Vom Ausbruch des Krieges in Südossetien ist die Regierung in Berlin kalt erwischt worden. Bei seiner ersten Stellungnahme zu der Lage im Kaukasus machte Außenminister Frank-Walter Steinmeier den Eindruck, als sei er soeben ohne sein Wissen zum Nachfolger von Kurt Beck als SPD-Vorsitzender ernannt worden. Er zeigte sich „entsetzt“ über die Eskalation und rief beide Seiten zu einem „Gewaltverzicht“ auf. Dafür hatte er seinen Urlaub unterbrochen und war in die Hauptstadt zurück geeilt.
Nun möchte man als Bürger, Wähler und Steuerzahler, der auch das Außenamt mit seinen 6.500 festen Mitarbeitern und einem Budget von über 2.5 Milliarden Euro finanziert, gerne annehmen, dass man es mit Fachkräften zu tun hat und dass das Geld gut angelegt ist. Das AA gilt als der verlängerte Arm der deutschen Wirtschaft, weswegen der Außenminister auf seinen Reisen immer die Vertreter großer Unternehmen mitnimmt. Aber bei der Akquise von Aufträgen für deutsche Firmen zu vermitteln, kann nicht alles sein, wozu das Amt da ist. Die Botschaften informieren die Zentrale über die Lage in den jeweiligen Ländern, erarbeiten Expertisen und pflegen auch diskrete Kontakte zu diversen „Quellen“.
Der Reaktion von Minister Steinmeier nach zu urteilen, hat das im Falle von Georgien nicht gerade vorbildlich geklappt. Dabei schwelt der Konflikt um Ossetien schon eine Weile; auch die deutsche Botschaft in Tiflis sollte es mitbekommen haben. Das Problem könnte woanders liegen: Auch in der Bundesrepublik ist Politik nicht mehr das, was sie unter Richelieu, Metternich und Adenauer war. Aus der Kunst der großen Intrige ist ein kleinteiliges Geschäft geworden. Die EU-Kommission möchte eine Zigarette einführen, die von allein ausgeht, wenn an ihr nicht gezogen wird. So könnten, heißt es in Brüssel, 2.ooo tödliche Unfälle jährlich vermieden werden. Derweil möchte die Kinderkommission des Bundestages das „Überraschungsei“ verbieten, weil Kinder auf die Idee kommen könnten, dass auch der Inhalt essbar ist. Eine überparteiliche Initiative zur Einführung des Kinderwahlrechts von Geburt an konnte sich zwar nicht durchsetzen, hat ihre Pläne aber noch nicht aufgegeben.
Bei solchen Mätzchen geht die Bundesregierung mit gutem Beispiel voran. Wenn sie nicht gerade ein „Bündnis für den Film“, ein „Bündnis für Arbeit“ oder ein „Bündnis für Erziehung“ ausruft, dann ruft sie zum Kampf gegen Übergewicht oder gegen Magersucht auf. Ein wesentlicher Teil der Arbeit der Minister besteht darin, der Öffentlichkeit die Bedeutung ihrer Arbeit klarzumachen. Deswegen finden immer wieder Kampagnen in eigener Sache statt. Unvergessen die millionenteure Plakataktion des Umweltministers, der mitten in einem extrem kalten Winter den Deutschen versicherte: „Sibirien bleibt kalt“. Was viele davon abgehalten haben muss, einen Urlaub in Krasnojarsk zu buchen.
Auch Außenminister Steinmeier kann solchen Versuchungen nicht widerstehen. Letzten November nahm er zusammen mit dem französischen Außenminister Kouchner und dem deutsch-türkischen Rapper Muhabbet, einen Song auf, der als Beitrag zur Integration gedacht war. “Deutschland, warum verschließt du dich? Deutschland, leg deine Karten auf den Tisch.“ Obwohl der Minister nur das Wort „Deutschland“ mitsingen musste, waren bei dem flotten Dreier im Tonstudio alle Medien dabei. Hinterher wurde bekannt, dass Steinmeier nicht so genau wusste, mit wem er sich eingelassen hatte. Muhabbet, „König des türkischen Pop“, hatte nicht nur explizit frauen- und schwulenfeindliche Songs aufgenommen, sondern auch Verständnis für die Ermordung Theo van Goghs geäußert. Der Minister trat die Flucht nach vorne an. Für ihn zähle nur, was Muhabbet für die Integration türkischer Jugendlicher geleistet habe.
Im Juli fand in Berlin eine internationale Konferenz statt, auf der „gemeinsame Lösungen“ für den Nahen Osten diskutiert wurden. Eingeladen war auch der ehemalige stellvertretende iranische Außenminister Mohammed Larijani, der die Gelegenheit zu wilden Attacken gegen Israel nutzte. Jetzt hat Steinmeier den Auftritt des Iraners als “unverantwortlich und inakzeptabel” bezeichnet. Darüber, dass sein AA dessen Reise nach Berlin „gefördert“ hatte, verlor der unzuständige Minister kein Wort. Und jetzt will er zwischen Georgien und Russland vermitteln. Als ob die Lage im Kaukasus nicht schon genug verfahren wäre.
Erschienen in DIE WELTWOCHE vom 14.08.2008