Während man in der alten Bundesrepublik jahrelang mit hippiehafter Naivität von den Wundern einer multikulturellen Gesellschaft schwärmte und gleich alle reinlassen woll-te, die irgendwie exotisch wirkten, beharrte man auf der anderen Seite des politischen Spektrums mit der Behauptung, Deutschland sei kein Einwanderungsland, auf einem fiktiven Status Quo und verzichtete auf das einzig wirkungsvolle Steuerungsinstrument. Das Ergebnis: es sind nicht unbedingt die Integrationswilligen und –fähigen, die in den letzten Jahrzehnten nach Deutschland gekommen sind.
Wollte man es damals nicht wissen oder fand man die Diskussion angesichts der deut-schen Vergangenheit politisch unkorrekt? Eine Einwanderungsgesellschaft kann sich aussuchen, wen sie einlädt, an den Segnungen und Leistungen des eigenen Landes teil-zunehmen. Typische Einwanderungsländer vergeben ihre Greencard nur nach gründ-lichster Prüfung und nur nach dem Prinzip des eigenen Nutzens.
Deutschland aber war jahrzehntelang das Traumziel aller Mühseligen und Beladenen, nicht etwa der Wunschort für Menschen, die ehrgeizig etwas werden wollten. „Exzel-lenz“ anzulocken scheint uns noch heute schwer zu fallen. Immerhin hat die veränderte Asylpolitik der letzten Jahre dazu geführt, daß die Bundesrepublik den Ruf eingebüßt hat, ein Land zu sein, das geradezu dazu einlädt, an seinen sozialen Segnungen ohne Gegenleistung zu partizipieren. Und nun, da man sich auch über die sogenannten „Alt-fälle“ verständigt hat, die etwa 200 000 Ausländer, die bislang nur geduldet hier leben, kann man endlich illusionslos über die wirklichen Probleme reden. Über die Integration derjenigen, die in der zweiten oder dritten Generation hier leben und dennoch nicht an-gekommen sind – und darüber, wen man künftig anlocken möchte als nicht nur kulturel-le, sondern auch wirtschaftliche und intellektuelle Bereicherung.
Der Beschluß, mit dem sich die CDU-Innenminister gegen Vorstellungen der Regierung und insbesondere gegen SPD-Positionen durchgesetzt haben, setzt einen klaren Akzent: bleiben darf, wer arbeitet. Wer nicht arbeiten will oder keine Arbeit findet, muß gehen.
Das klingt hart und ist zugleich die einzig menschenwürdige Lösung, denn sie belohnt die Ehrgeizigen und Integrationswilligen. Vor allem aber hätte alles andere lediglich deutsche Illusionen fortgeführt. Die Illusion nämlich, man könne sich mit sozialen Wohltaten die Folgen der Globalisierung vom Halse halten, die da lauten: Konkurrenz.
Was das betrifft, ließ die Debatte zuvor allerhand befürchten. Der erste Kompromiß zwischen Schäuble und Müntefering roch nach einem Durchmarsch alten Besitzstands-denkens: Während der bayerische Innenminister Beckstein forderte, die Betroffenen hätten zuerst eine Arbeit vorweisen, um daraufhin das Bleiberecht zu erhalten, wünschte es sich der Regierungsvorschlag umgekehrt – weil bislang Deutsche und EU-Angehörige bei der Jobsuche vorgezogen werden mußten, ein Prinzip, das man mit Rücksicht auf die Gewerkschaften nicht antasten wollte.
Hier zeigte sie sich wieder, die alte deutsche Krankheit, die sich als Fürsorglichkeit tarnt. Im gut gepolsterten Handschuh lauert die Faust, nämlich die bequeme Vorstel-lung, daß Einwanderer im wesentlichen Menschen sind, die unserer Hilfe bedürfen. Was aber, wenn sie das Gegenteil des hilflosen Opfers sind, nämlich potentiell gefährliche Konkurrenten? Menschen etwa, deren Ehrgeiz den eines deutschen Normalarbeitneh-mers übersteigt, der an sein bequemes soziales Netz gewöhnt ist und nicht daran denkt, mehr als die gesetzlich vorgeschriebenen Arbeitsstunden abzusitzen? Akzeptieren wir auch die?
Die Asylpolitik der Vergangenheit und die weit offenen Arme der Hilfsbereitschaft ver-decken unter dem Mäntelchen der hochgemuten Moral etwas ganz banales, furchtbar menschlich-egoistisches und wenig zukunftsträchtiges. Es ist die Angst vor der Konkur-renz durch allzu Fleißige. Ihr Vorwärtsstreben könnte ja an gehätschelte Besitzstände gehen, ans Lohnniveau und die geregelte Arbeitszeit. Besser, man stellt sie mit sozialen Wohltaten ruhig.
So jedenfalls verfuhr man damals, als sich die DDR auflöste: die Lobbyisten des deut-schen Arbeitnehmers, die Gewerkschaften, sorgten im Handumdrehen dafür, daß man im Osten die einzige Chance nicht nutzen konnte, die man wenigstens vorübergehend hatte: durch niedrigere Löhne konkurrenzfähig zu sein. Statt blühender Landschaften haben wir deshalb jetzt alimentierte Menschen.
Wir müssen uns hierzulande entscheiden, was wir wollen. Die Entstehung staatlich her-angefütterter Parallelgesellschaften? Wohl kaum, die Erfahrungen der letzten Jahre er-weisen, welch Explosivstoff dem innewohnt. Die Alternative ist unbequem: wir müssen uns ins Offene trauen, raus aus dem kuscheligen Konsensdeutschland in eine globali-sierte Welt, in der eben auch die Fröste der Freiheit wehen.
NDR, Die Meinung, 19. November 2006