Konservative Substanz? Wer denn, wo denn, was denn?

Merz und seine CDU konnten in den Koalitionsverhandlungen keine konservativen Standpunkte verraten, weil sie die gar nicht vertreten, sondern sich lieber hinter einer Brandmauer verschanzen.

Am Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD wird bemängelt, dass Friedrich Merz seine konservativ-christdemokratischen Positionen seinen Kanzlerambitionen opfere. Der eigentliche Wahlverlierer SPD gehe nun als Sieger hervor. Das ist nicht ganz richtig. Friedrich Merz hatte nämlich im Wahlkampf zum einen die Aufrechterhaltung der Brandmauer gegen die AfD immer und immer wieder betont. Obendrein hätte man sich das Parteiprogramm der CDU und die Auftritte der christdemokratischen Spitzenpolitiker genauer anschauen können. Es gab von vorneherein keine konservative Substanz, die im Geschacher mit grünen oder sozialdemokratischen Klientelpolitikern preiszugeben gewesen wäre.

Wäre Merz tatsächlich ein Mann mit konservativen Prinzipien, hätte er sich nur auf das Wahlergebnis zu stützen brauchen. Eine recht deutliche Mehrheit hat für eine Politik des gesunden Menschenverstandes gestimmt. Auf dieser Grundlage hätte man ein Kabinett mit Fachleuten zusammensetzen können. Ein Expertenkabinett würde dann unter der Richtlinienkompetenz des künftigen Kanzlers dazu beauftragt werden, den Wählerwillen sachkundig umzusetzen. 

Dazu gehören beispielsweise Maßnahmen für den Erhalt und die Wiederherstellung industrieller Substanz, für eine halbwegs geordnete Migration, für eine Kriegsgefahr mindernde Geopolitik oder in Abstimmung mit den in Bildungsfragen zuständigen Bundesländern für die Rückbesinnung auf grundlegende Bildungsstandards – sprich: anständig Lesen, Rechnen, Schreiben.

Im Fahrwasser der Vierten Industriellen Revolution

Mit diesen und weiteren Ideen im Gepäck wäre Merz in der Lage gewesen, sich zum Kanzler eines positiv zu wertenden konservativen Pragmatismus wählen zu lassen. Dafür hätte er nur die verhängnisvolle Brandmauer zur AfD einreißen müssen. Diese Brandmauer präsentiert Merz als Rechtfertigung für eine Zusammenarbeit mit verbohrten politischen Kräften aus dem rotgrünen Spektrum, die aus der Zeit gefallen eine Zombie-Existenz führen und nichts als die Beschränkung der Freiheit der Bürger im Sinn haben.

Das Problem ist, dass Merz nie der Kopf einer konservativen Politik der Lebensbejahung war. Der ehemalige Blackrock-Funktionär führt uns vielmehr weiter im Fahrwasser der so genannten Vierten Industriellen Revolution in eine technokratische Zukunft. Man sieht im Koalitionsvertrag etwa eine „verpflichtende digitale Identität" vor, die nach und nach mit jeglicher wirtschaftlicher und administrativer Transaktion der Bürger verbunden werden wird. In Zukunft sollen die Bedingungen für die Zahlung sozialstaatlicher Leistungen automatisch erfasst und etwa das Elterngeld ohne Antrag auf das Konto überwiesen werden. Das setzt letztlich eine digitale öffentliche Infrastruktur voraus, die in Echtzeit den Status jedes Bürgers erfasst und zur Bedingung für Leistungen, aber auch Erlaubnisse und Genehmigungen macht.

CDU/CSU und SPD mögen inhaltlich völlig verbrauchte Funktionärs-Parteien sein. Der ersonnene Koalitionsvertag atmet aber stellenweise den Hauch des, wenn man so will, Visionären. Eine Zukunft der Künstlichen Intelligenz, der Robotik und der Biotechnologie wird verheißungsvoll angerissen. Der eigentliche Mensch mit seinen herkömmlichen Bindungen an seine Familie, seine Heimat und Religion erscheint in dieser Vision als Störfaktor, der übergangen und überwunden werden muss.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Novo Argumente.

Die Titel-Illustration stammt von Rudolf Wildermann und spielt an auf eines der bekanntesten Bilder von René Magritte. Der verbreitetsten Interpretation zufolge war es die Absicht Magrittes, zu demonstrieren, dass man es bei dem Dargestellten mit einem Bild zu tun habe und nicht mit einer tatsächlichen Pfeife, die man stopfen und rauchen könnte. Damit verhält es sich mit dem Bild ebenso wie etwa mit dem Wort „Hund“, das auch nicht bellen könne. 

 

Kai Rogusch ist Jurist und Redakteur bei „Novo-Argumente“. Er lebt in Frankfurt am Main.

Foto: Illustration Rudolf Wildermann

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Arnold Balzer / 15.04.2025

“Der ersonnene Koalitionsvertag atmet aber stellenweise den Hauch des, wenn man so will, Visionären.”  Na, wenigstens eine absurde Vision, wie sie nur bei Schizophrenen in der Birne entstehen kann, wurde nicht mehr erwähnt (den Sozen sei dank ;-)  LOL): In DE soll der erste Fusionsreaktor stehen! (Als ich das las, wusste ich, die haben endgültig keine Latten mehr am Zaun!)

Thomas Szabó / 15.04.2025

Ich bedanke mich bei den geschätzten Kommentatoren Camper, Ostrovsky, Freiling, Loewe für ihre guten Ratschläge, lehrreichen und tragikomischen Anekdoten, allgemeinen philosophischen Betrachtungen, die ich jeweils mehrmals durchgelesen & verinnerlicht habe. Ich bin durch Ihre Erfahrungen reicher geworden. Ich bin sogar gerührt ob der auf Achgut herrschenden Solidarität. ✦ Ich könnte in meine Heimat Ungarn emigrieren, aber die sind auch nicht ganz dicht. Politisierende Ungarn sind eine Pest. (Abgesehen von mir, ich finde mich entzückend.) Die linksgrünwoke Pestilenz bekommt dort keinen Pokal, dafür schlägt der Pendel Richtung Reaktionär um. Westeuropa wird woke, Osteuropa wird reaktionär. Vielleicht kaufe ich mir ein klitzekleines Haus in Ungarn und halte mich möglichst viel in aller Welt auf. (Ich könnte wieder mal nach Berlin kommen, den Bundeskanzler verbal anpissen (Guerilla pinkeln) und schnell verduften.) Ich werde wider Willen international. Vielleicht kann ich so den Verrückten ausweichen und nur die Vernünftigen beehren. Cherry Picking.

Rid Banks / 15.04.2025

Mein Name ist Merz…..ich bin der neue deutsche Schmerz..

dr. gerhard giesemann / 15.04.2025

@Robert Sch.: Leicht infantil, aber ist i. O. Verstehe jetzt auch Ihre Kommentare besser ... .

Ilona Grimm / 15.04.2025

@Robert Schleif vs. Dr. Giesemann: NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg beim NATO-Gipfel in Madrid von 28.-30. Juni 2022 sagt offen, die NATO habe sich acht Jahre lang auf diesen Krieg vorbereitet. \\\ Merkel hat öffentlich eingeräumt, dass das Maidan-Abkommen niemals erfüllt werden sollte. Selenskys Vorgänger Poroschenko bestätigte, dass die Ukraine niemals vorhatte, das Maidan-Abkommen zu erfüllen, sondern Zeit zur Aufrüstung gewinnen wollte. Man hat Russland ausgiebig an der Nase herumgeführt, weil man glaubte, es sich leisten zu können. Es gibt unendlich viele Quellen dazu. Eine sehr verlässliche war bis zu seiner Einkerkerung in einem UA-Gefängnis und Folter-Tod am 11. Januar 2024 ♦GONZALO LIRA♦, US-Staatsbürger mit chilenischen Wurzeln. Kein US- Hahn hat nach Gonzalo Lira und seinem Verbleib gekräht, weil man froh war, ihn loszuwerden. Die US-Narrative hat er nämlich nicht beachtet und konnte viele Geschichten hinter der Geschichte peinlich genau erklären, weil er die Ukraine und ihre Strippenzieher von innen kannte. \\\ Ich kann mich an ein Wahlkampf-Video von Selensky erinnern, dass ihn zeigt, wie er lachend mit einem Maschinengewehr das Parlament leerfegt. Das war sehr „lustig“. Seltsamerweise kann ich dieses Video nicht mehr finden.

Winston Smith / 15.04.2025

@ E Ekat. Einen ganz wichtigen Satz des Artikels 21 haben Sie allerdings nicht erwähnt: (5) Das Nähere regeln Bundesgesetze. ++ Das ist der berüchtigte Gesetzesvorbehalt, der in jedem Bürgerrecht mindestens einmal auftaucht. Ein einfaches Bundesgesetz kann mit einfacher Mehrheit beschlossen werden, eine GG-Änderung nur mit absoluter 2/3 Mehrheit. Durch solche einfachen Gesetz werden alle Bürgerrechte massiv eingeschränkt. Im Extremfall kann ein Bürgerrecht dadurch sogar gänzlich annulliert werden. Es ist eine Art Selbstaushebelung des GG. ++ Typisches Beispiel ist der Artikel 5 (Meinungsfreiheit); Gesetzesvorbehalt im Satz (2). Folge: § 130 StGB, § 86 StGB, § 90 StGB, § 90a StGB, § 90b StGB, § 188 StGB, § 126a StGB, NetzDG, etc. Aktuelle Folge: Das Urteil gegen David Bendel wegen seiner Faeser Satire. (Ich bin kein Jurist. Ich habe keine Ahnung wie andere Verfassungen solche Probleme lösen). ++ Die Sonderdemokratie ist bereits Realität.

B.Jacobs / 15.04.2025

Wenn ich Merz sehe, kriege ich Würgereiz, als braver Zögling von Merkel, charmanter Tanzpartner der Grünen und wir dürfen uns mit dem Come Back der SED anfreunden, aber immerhin will die auch keinen Krieg, wie es AFD und BSW niemals wollten. Glaubt Herr Merz er sitzt im Spielzeugladen um mit Taurus Liebesgrüße nach Moskau zu senden?  Friedensdemo in Dresden.

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