Die Pasteurisierung wurde nach dem französischen Chemiker Louis Pasteur benannt und vor 150 Jahren entwickelt. Seitdem hat sie wahrscheinlich viele Millionen Menschenleben gerettet, weil sie Milch keimfrei macht und Krankheits-Erreger durch das Verfahren abgetötet werden. Im Zuge der Ökoromantisierung von Natur und Landwirtschaft, wird das Verfahren trotz seiner unmittelbar lebensrettenden Wirkung häufig als „unnatürlich“ oder „künstlich“ kritisiert. In der mittlerweile hegemonialen Ernährungsprosa gibt es dann Empfehlungen wie diese: „Die beste Milch: Rohmilch von lokalen Bauernhöfen. Damit Sie alle gesundheitlichen Vorteile der Milch genießen können, sollten Sie Ihre Milch bei einem regionalen Bauern in Rohmilchqualität beziehen. Diese wird nicht bearbeitet, nicht transportiert und bleibt auch nicht für mehrere Tage in Lagercontainern gelagert.“
Wo das dann hinführt, wenn man Pech hat, beschreibt aktuell die Bildzeitung: „Nach dem Verzehr von Ziegenrohmilchprodukten sind in Baden-Württemberg zwei Menschen an der Hirnentzündung FSME erkrankt.“ Rohmilchprodukte eines Ziegenhofs in Zwiefalten bei Reutlingen seien mit dem FSME-Virus verunreinigt, bestätigte das Landratsamt Biberach. Die Produkte wurden der Behörde zufolge umgehend aus dem Verkauf genommen. Die Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) kann eben nicht nur durch Zecken übertragen werden. In besonders schweren Fällen kommt es zur Entzündung des Gehirns beziehungsweise der Hirnhäute; auch das Rückenmark kann betroffen sein. Zehn Prozent der Patienten haben Folgeschäden (u.a. Lähmungen), ein Prozent der Fälle endet tödlich. Für die Behandlung der FSME gibt es keine Medikamente. Ärzte raten zur Schutzimpfung in Risikogebieten. Jetzt wird die Ziegenmilch auf dem Lorettohof in Zwiefalten ebenfalls pasteurisiert.
Die Natur ist keine friedfertige Mutter, sie hat Klauen und Zähne
Kosmetik, Nahrungsmittel, Reisen, Kleidung und zahlreiche andere Produkte werden heute gerne mit dem Verkaufsargument angepriesen, sie seien besonders natürlich. Das heißt aber eben leider nicht, dass sie auch besonders gesund sind. Bei allem Verständnis für die Sehnsucht nach Mutter Natur, die ja besonders in der Großstadt kultiviert wird, muss man deshalb hier doch noch einmal auf ein paar unromantische Fakten hinweisen.
Die Natur ist keine freundliche, friedfertige Mutter. Sie hat Klauen und Zähne. Durch Ratten übertragene Krankheiten haben mehr Menschen dahin gerafft als Kriege und Revolutionen. Mutterkorn im Getreide hat ganze Landstriche entvölkert. Die biblischen Plagen sind ja nicht erledigt. Schädlinge vernichten heute noch große Teile der Ernte in vielen Regionen. Würden die Bauern wirklich auf Pestizide verzichten, müssten wegen der geringeren Erträge viele Millionen Menschen verhungern.
Während eine Phantom-Debatte über das Herbizid Glyphosat ganz Europa in Aufruhr versetzt, werden sehr viel evidentere Gefahren schlichtweg ignoriert, weil sie nicht ins biologisch-dynamische Weltbild passen. Nach Ansicht der meisten Lebensmittelwissenschaftler zählen Pestizidrückstände zu den geringsten Gefahren, die im Essen lauern. Die wichtigste Ursache von nahrungsbedingten Krankheiten ist falsche, einseitige Ernährung. Dann folgen Infektionen durch Bakterien und andere Mikroorganismen oder Vergiftungen durch toxische Stoffe, die von ihnen gebildet werden. Solche natürlichen Risiken lauern sogar mit höherer Wahrscheinlichkeit in Bioprodukten.
Leider ist auch der Ehec-Erreger ein Teil der Natur
„Natur pur!“, versprechen insbesondere Bio-Vermarkter. Doch leider ist auch der Ehec-Erreger ein Teil der Natur. Und nicht nur der, sondern auch Salmonellen, Listerien, Campylobacter-Keime und Schimmelpilze. Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts erkranken jedes Jahr 150 000 bis 200 000 Menschen in Deutschland durch biologische Verunreinigungen auf Lebensmitteln.
Jahr für Jahr sterben über 200 Bundesbürger an Lebensmittelvergiftungen und -infektionen. Die US-amerikanischen Centers for Desease Control (CDC) gehen von landesweit durchschnittlich 73 000 Erkrankungen und 60 Toten allein durch Escherichia coli Bakterien aus. Auf der Risiko-Rangliste folgen Parasiten, physiologische Gifte, Allergien, Unverträglichkeiten, Vergiftungsunfälle und Verletzungen durch Fremdkörper.
Während sich viele Menschen vor Pestizidrückständen in der Nahrung fürchten, machen sich nur wenige Sorgen um die Verschmutzung durch natürliche Krankheitserreger, wie Schimmelpilze, Einzeller, Bakterien oder Viren. Bis zum Aufkommen der modernen Hygiene und der wissenschaftlichen Medizin waren natürliche Gifte in der Nahrung eine der großen Menschheitsplagen. Insbesondre Pilzgifte (Mykotoxine) kosteten vielen das Leben.
Am bekanntesten ist das Mutterkorn (Claviceps purpurea), ein Pilz der auf Roggen gedeiht und dadurch häufig ins Brot gelangte. Wer sich daran vergiftete starb oder verlor unter Scherzen Finger und Zehen. Der Volksmund nannte diese Symptome Sankt Antonius Feuer. Noch in den vierziger Jahren starben Tausende in der Sowjetunion, weil sie Brot gegessen hatten, das von Pilzen der Gattung Fusarium befallen war.
Der Volksmund nannte es Sankt Antonius Feuer
Anfang der sechziger Jahre registrierten Tierärzte Massensterben von Geflügel in England. Es stellte sich heraus, das die Ursache der Pilz Aspergilus flavus im Futter war. Diese so genannten Aflatoxine werden heute zu den potentesten Krebsauslösern gezählt. Durch Aufklärung, Qualitätskontrolle und Schutzmaßnahmen ist die Gefahr von Mykotoxinen im Essen heute geringer als früher – zumindest in den reichen Industrieländern. Doch sie ist immer noch wesentlich größer als das Risiko von Pestizidrückständen in der Nahrung.
Naturdünger aus Tierfäkalien (den auch viele konventionelle Landwirte einsetzen) kann Krankheitskeime enthalten. Nach den Regeln des Biolandbaus muss der Mist zwar lange kompostiert werden, damit die Hitze Keime abtötet, aber in der Praxis gelangt doch immer wieder infektiöser Dung aufs Gemüse.Und nicht nur beim Düngen sind alternative Methoden hygienisch bedenklich. Freilandgeflügel ist häufiger mit Campylobacter, Salmonellen und anderen Mikroben belastet. Auch bei der oftmals in Bioläden angebotenen Rohmilch und beim Rohmilchkäse besteht das Risiko einer Verunreinigung durch EHEC und andere Bakterien.
Aber auch Viren sind ein Risiko: Rohmilcherzeugnisse können den Erreger der oben beschriebenen Gehirnhautentzündung FSME enthalten. Neben Bakterien und Viren wächst eine dritte Gefahr, wenn die Produktion nach Biorichtlinien erfolgt. „Kontamination durch Schimmelpilzgift ist bei Biolebensmitteln wahrscheinlicher,“ schreibt der amerikanische Biologe und Chemiker Alex A. Avery. „Wenn in gentechnisch veränderte Lebensmitteln solche Mengen von Giftstoffen gefunden würden, wie in Biogetreide,“ sagt der britische Biologe Michael Wilson, „wäre dies das Ende der Grünen Gentechnik.“
Der Öko-Lobby ist es gelungen, konventionell erzeugte Lebensmittel als ungesünder hinzustellen. Dabei waren mit Ehec-Bakterien verseuchte Bio-Salatsprossen 2011 die Ursache für die schlimmste Lebensmittelverseuchung in der Geschichte der Bundesrepublik. 53 Menschen starben daran, Hunderte erlitten ein akutes, lebensgefährliches Nierenversagen. Bei manchen blieben die Entgiftungsorgane auf Dauer geschädigt. Pestizide sind nach Wahrnehmung der Verbraucher „böse Chemie“. Die oftmals viel höhere Gefährlichkeit natürlich vorhandener Gifte und Krankheitserreger wird dagegen verharmlost.
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