Sollte das Ziel gewesen sein, einen Beitrag zu leisten zur Spaltung einer ohnehin gereizten Gesellschaft, kann man die Schlagzeilen einiger Leitmedien von vergangener Woche als äusserst gelungen bezeichnen. "Der Spiegel", "CNN", "The Huffington Post" und "Vice" unterscheiden sich, was Headlines angeht, kaum mehr von den "Breitbarts" dieser Welt – jenem Webportal, das die versammelte Presse stets so selbstgefällig verteufelt. Der einzige Unterschied: Die vermeintlich seriösen Medien schreiben für ein anderes Publikum.
Headlines sind der wichtigste Teil eines Artikels, bestenfalls dringen sie in den Denkprozess des Lesers, triggern ihn, verleiten zum Weiterlesen. Ich habe nichts gegen aufdringliche Headlines. Ich benütze sie in meinen Kolumnen selbst, spitze sie zugunsten der Neugier zu, wie neulich, als ich Google's "sexistische Kackscheisse" titelte. Ein Begriff, der nicht aus meinem Geistesfundus stammt, ich zitierte damit eine Headline des Schweizer Webportals "Watson", dessen Autor seiner ungezügelten Verachtung über einen Google-Mitarbeiter freien Lauf liess – und die ich für restlos unangebracht halte. Dass in der Folge in Leserbriefen meine Kinderstube in Frage gestellt wurde, veranschaulicht, dass Leser eben das lesen, was sie lesen wollen.
Nun ist dies hier eine Meinungskolumne, also ein subjektives Gedankengelage, und widergibt nicht zwingend die Meinung der der Achse des Guten oder der "Basler Zeitung"-Redaktion. Titelbilder bei "Spiegel" aber, oder Artikel auf der Website von "CNN" reflektieren, sofern sie nicht als "Meinung" gekennzeichnet sind, üblicherweise die politische Ausrichtung des gesamten Mediums. Es überrascht also höchstens am Rande, wenn eine Redaktion in ihrem Bestreben, der Leserschaft (und sich selbst) das zu geben, was diese eben lesen will, mit ihren Schlagzeilen politischen Aktivismus betreibt.
In dem Sinne wurden vergangene Woche alle rhetorischen und grafischen Register gezogen. "Der Spiegel" bildete auf seinem Cover eine Ku-Klux-Klan-Mütze ab, titelte "Das wahre Gesicht des Donald Trump" und implizierte damit, Trump sei Mitglied des KKK. Der Stern zeigt Trump auf seiner aktuellen Ausgabe mit US-Flagge verhüllt und mit einer zum Hitlergruß erhobenen rechten Hand. Titel: "Sein Kampf". "The Huffington Post" schrieb zum Abgang von Trump-Chefstratege Steve Bannon: "Goy, Bye!" Das Wort "Goy" bezeichnet aus jüdischer Sicht einen Nichtjuden. Sein Gebrauch ist aber kontrovers weil beleidigend, laut "dictionary.com" impliziert es normalerweise die "Verachtung für Nicht-Juden". Im Zuge der Ausschreitungen um die Konföderierten-Statuen titelte eine "Vice"-Kolumne "Let's blow up Mount Rushmore" – man sollte die monumentalen Porträtköpfe der US-Präsidenten in South Dakota in die Luft sprengen.
Viele Titel und Cover verraten vor allem eines: Maßlosen Hochmut.
In einer Schlagzeile auf seiner Website beschrieb "CNN" die linke Antifa-Bewegung in Bezug auf Charlottesville als Aktivisten, die "Frieden durch Gewalt suchen". Dass ausgerechnet die Antifa mit ihren vermummten Kampfgestalten, dem Vandalismus, den Ladenplünderungen, den äusserst gewalttätigen Angriffen auf Polizisten auf einer Friedensmission sein soll, war dem Sender dann wohl doch ein bisschen suspekt, die romantisierende Headline wurde später geändert, "Aktivisten suchen Frieden durch Gewalt" gelöscht. Auch "Huffpost" und "Vice" aktualisierten, aber erst nach zahlreichen Leserprotesten, ihre Wortwahl, also das, was gemäss eigener Terminologie unzweifelhaft unter "Hatespeech" fällt. Nur änderte es nichts mehr, Tausende Leser hatten es schon angeklickt.
Schlagzeilen dürfen polarisieren, dürfen Debatten auslösen, kontrovers sein – Meinungsfreiheit gilt für alle. Schlagzeilen müssen den Betroffenen nicht schützen, ihm nicht gefallen. Der Leserschaft auch nicht.
Das Problem ist, wer anderen fortwährend Hetze vorwirft, sich in moralischer Empörung ereifert und nach Sperrung und Zensur ruft – wie es Leitmedien in ihrem hochmotivierten Kampf gegen alles, was nicht ihrem Weltbild entspricht tun – aber selber mit Beleidigung und Anheizen nicht zurückhält, ist nicht nur unglaubwürdig, sondern macht sich zum Mittäter eben dieser Volksaufwiegelung. Und er offenbart vor allem eines: Masslosen Hochmut.
Tamara Wernli arbeitet als freiberufliche Moderatorin und als Kolumnistin bei der Basler Zeitung, wo dieser Beitrag zuerst erschienen ist. In ihrer Rubrik „Tamaras Welt“ schreibt sie wöchentlich über Gesellschaftsthemen. Man kann sie auf ihrem YouTube-Kanal abonnieren. Folgen Sie ihren täglichen Wortmeldungen auch auf Twitter.
Der Beitrag erschien zuerst in der Basler Zeitung. Tamara Wernli arbeitet als freiberufliche Moderatorin und als Kolumnistin. In ihrer Rubrik „Tamaras Welt“ schreibt sie wöchentlich über Gesellschaftsthemen. Folgen Sie ihren täglichen Wortmeldungen auch auf Twitter. Ihre Kolumne gibt es auch als Videobotschaft, man kann sie auf ihrem YouTube-Kanal abonnieren.