hier auf der Achse erschienen Beitrag dargelegt ein Unterfangen mit mehr als astronomischen Kosten ist, wird sich die kommende Krise auch nicht mehr mit Gelddrucken abwenden lassen. Das muss vorher bereits für die ganzen Klimahysteriemaßnahmen gedruckt werden. Die Geldmenge ist eben doch nicht beliebig erweiterbar. Dann allerdings ist der Systemcrash unabwendbar.
Wenn ich eine Bank wäre, natürlich bekommt ein Konzern bessere Konditionen als der Staat. Der Konzern macht Gewinn und zahlt seine Zinsen. Beim Staat ist die Sache nicht so sicher. Das Geld ist zwar nicht wie auf dem Bild verbrannt, es kommt auf private Konten, so oder so. Der Konzern verkauft, wie beim Beispiel L’Oréal Waren, stellt keine Waffen her und verliert keinen Krieg. Noch Fragen, wo eine Bank lieber investiert. Selbst die Nazis im Zweiten Weltkrieg mußten ihre Kredite von den Schweizer Banken mit Gold absichern, was die Schweizer sehr gerne nahmen. Ohne schweizer Kredite wäre der Krieg ja gut 2 Jahre kürzer gewesen. Das Geld war später wertlos, das Gold ...
Too big to fail. oder?
Wer alles tut, um an frisches Geld zu bekommen, weiß genau, das er es niemals zurückzahlen wird. Also außer man schickt Russeninkasso. Und auch die können auf ner Glatze keine Locken drehen. Die Weltwirtschaft befindet sich schon seit der Ölkrise in der Insolvenzverschleppung. Seitdem fährt man auf Reserve und mittlerweile auf der Felge. Fängt ganz langsam, aber dann. Deswegen versucht 1% sich in einen Krieg zu retten. Wie immer. Die ihn finanzieren sterben ja nicht.