Roger Letsch / 15.12.2018 / 12:30 / Foto: Tim Maxeiner / 5 / Seite ausdrucken

Konspirativ überholen

Ich mag Kurzgeschichten. Vielleicht deshalb, weil ich selber welche schreibe. Ich mag Erzählungen, die über ihr Thema mit Leichtigkeit und Distanz hinwegtänzeln. Vielleicht deshalb, weil mir das selbst nur selten gelingt. Ich mag, wenn ein Autor treffsicher die komischen Seiten eines ernsten Themas betrachten kann, ohne sich selbst dabei zu wichtig zu nehmen oder sich über den Gegenstand seines Spotts zu erheben. Vielleicht, nein, sicher deshalb, weil ich als Leser auf diese Weise die Wahrheit leichter erträglich finde. Wer lacht, führt. Wer zuletzt lacht, führt am längsten.

Dirk Maxeiner alias „Der Sonntagsfahrer“, Mitherausgeber der „Achse des Guten“, hat in seinem neuen Buch „Hilfe, mein Hund überholt mich rechts!“ einige seiner besten Geschichten zusammengefasst. Kurze Geschichten, in denen er als Text-Ballerina die Probleme schwerelos übertanzt und antippt, damit sie dann im Leser weiterklingen und auszittern können. Kurz ist an den Texten nämlich nur die Länge, gewissermaßen die Zündschnur für den Subtext, den man im Kopf mühelos weiterspinnen und zur Explosion bringen kann. Wie im Slapstick, wo der angedeutete Wurf der Torte ausreicht, sich diese zerfließend im Gesicht einer nicht im Bild befindlichen Person vorzustellen.

Man möchte denken, Maxeiner hätte Erfahrungen sammeln können mit dem Schreiben unter konspirativen Bedingungen in einem totalitären System, wo es für die Gesundheit förderlich ist, eher zwischen den Zeilen zu schreiben. Hat er aber nicht. Jedenfalls nicht nach den Maßstäben, die vor 2015 galten. Eine Kindheit in der Eifel erklärt diese Eigenschaft ebenso wenig wie einige Jahre als Redakteur beim „stern”. Wie auch immer, die Fähigkeit, humorvoll und zwischen den Zeilen zu sticheln, kommt ihm in Zeiten aktueller alternativloser Regierungsherrlichkeit gut zupass. Und natürlich dem Leser, der auf jeder Seite verständig und konspirativ mindestens dreimal grinst und giggelt, während er sich mit dem Autor beim Umblättern innerlich „high five“ gibt.

Es sind tatsächliche Begegnungen, die Maxeiner mit Wortwitz beschreibt, wenn er etwa von einer Begegnung mit Warzenschwein Piggy in Namibia berichtet (Augenaufschlag einer Operndiva, aber das Aussehen des Glöckners von Notre-Dame) oder von einer Braut erzählt, die ihn telefonisch als Hochzeits-Kutscher buchen möchte (Man merkt, dass sie viel telefoniert, sie könnte mir mühelos eine Luxus-Wohnung in Hoyerswerda verkaufen). Immer wieder gibt es Bezüge, die einen gewollten Kontrast zu den Befindlichkeiten der heutigen „Generation Snowflake“ herstellen (Kein einfühlsamer Psychologe flankierte unsere Erziehung, Lebertran musste reichen) und bei all seinen Erzählungen aus Namibia, Paris, Hamburg, Prag oder Los Angeles kommt er doch immer wieder nach Hause zurück. Nach Augsburg. Dort spielt auch eine meiner Lieblingsgeschichten, die mich ein wenig an den Kick-Off im ersten Werner-Film erinnert, wo szenisch beschrieben wird, was ein Fußball auslöst, wenn man ihn aus dem fünften Stock mitten auf einen belebten Marktplatz schießt. Der geneigte Leser behalte dieses Bild im Kopf, wenn er „Klingeln und Jaulen“ ab Seite 14 liest.

Und Politik? Ja, die kommt auch vor. Aber Sie werden es kaum merken. Denn Maxeiner ist kein Zahnarzt. Er bohrt nie! Versprochen! Als echter Sonntagsfahrer hat er vielmehr praktische Ideen, wie wir den LadaLaden „Deutschland“ wieder zum Laufen kriegen. Mit Bordmitteln gewissermaßen. Man sollte, statt den Deutschen ausgerechnet das Auto mehr und mehr madig zu machen, lieber in die Regeln schauen, die wir uns – nicht nur zum Zwecke des sonntäglichen Ausflugs ins Grüne oder Blaue – gegeben haben und nach denen täglich mehrere Millionen Menschen zur Arbeit fahren, um die große Karre trotz aller Widrigkeiten und entgegen jede statistischen Prognose und Feinstaubwarnung immer noch am Laufen halten: unsere StVO!

Denn dort finden wir im Grunde alles, was wir auch außerhalb des Straßenverkehrs für ein gedeihliches, friedliches Miteinander brauchen: „Die Teilnahme am Straßenverkehr (alias Leben, Anm. d. V.) erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht. Jeder Verkehrsteilnehmer hat sich so zu verhalten, dass kein anderer geschädigt, gefährdet oder mehr als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird.“

Maxeiners Buch, die StVO, einen alten Volvo und wahlweise ein paar Liter Diesel oder Super (kein E10, das ist Gemüsebrühe) – mehr braucht es eigentlich nicht, um aus folgsamen, schwanzwedelnden „Golden Retrievern“, zu denen wir verkommen sind, wieder selbstbewusste Menschen zu machen. Recht hat er! Möge jeder einen Tank und eine Nase voll nehmen.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Roger Letschs Unbesorgt.

Foto: Tim Maxeiner

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Gerrit Schreiber / 15.12.2018

Das sage ich schon seit Jahren: der § 1 StVO ist so großartig, er würde sich (erweitert auf das allgemeine Zusammenleben) für die Präambel einer Verfassung eignen. Da ist eigentlich alles drin!

Karla Kuhn / 15.12.2018

“Denn dort finden wir im Grunde alles, was wir auch außerhalb des Straßenverkehrs für ein gedeihliches, friedliches Miteinander brauchen: „Die Teilnahme am Straßenverkehr (alias Leben, Anm. d. V.) erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht. Jeder Verkehrsteilnehmer hat sich so zu verhalten, dass kein anderer geschädigt, gefährdet oder mehr als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird.“  Schön gesagt aber schwer umzusetzen, denn warum einfach, wenn es auch umständlich geht ??  Wenn ALLE die Regeln befolgen würden, wäre Hunderttausende Menschen arbeitslos, keine Soziologen, kaum Psychologen, viel weniger Arbeitsausfälle durch Krankheit, weniger Richter, Anwälte, Polizisten, die Gefängnisse wären fast leer und vor allem wir könnten, bis auf eine Hand voll, auf die POLITIKER verzichten !!  Nur, WAS sollen dann die meisten von ihnen arbeiten ?? Geld wäre im Überfluß da, weil es nicht für sinnlose Projekte wie z.B. das “Wählerherz”  oder dem Kampf gegen “RÄCHTS” ausgegeben werden müßte. Alles in allem paradiesische Zustände. Ist das wirklich Ihr ZIEL ?? Und was soll mit Frau Merkel geschehen ??  Sie Spielverderber.

Jürgen Probst / 15.12.2018

Ich schätze ja auch die Beiträge von Maxeiner, aber das war jetzt schon fast peinlich.

Marc Blenk / 15.12.2018

Lieber Herr Letsch, allein schon die Formulierung “schwanzwedelnde Golden Retriever” ist es ja schon wert, das Buch zu kaufen.

Emmanuel Precht / 15.12.2018

Und die Fahrlehrer sind die Integrationstrainer und Beauftragten, aber “türkischer Fahrlehrer” ist ein “contradictio in adiecto” Wohlan…

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