Die CDU hat fertig, die FDP ist unter ihren Möglichkeiten geblieben. Welche von vielen schlechten Optionen bleiben jetzt?
Alle reden von Scholz und Laschet. Allenfalls noch von Söder, oder anders gesagt: Söder sorgt dafür, dass er im Gespräch bleibt. Mein tiefempfundenes Mitgefühl hat hingegen Christian Lindner. Er und seine Partei sind in der Zwickmühle, denn sie können eigentlich nur verlieren.
Es fängt mit dem Tempolimit an, das es nach den Versprechungen der FDP mit ihr nicht geben wird. Damit hört es dann auch schon fast auf. Warum? So absurd es klingt, aber wenn das Tempolimit auf Autobahnen kommt, hat die FDP ausgespielt. Für viele geht es um die individuelle Freiheit, das Tempolimit ist hier ein Symbol. In Zeiten von Corona hat sich die Empfindlichkeit bei diesem Thema noch verstärkt. Die Wahrung der individuellen Freiheit ist der Markenkern der FDP, damit ist das Tempolimit ein weit unterschätzter Stolperstein. Kommt es, geht die FDP. Ihr wird es dann gehen wie der Zombie-Union, die mit dem Verlust des Markenkerns nur noch als leere Hülle durch die politische Landschaft geistert, nur hat sie eine andere Fallhöhe als die Liberalen. Diese haben ohnehin nur eine begrenzte Anhängerschaft, die durch früheres Umfallen bereits schwer dezimiert wurde: Erst durch die Zustimmung zur sogenannten Euro-Rettung, wofür sie bitter bezahlt haben, dann in Thüringen, als sie nicht zu ihrem Ministerpräsidenten standen.
Zwar sah die grüne Medienblase das genau umgekehrt, sie hat die FDP für das Platzen der Jamaika-Koalition an den Pranger gestellt, fand aber die Verschrottung demokratischer Regeln unproblematisch. Nur sollte man sich nicht irren, die verbitterten Presseleute waren gerade nicht die Wähler der FDP. Im Gegenteil, „Viel Feind, viel Ehr“, wie das Sprichwort sagt. Wer den Medienrummel als Maßstab nimmt, verkennt allzu leicht die Stimmung bei der eigenen Wählerklientel – nicht wahr, liebe Union?
Tatsächlich haben die typischen liberalen Wähler die Absage der Jamaika-Koalition nicht nur mitgemacht, sondern unterstützt. Thüringen hingegen kam nicht gut an. So hat Merkel es geschafft, nicht nur die Union, sondern auch die Liberalen zu entmannen. Gerade hatten sie den Ruf abgelegt, die Umfaller-Partei zu sein, wurde dieses Label nun wieder bestätigt. Sie gilt als Partei, die zuverlässig enttäuscht.
Für die FDP wäre in diesen Zeiten mehr drin gewesen
Das dürfte auch der Grund sein, weshalb sie letztlich so wenig Stimmen bei der Bundestagswahl bekam. Ein Zuwachs von nur 0,7% in einer Zeit, in der viele Bürger die massiven Grundrechtseinschränkungen beklagen, ist dieses Ergebnis eher bedrückend. Vor allem, weil zuvor so viele überlegten, die FDP zu wählen. Susanne Gaschke war nicht die Einzige, die meinte, die FDP würde von den Demoskopen eventuell zu niedrig eingeschätzt. Sie schrieb:
„Als Beleg für meine Vermutung habe ich lediglich Küchentisch-Empirie anzubieten, aber: Noch nie zuvor habe ich von so vielen Leuten gehört, die aus vollkommen unterschiedlichen Gründen den Liberalen ihre Stimme geben wollen – darunter sogar Personen, bei denen in der Vergangenheit eine heftige kulturelle Abneigung gegen die FDP festzustellen war.“
Offenbar haben Frau Gaschke und ich ähnliche Küchentische, denn mir ging es genauso. Auch ich kenne nicht wenige, die überlegten, die FDP zu wählen. Die einen gaben als Grund die Corona-Politik an, die anderen sehnten sich partout nicht nach einem Land, das zum China anno 1950 wird. Die Grünen werden nun einmal nur bei Älteren als progressiv wahrgenommen, für viele andere sind sie eher eine Partei reaktionärer Spießer. Deshalb ist es auch nicht überraschend, dass so viele Erstwähler die FDP wählten, denn sie steht für Aufbruch.
Von manchen hörte man die Ansicht, Lindner sei überhaupt der einzig passable Kanzlerkandidat, denn keiner von denen überzeugte wirklich. Scholz war einfach nur der am wenigsten schlechte. Außerdem war es eine Besenstiel-Wahl: Hätte die SPD einen Besenstiel aufgestellt, hätte sie im Zweifel auch gewonnen. Tatsächlich ist genau das in vielen Wahlkreisen auch passiert, der Kandidat der SPD überzeugte wenig, aber er wurde als Quittung für Merkel gewählt. Die Merkel-CDU sollte abgestraft werden. Sie wurde es, denn sie hat fertig.
Die CDU hat den Knall immer noch nicht gehört
Leider hat es im Konrad-Adenauer-Haus niemand so richtig bemerkt oder bemerken wollen, selbst jetzt haben sie den Knall noch nicht gehört. Die Union hat nur dann eine Chance, wenn sie zwischen sich und Merkel so viel Raum wie nur möglich legt. Da sie das Vertrauen der Wähler ziemlich nachhaltig verloren hat, reichen ein paar schöne Worte und Programmpunkte bei Weitem nicht mehr aus, sie müsste einen grundlegenden Neuanfang glaubhaft machen. Dazu gehört auch das entsprechendes Personaltableau, wofür Merz und Maaßen stehen, nicht aber die Merkelianer. Ein deutlicher Hinweis ist das Wahlergebnis Maaßens, der in seinem Wahlkreis deutlich mehr Stimmen bekam als die CDU und das, obwohl nicht nur die Medien, sondern seine eigene Partei zur Wahl des SPD-Kandidaten aufriefen, was natürlich ein Unding ist.
Dabei konnte er mehr Stimmen gewinnen als der AfD-Kandidat, das könnte zu denken geben. Man stelle sich vor, die CDU – und seien es die Landesverbände in Sachsen und Thüringen – würde diesen Weg hin zu ihrem eigentlichen Kern gehen, sie könnten glatt wieder auf die Erfolgsschiene gelangen. Aber das Vertrauen in einen Aufbruch, in eine vernünftige, zukunftsgewandte Politik ist bei den Wählern geschwunden. Dies gilt nicht nur für die Union, sondern ähnlich auch für die FDP.
Hat sich diese einmal die Frage gestellt, warum sich dennoch letzten Endes von dem großen Potenzial an Wählerstimmen, das unleugbar vorhanden war, nur so wenig realisiert hat? Warum ihr nur relativ wenige Wähler vertrauten? Diese Frage müsste sie beantworten, bevor sie Weichen für ihre und die Zukunft des Landes stellt. Zerstört sie das letzte bisschen Vertrauen, das 10 % der Wähler noch in sie setzen? Dann hätte das für die Partei potenziell tödliche Folgen. Oder wächst sie über sich hinaus? Und wenn ja, wie sollte es ihr angesichts der verfahrenen Situation gelingen?
1. Szenario Deutschland-Koalition:
Die Wähler wollen keine Merkel mehr. Sie wollen einen Politikwechsel. Dass sie dennoch Scholz als „Merkel reloaded“ wählten, ist dem Umstand geschuldet, dass die Union selbst Rot-Grün zum Verwechseln ähnelt und daher dem aufbegehrenden Wähler nichts anderes blieb, als die Konkurrenz zu wählen.
Eines ist klar, der Frust im Volk ist riesig. Wenn nun wieder Rot-Grün kommt, also kein Politikwechsel, sondern ein „Mehr vom selben“, dann wird es nicht gut enden. Und das ist vorsichtig formuliert. Neben diesem grundlegenden Problem gibt es für die FDP noch weitere.
Eines ist der Umstand, dass die FDP einen Aufbruch will, SPD und Grüne aber für Stagnation oder – wenn für Bewegung – dann Rückschritt stehen. Die Erstwähler der FDP, gerade überzeugt, werden so verprellt.
Rot-Grün ist das Gegenteil von liberal
Hinzu kommt der Umstand der Unvereinbarkeit der Parteicharaktere. Rot-Grün ist das genaue Gegenteil von liberal. Norbert Bolz hat in seiner unnachahmlich brillanten Weise das nur scheinbare Paradox herausgearbeitet, dass die rot-grüne Ideologie ohne Zwang und Umerziehung nicht existieren kann, weil sie an das Gute im Menschen glaubt:
„Das Bild vom guten Menschen produziert eine totalitäre Gesellschaft, weil alle Abweichenden und Andersdenkenden umerzogen werden müssen. Linke Politik geht immer davon aus, dass die Leute nicht wissen, was gut für sie ist, und deshalb erzogen werden müssen. Ins linke Paradies kommt man also nur durch das Paradox, das Rousseau so schön formuliert hat: Man zwingt die Menschen, frei zu sein… In den revolutionären Träumen der Linken hat die Ökodiktatur die Diktatur des Proletariats ersetzt.“
So wie Mephisto ein Teil von jener Kraft war, die stets das Böse will und stets das Gute schafft, ist es bei den Rot-Grünen Ideologen genau umgekehrt: Sie schaffen das Böse, den Zwang und die Diktatur. Das aber ist für jeden Liberalen das, was der Teufel für Christen ist. Der liberale Staat schafft zwar Ordnung als Voraussetzung von Freiheit, aber er hat nicht das Recht, die Bürger zu erziehen. Freiheitseinschränkungen sind auf ein zwingend notwendiges Minimum zu reduzieren. Liberalität und Rot-Grün schließen sich aus.
Das genau ist der Punkt beim Tempolimit. Man mag einwenden, dass es wichtigere Themen gibt, aber kein Politiker sollte die Signalwirkung von scheinbaren Nebensächlichkeiten unterschätzen. Die Feinheiten von Finanz- und Wirtschaftspolitik kann kaum ein Bürger beurteilen, aber diese Frage schon. Es ist das Symbol der individuellen bürgerlichen Freiheit, der Prüfstein der Liberalen: Schätzen und schützen sie diese wirklich oder fallen sie – wieder einmal – um?
Bei einer Ampel hätte die FDP immer den Schwarzen Peter
Ein dritter Aspekt kommt hinzu:
Bei einer Ampel-Koalition ist die FDP der „designated scapegoat“, schon jetzt abonniert für die Rolle des Sündenbocks und das auf dem Silbertablett servierte Ablenkungsmanöver.
Scholz muss verbergen, dass er nach der Pfeife von Bankiers tanzt, mit denen er auf vertrautem Fuße steht und auch schon einmal in mehr als fragwürdige Geschäfte verwickelt war.
Baerbock hat nicht nur die Plagiatsaffäre am Hals, die Grünen generell sind Schoßhündchen der Konzernlenker, die als Musterbeispiel der „Anywheres“ grüner sind als die meisten Grünen. Diese Realitäten des Paktes des Sozialdemokraten mit Bankern und der Grünen mit Konzernen passen so gar nicht zu ihrem Image, umso mehr wird die FDP als Partei der Reichen geframt. Tatsächlich ist das eher ein Witz, denn deren Wählerklientel sind eher Freiberufler und Familienunternehmen, also meist durchaus gut verdienend, aber doch zu den „Somewheres“ gehörend und Verantwortung tragend.
Wenn die SPD und die Grünen ihre Klientel beschenken, wird die FDP dafür den Kopf hinhalten und überhaupt die Rolle des Spielverderbers übernehmen müssen. Immer wenn sie die teuren Pläne der anderen beiden durchkreuzen will, hat sie den Schwarzen Peter.
Dieses Spiel kann die FDP nicht gewinnen, sie wird immer den Kürzeren ziehen. Was das für die nächste Wahl bedeutet – nun ja…
Das Problem: Die Merkelianer sind noch da
2. Jamaika-Koalition
Theoretisch besser könnte es für sie bei einer Koalition mit Union und Grünen aussehen. Da wäre nicht sie allein der Sündenbock, wenn – ja, wenn. Was wäre die Voraussetzung?
Die letzte Koalitionsbildung ist gescheitert, weil die Union so grün wie die Grünen war. Zweimal grün gegen einmal Vernunft reichte damals nicht, es reicht auch heute nicht. Das Problem: Die Merkelianer sind noch da. Wenn sie aber noch da sind und das Sagen haben, dann steht die FDP nahezu genauso auf verlorenem Posten wie bei Rot-Grün. Die Union müsste also wieder Union werden, Vernunft statt Opportunismus regieren. Dann allerdings gäbe es ein erhebliches Problem mit den Grünen.
Anders ausgedrückt: Wenn Union und FDP zusammenpassen, wird es für die Grünen eng. Passen Union und Grüne zusammen, wird es für die FDP (zu) eng. Und sehr viele Ausrutscher kann sich die FDP schlicht nicht leisten.
Eine weitere GroKo wäre desaströs
3. Große Koalition
Denkbar wäre die Große Koalition, aber das möchte wohl keiner zu Ende denken. Noch nie war das Land so gespalten wie jetzt, wo es unter dem Konsens des Nonsens allzu lange gelitten hat. Es ist ein weiteres scheinbares Paradox, dass wenn die unterschiedlichen Standpunkte nicht im Parlament ausgetragen werden, dies eben im Volk geschieht. Der Konsens der Regierenden führt damit zur Spaltung der Regierten.
Eine Große Koalition, gleichgültig unter welcher Führung, wäre wohl desaströs für unser Land. Für die FDP wäre diese ohnehin keine Option, in welcher sie eine Rolle spielte.
4. Minderheitsregierung
Viel zu selten wird die Minderheitsregierung als Option angesehen.
Tatsächlich halten es mittlerweile viele für einen Scherz, wenn ich erzähle, dass die Macht vom Volk ausgeht, welches diese Macht den Repräsentanten im Parlament überträgt. Dass Gesetze in erster Linie vom Parlament ausgehen sollen und die Regierung diese nur ausführt, scheint nur noch Staatsrechtlern bekannt. Das aber ist das Konzept des Grundgesetzes.
Nicht die Regierung hat in einer Demokratie die Macht, das Parlament ist das Machtzentrum. Die Regierung führt aus, daher nennt man sie Exekutive, sie exekutiert die Gesetze, die sich das Volk durch das Parlament gibt. So und nicht anders funktioniert eine Demokratie. Sie ist nicht gemacht, um den Regierenden das Leben leicht zu machen, ihnen ein einfaches Durchregieren zu ermöglichen. Im Gegenteil, das fein austarierte Konstrukt von Macht und Kontrolle geht so verloren. Oder genauer gesagt: Ist verloren gegangen.
Für Gesetze müsste man um Mehrheiten ringen – gut so!
Das lässt sich aber ändern. SPD und Grüne könnten sich auf eine Minderheitsregierung einigen und Olaf Scholz als Kanzler zur Wahl stellen. Entweder er bekommt genug Stimmen oder nicht. Umgekehrt könnten auch Union und FDP eine Koalition bilden und Armin Laschet zur Wahl stellen. Entweder er bekommt genug Stimmen oder nicht.
Für Gesetze müsste man dann um Mehrheiten ringen, was zunächst einmal ein effektives Mittel gegen Bürokratisierung ist, aber auch die dringend notwendige Renovierung der Demokratie zur Folge hätte. Der Mehltau, der sich in den letzten Jahren über Deutschland gelegt hat, könnte so abgestreift werden.
Aus Sicht der FDP ist dies wohl die einzige Option, bei der sie nicht ihre Kernwählerschaft verliert, um einer Sache zu dienen, die nicht die ihre ist. Es wäre auch unter dem Gesichtspunkt staatspolitischer Verantwortung wahrscheinlich der einzig nachhaltige Schritt. Nur so scheint ein Aufbruch überhaupt möglich. Allerdings wäre dieser dem Wähler anfangs nicht leicht verständlich zu machen. Andererseits: Egal, welches Szenario man durchspielt, die FDP verliert immer. Die Frage ist, ob bei denen, die sie ohnehin nicht wählen, oder ihren Wählern.
Aber um diese Situation beneide ich persönlich Christian Lindner ganz gewiss nicht.