Alle Jahre wieder kommt nicht nur das Christuskind, sondern auch die Diskussion über ein Böllerverbot an Silvester. Wobei der Begriff Böller unscharf ist, denn eigentlich handelt es sich dabei nur um einen kleinen Teil des Feuerwerks-Sortiments, nämlich die sogenannten Knall-Artikel, zu denen Donnerschläge, Knallfrösche und sogenannte Lady-Cracker zählen. Letzteres sind durch Zündschnüre verbundene Knall-Ketten oder -Matten, mit denen zündelnde Kinder schon zwischen den Jahren auf sich aufmerksam machen und besorgte Eltern zur Weißglut bringen.
Politisch korrekt ist der Ausdruck Lady-Cracker natürlich nicht, doch er hat sich einstweilen gehalten, wobei die Etymologie unklar bleibt. Heißen sie so, weil man sie Frauen unter den Rock werfen kann oder weil sie (die Knaller) so klein und vergleichsweise schwach sind? In Süddeutschland und Österreich ist noch der Ausdruck „Judenfürze“ bekannt, was evident rassistisch wäre, wobei auch eine Herleitung des inkriminierten Wortes von „Jute“ denkbar erscheint – kubische Kanonenschläge sind traditionell mit Kordeln aus Naturfasern umhüllt, wobei freilich Hanf, nicht Jute zum Einsatz kommt.
Neben diesen Knall-Artikeln gibt es Leuchtartikel, etwa die Funken sprühenden Vulkane, Feuerräder und bengalischen Lichter, außerdem Raketen-Sortimente, Jugend-Feuerwerk, Tischfeuerwerk und die neuerdings so beliebten Batterie-Verbünde, mit denen jeder Hobby-Pyromane nach einmaligem Anzünden ein veritables Brillantfeuerwerk entfachen kann. Ihnen gemein ist eine starke Rauch- und eine mehr oder weniger starke Lärmentwicklung, wobei die Industrie aus Rücksicht auf Hund und Katz und den Deutschen Tierschutzbund geräuscharmes Leuchtfeuerwerk mittlerweile als „Haustier freundlich“ deklariert. Wobei zu fragen ist, ob solch Flüsterfeuerwerk noch geeignet ist, böse Geister nachhaltig zu vergrämen, was der ursprüngliche Zweck der Knallerei ist.
Vehikel dieses Feldzuges ist die Feinstaubdebatte
Es soll hier aber weniger um die Feinheiten pyrotechnischer Errungenschaften gehen, sondern um deren angestrebte Abschaffung beziehungsweise Ausmerzung im Zuge der Planetenrettung. Die Gründe, weshalb die Menschen jetzt und künftig vom Abbrennen eines Silvesterfeuerwerks abgehalten werden sollen, sind vielfältig und gehen mit der Zeit. Am Beginn der Böller-Prohibition stand die sozialpolitisch motivierte Aktion „Brot statt Böller“ des evangelischen Hilfswerks „Brot für die Welt“, im engeren Sinne eine Spendeninitiative mit dem Ziel, die Menschen dazu zu bewegen, zumindest einen Teil des für pyrotechnisches Spielzeug reservierten Budgets zur Bekämpfung des Hungerproblems abzuzweigen. Heute ist der Welthunger zwar nicht besiegt, jedoch aus den Schlagzeilen verschwunden, wie auch das Problem der Überbevölkerung, worüber zu sprechen politisch unerwünscht ist. Und auch „Brot statt Böller“ fristet ein Schattendasein.
Das Schöne an der Aktion war und ist ihre Freiwilligkeit. Doch der Ton ist rauer geworden, was vor allem der Deutschen Umwelthilfe (DUH) zu verdanken ist, die wohl keine Ruhe gibt, bis nach der Autoindustrie, der Stahlindustrie, der Chemieindustrie, der Tourismusindustrie und der Energiewirtschaft auch das letzte in größerem Maßstab in Deutschland produzierende Gewerbe entweder pleite ist oder die Produktion ins Ausland verlagert hat. Es ist ohnehin ein Wunder, dass sich hierzulande gegen die übermächtige chinesische Konkurrenz – in China wurde das feurige Spektakel bekannterweise erfunden – noch eine nennenswerte pyrotechnische Industrie gehalten hat. Doch angesehene Firmen wie Niko und Weko mit einigen hundert Mitarbeitern führen längst einen Abwehrkampf, den sie kaum gewinnen können, seit die Deutsche Umwelthilfe der „Feuerwerks-Lobby“ den Ökokrieg erklärt hat.
Vehikel dieses Feldzuges ist die Feinstaubdebatte, um die es analog zur Bevölkerungsexplosion merkwürdig still geworden ist, seit die DUH die Partikel vor ein paar Jahren zum Umweltkiller Nummer eins erkoren hatte, um auf diesem Weg Verbrennungsmotoren zu diskreditieren und mit ihnen die individuelle Mobilität. Dank weiter verbesserter Abgastechnik und der kontinuierlichen Erneuerung der nationalen Pkw- und Lkw-Flotte, vielleicht auch aufgrund verkehrslenkender und -begrenzender Maßnahmen liegen die Feinstaubwerte heute fast überall im Normbereich. Doch das Ziel, die Menschen vom Gebrauch privater Autos abzuhalten, ist noch nicht erreicht, weswegen die DUH und andere NGOs sowie das Umweltbundesamt (UBA) nun dafür plädieren, die Feinstaub-Grenzwerte weiter zu senken.
Chinahilfe namens Umwelthilfe
Um die ungeheuren Gefahren des Feinstaubs für die Volksgesundheit wach zu halten, hat sich die Chinahilfe namens Umwelthilfe jetzt auf das Silvesterfeuerwerk eingeschossen. Laut UBA werden in den ersten Stunden des neuen Jahres gut 4.000 Tonnen Feinstaub in die Luft geschossen, der Verband der pyrotechnischen Industrie (VPI) kommt in einer eigenen Studie auf weniger als die Hälfte. Allerdings genügt eine etwas stärkere Brise, um die „dicke Luft“ zu vertreiben. Und nur die wenigsten werden nach dem Feuerwerk die ganze Nacht im Freien ausharren, um möglichst viel Feinstaub einzuatmen. Eher schon wird drinnen in der guten Stube nochmal der Weihnachtsbaum angezündet, mit Dutzenden rußender Kerzen. Aber darum geht es ja nicht.
Erste Erfolge kann die Anti-Feuerwerks-Kampagne schon verzeichnen. So gibt es eine ganze Reihe von Händlern, darunter große Baumarktketten, die Feuerwerksartikel ausgelistet haben. Sie werden von der DUH auf einer Art List of Fame veröffentlicht – eine schwarze Liste renitenter Böller-Verkäufer dürfte einstweilen noch zu umfangreich sein. In vielen Innenstädten wurden zudem zentrale Plätze zu Zonen erklärt, in denen nicht mehr gezündelt werden darf. Grund sind wohl weniger die harmlosen Balkon- und Vorgartenfeuerwerke, sondern jene überwiegend frisch eingewanderten Jungmänner, die sich in der Silvesternacht zusammenrotten, keinerlei Regeln beachten und es, wie in Köln 2015 geschehen, nicht bei pyrotechnischer „Knallerei“ belassen.
Dieses Jahr geben sich die DUH-Aktivisten besonders besorgt. Wegen Corona seien die Krankenhäuser ohnehin überlastet, weswegen der Staat ein generelles Verbot beschließen müsse. In diesen Zeiten sei „die Vermeidung von Feinstaub durch Böller wichtiger denn je“, lässt der Verein verlauten und macht die Epidemie abermals zum hoch willkommenen Instrument, wobei anzumerken ist, dass die Verletzungen, die vom unsachgemäßen Gebrauch von Donnerschlägen und Raketen herrühren, meist chirurgischer, nicht internistischer Natur sind. Nein, unsere fürsorglichen Umwelt- und Bevölkerungsschützer wollen alles und jedes unter Kontrolle bringen und alles ausmerzen, was nicht ihrem spießigen Weltbild entspricht. Deswegen der Vorschlag, künftig, wenn überhaupt, nur noch „zentrale Feuerwerke“ abzuhalten, am besten (mit Ökostrom betriebene) Lasershows, steril, lautlos, sicher, gut kontrollierbar und jederzeit problemlos abzusagen.
Das wilde Begrüßungsritual in der Silvesternacht passt nicht in dieses unfreie Weltbild. Das stellte auch Olaf Bandt unter Beweis, der Vorsitzende des Bundes für Umwelt- und Naturschutz (BUND). In einem Kommentar zu den jüngsten Corona-Beschlüssen der Bundesregierung wetterte er erneut gegen die „millionenfach unkontrollierte Böllerei“ und forderte „flächendeckende Böller-Verbotszonen“ und Handelsbeschränkungen. Das ist so schrecklich deutsch, wie das Straßenfeuerwerk zu Silvester undeutsch ist, anarchisch, ausschweifend, schmutzig, lärmend und ja, etwas gefährlich.