Thilo Spahl, Gastautor / 14.12.2017 / 06:15 / Foto: Pixabay / 11 / Seite ausdrucken

Kohleausstieg schnell und billig - in China

Von Thilo Spahl.

Eine alte Weisheit besagt, dass die globale Energiewende dann gelingen wird, wenn man einen Weg findet, CO2-arme Energie so billig wie Energie aus chinesischen Kohlekraftwerken zu machen. In Deutschland wird diese Regel bekanntlich seit jeher ignoriert. Bei uns gelten zwei Merksätze. Erstens: Der Preis spielt keine Rolle. Zweitens: Hauptsache kein Atom.

In China geht man die Sache etwas rationaler an. Die deutschen Merksätze werden negiert, die alte Regel dafür beherzigt. Außerdem haben die Chinesen erhebliche Luftverschmutzungsprobleme und damit einen besonderen Anreiz, von der dreckigen Kohle wegzukommen. Denn in jedem Winter werden rund eine Milliarde Tonnen Kohle in Öfen verheizt und damit eine Menge Smog produziert. Abhilfe könnten sogenannte „Schwimmbadreaktoren“ schaffen. Die sollen zwar keinen kohlebilligen Strom produzieren, dafür aber, was nicht weniger wichtig ist, kohlebillige Wärme. Und sie sollen eine „mächtige Waffe gegen den Smog“ sein, so Zhang Jige von der Shanghai Jiao Tong University in der South China Morning Post.

Am 28. November hat die China National Nuclear Corporation offiziell ein Projekt gestartet, das in relativ kurzer Zeit zu einer erheblichen Dekarbonisierung der Wärmeversorgung führen könnte. Das Mittel der Wahl ist ein Kernreaktor, der sehr simpel aufgebaut und daher sehr billig ist. Er produziert keinen Strom, sondern nur (Fern-)Wärme für die Heizung von Gebäuden. Der geplante 400-Megawatt-Niedertemperatur-Heizreaktor „Yanlong“ könnte bis zu 20 Millionen Quadratmeter beheizen, das entspricht etwa 200.000 Drei-Zimmer-Wohnungen.

Auch in Deutschland gilt Fernwärme als wichtiges Instrument zur Senkung der CO2-Emissionen im Wärmesektor. Hierzulande wird aber typischerweise die sogenannte Kraft-Wärme-Kopplung genutzt, also Wärme aus konventionellen Kraftwerken, die vor allem der Stromerzeugung dienen. Vattenfall betreibt zum Beispiel in Berlin ein Fernwärmenetz für 1,2 Millionen Wohnungen mit 1900 Kilometer Länge.

In Deutschland Forschungsreaktor, in China Wärmeproduzent

Schwimmbadreaktoren werden schon seit über 50 Jahren als Forschungsreaktoren genutzt. Weltweit sind etwa 70 im Einsatz. Auch in Deutschland werden noch einige betrieben, zum Beispiel vom Helmholtz-Zentrum Berlin, schön gelegen im Villen-Vorort Wannsee, oder von der Technischen Universität München in Garching. Auf der Website des Helmholtz-Zentrums wird der Aufbau kurz erklärt:

„Der Kern des Reaktors (im Wesentlichen die Brennelemente und die Steuerstäbe) hängt in einem offenen Wasserbecken. Das Wasser dient gleichermaßen als Moderator, als Kühlmittel und als Strahlenabschirmung. Die Wasserschicht über dem Reaktorkern hält die Strahlung so vollständig zurück, dass keine Zeit- und Aufenthaltsbeschränkung für das Bedienungspersonal notwendig ist. Diese Bauweise hat zwei große Vorteile: Der Reaktor ist gut zugänglich und im gesamten sogenannten Primärkühlkreislauf, also im Beckenwasser, herrscht Normaldruck. Damit treten die bei Kernkraftwerken nötigen hohen Temperaturen und großen Drücke nicht auf.“

Die Forschungsreaktoren haben typischerweise nur eine geringe Leistung, die Becken sind mit einem Durchmesser von 1,8 bis 3,6 Metern und einer Tiefe von 6 bis 9 Metern relativ klein. Der chinesische Heizrektor ist etwas größer dimensioniert, funktioniert aber im Prinzip genauso. Das Reaktorbecken aus Beton und Stahl hat einen Durchmesser von etwa 10 Metern und eine Tiefe von 20 Metern und fasst bis zu 1800 Tonnen Wasser. Er wird als „Deep Pool Reactor“ (DPR) bezeichnet. Die Wärme wird über einen zweistufigen Wärmeaustausch an den Heizkreis übertragen, über den dann tausende von Häusern in einem Fernwärmenetz beheizt werden können.

Die Größe des Beckens sorgt für Sicherheit. Selbst wenn der Reaktor außer Kontrolle geriete und nicht mehr abzuschalten wäre, würde das Wasser über einen Monat zum Abkochen brauchen. Der Reaktor schmilzt erst, wenn er trocken liegt. Es bleibt also viel Zeit, um eine gegebenenfalls unterbrochene Wasserzu- und -abfuhr wiederherzustellen.

Die Lebensdauer eines Pool-Niedertemperatur-Heizreaktors beträgt 60 Jahre. Die Baukosten für das Heizwerk sollen etwa 200 Millionen Euro betragen und sind damit sehr viel geringer als die konventioneller Kernkraftwerke, die mehrere Milliarden kosten. Die Fernwärme kostet weniger als das Heizen mit Gas und ungefähr gleich viel wie Kohle. Eine Studie geht sogar davon aus, dass die Kosten nur ein Drittel derer von Kohleheizung betragen würden.

Keine technischen Hürden

Größere technische Hürden bestehen nicht. In Zeiten vor dem Atomausstieg wurde auch in Deutschland der Bau von Kernheizwerken erwogen. In einem vom Forschungsministerium beauftragten Gutachten aus dem Jahr 1990, das Reaktoren unterschiedlicher Bauart betrachtete, heißt es:

„Aufgrund der besonderen Eigenschaften von Kernheizwerken wie niedrige Leistungsdichte und niedriger Druck sowie auf inhärenten Prinzipien und passiven Sicherheitseinrichtungen basierendem Sicherheitskonzept lassen sich nach den bisherigen Erkenntnissen stadtnahe Standorte realisieren, so dass Kernheizwerke durchaus mit alternativen Systemen wirtschaftlich konkurrieren können, wenn die spezifischen Investitionskosten wie von den potentiellen Herstellern angegeben nicht wesentlich überschritten werden. […] Die bisher betrachteten Anlagen haben einen Reifegrad, der den erfolgreichen Bau und Betrieb voraussehen lässt.“

Klimaschutz spielte damals noch keine Rolle. Ausgangspunkt der Überlegungen war vielmehr, dass „trotz der derzeit relativ entspannten Lage auf dem Ölmarkt ein weiteres Zurückdrängen des Erdölverbrauchs und eine weitere Diversifikation der Versorgung wünschenswert“ sei.

Mit dem Bau von rund 300 Heizreaktoren im Norden des Landes könnte China jedes Jahr 500 bis 600 Millionen Tonnen Kohle einsparen. Das ist etwa siebenmal so viel, wie Deutschland jährlich verfeuert. Die Chinesen würden also sieben deutsche Kohleausstiege auf einen Schlag umsetzen. Die Kosten entsprächen ungefähr dem, was wir in Deutschland alle zwei bis drei Jahre für die Subventionierung von erneuerbaren Energien ausgeben, die bekanntlich bei gleichzeitigem Atomausstieg und Europäischem Emissionshandel bisher nicht zu einer Verringerung der CO2-Emissionen führt.

Der Bau des ersten Reaktors soll im nächsten Jahr voraussichtlich in der Inneren Mongolei beginnen. Als Bauzeit sind drei Jahre veranschlagt. Eine entscheidende Frage ist allerdings auch in China die Akzeptanz durch die Bevölkerung. Man will auf Beteiligung und Transparenz setzen und hofft darauf, dass „Schwimmbadbesuche“ bei den Menschen Vertrauen erwecken. Wang Naiyan, Ehrenvorsitzender der China Nuclear Society und leitender Wissenschaftler am China Institute of Atomic Energy, plädiert dafür, das Atomheizwerk für Besucher zu öffnen:

„Die letzte Zustimmung [sollte nicht] von Regierungsbeamten kommen, sondern vom Volk. Wenn unsere Einwohner am Pool vorbeikommen und das kristallklare Wasser sehen können, werden sie die Funktionsweise des Reaktors unmittelbar erfahren, und sie werden vielleicht einen in [ihrem] Hinterhof haben wollen.“

Thilo Spahl ist Diplom-Psychologe und lebt in Berlin. Er ist freier Wissenschaftsautor, Mitgründer des Freiblickinstituts und Novo-Redakteur. Dieser Beitrag erschien zuerst in Novo hier.

Foto: Pixabay

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Jürgen Fichtner / 14.12.2017

Das Problem, wohin mit den abgebrannten Brennelementen, wird in dem Beitrag nicht angesprochen. Das mag auch für China mit seinen riesigen unbewohnten Flächen kein Thema zu sein, ist es aber für das dichtbesiedelte Mitteleuropa. Für Deutschland beanspruchen einige unserer fürsorglichen Politiker absolut sichere Lagermöglichkeiten für mindestens 500 Tsd. Jahre zu schaffen. Diese Herangehensweise und die im Artikel angesprochene ideologische Verteufelung des “Atoms” werden unser Land weiterhin zu einem energiepolitischem Pharisäertum verkommen lassen.

Karla Kuhn / 14.12.2017

So langsam könnte man sagen, von den Chinesen lernen, heißt Pragmatismus zu lernen. Sie bauen im Sauseschritt eine Brücke, hier dauert eine ICE Strecke 26 Jahre (Ein Viertel Jahrhundert !!), vom Flughafen gar nicht mehr zu reden und sie werden jetzt auch dieses Projekt in kürzester Zeit umsetzen. In Europa haben wir dafür aber schöne Klimagipfel, ist ja auch etwas. Und in Deutschland klappt es besonders gut mit Verboten.

Hermann Feist / 14.12.2017

Die Chinesen, ein pragmatisches Volk frei von Hysterie. Ich sehe Atomenergie auch kritisch, aber wenn sie der einzig gangbare Weg darstellt die Problem zu lösen, was bleibt uns dann anderes übrig? Moralische Hysterie muss man sich leisten können.

Andreas Rochow / 14.12.2017

Bei Reizthemen wie Kernenergie, “erneuerbare” Energie, Kohleausstieg führen seit Jahren Ideologen die Debatten an. Fach- und Sachkenntnisse sind Mangelware. Realitätsverweigerer lehnen auch den Gebrauch der verhassten Grundrechenarten ab. Es herrscht die Ansicht, dass der Industriestaat Bundesrepublik demnächst seinen Energiedarf allein mit “erneuerbarer” Energie zu decken, koste es was es wolle. So ist es quasi zum Stillstand bei der Energieerzeugung in Kernkraftwerken gekommen. Lieber werden staatliche Mittel für Kampagnen und deren “wissenschaftliche” Begleitung (PIK, Germanwatch, Agora Energiewende, Ministerien und Institute) ausgegeben. Deren Ziel, nämlich die Emission von CO2 zu reduzieren und ganz zu stoppen, haben sie trotz fließender Steuermilliarden weit verfehlt. Umso verdienstvoller ist es, sich die Größenordnungen der chinesischen Energiepläne einmal vor Augen zu führen. Ob die Bereitschaft in D dadurch steigen wird, wieder über die mächtigste “klimaneutrale” Energieerzeugung sachlich nachzudenken, wage ich allerdings zu bezweifeln. Zu fest sitzen Ängste und Vorbehalte grüner Fortschrittsfeinde.

Dieter Hitzek / 14.12.2017

So ist´s recht! Ein Kernreaktor ist nur ein alternativ beheiztes Schwimmbad. Entsorgung? Machen wir später. Irgendwie.

Martin Landvoigt / 14.12.2017

Danke für diesen informativen Artikel. Obwohl ich keine Berührungsängste mit Kerntechnik habe, war mir dieser Ansatz neu. Ich liebe es, wenn man ncht nur immer das gleiche macht, sondern mal was neues entwickelt.

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