Kohleausstieg gefährdet Trinkwasserversorgung Berlins

Von Uta Böttcher.

Weniger mit dem Klimawandel als mit den unbeabsichtigten Nebenwirkungen des Kohleausstiegs hat es zu tun, dass in Berlin bald das Trinkwasser knapp werden könnte. Eine Analyse aus hydrogeologischer Sicht.

Es begann am 3. Juli 2020: Damals beschloss die damalige Bundesregierung, bestehend aus einer Koalition von CDU/CSU und SPD, das Kohleausstiegsgesetz. Es besagt, dass bis spätestens 2038 mit der Stromerzeugung aus Kohle Schluss sein muss. Damit einher geht das Ende des Braunkohletagebaus, zum Beispiel im Lausitzer Kohlerevier rund um Cottbus. Dies hat weitreichende und offenbar unbedachte Folgen, zum Beispiel für die Trinkwasserversorgung in Berlin.

Die größte Stadt Deutschlands hat derzeit rund 3,8 Millionen Einwohner. Täglich benötigen die Berliner 546.000 Kubikmeter Trinkwasser im Durchschnitt, entsprechend 400 Schwimmbeckenfüllungen in der Länge von 50 Metern. Das Bund-Länder-Demografieportal prognostiziert ein mögliches Anwachsen der Einwohnerzahl in Berlin auf über 4 Millionen bis zum Jahr 2035 bei entsprechend wachsendem Trinkwasserbedarf.

Auf den ersten Blick versorgt sich Berlin aus den Wasservorkommen im eigenen Stadtgebiet. Dafür verfügt es über neun Wasserwerke mit dazugehörigen Wasserschutzgebieten: die Wasserwerke Friedrichshagen, Kaulsdorf, Wuhlheide, Tegel, Tiefwerder, Stolpe, Beelitzhof, Kladow und Spandau. Bei einer Gesamtfläche von 892 Quadratkilometern sind etwa 221 Quadratkilometer Berlins Wasserschutzgebiet. Rund 60 Quadratkilometer bestehen aus Wasserflächen, also Seen und den im Stadtgebiet verlaufenden Flüssen Spree, Havel, Dahme, Panke und Wuhle.

Der Trinkwasserbedarf der Stadt Berlin wird zum größten Teil mit Hilfe von Brunnen gesichert, die in den Trinkwasserschutzgebieten unmittelbar an Spree und Havel liegen. Durch die Grundwasserentnahme aus den Brunnen direkt in Ufernähe fließt das Wasser unterirdisch aus Spree und Havel von der Uferböschung auf die Brunnen zu. Das so gewonnene Wasser nennt sich Uferfiltrat, das Verfahren Uferfiltration. Das hat gegenüber der direkten Wasserentnahme aus den Flüssen den Vorteil, dass es durch die Bodenpassage bis zu den Entnahmebrunnen bereits eine gewisse Reinigung erfährt.

Das entnommene Grundwasser stammt nur zu etwa 30 Prozent aus der natürlichen Grundwasserneubildung rund um Berlin bis hinein nach Brandenburg. Etwa 60 Prozent ist Uferfiltrat aus Spree, Havel und Dahme. Weitere 10 Prozent stammen aus Grundwasseranreicherungsanlagen, wo Oberflächenwasser, aus der Havel oder dem Tegeler See entnommen, im Boden versickert und nach einer Bodenpassage zu Trinkwasser aufbereitet wird.

Grundwasser wird im Braunkohletagebau großflächig abgepumpt

Das bedeutet, dass der größte Teil des Wassers für die Berliner Trinkwasserversorgung doch von weiter her kommt, nämlich aus den Einzugsgebieten der Spree in Sachsen und Brandenburg, und der Havel in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Die Spree entspringt im Oberlausitzer Bergland und mündet nach 382 km und einem Höhenunterschied von ca. 400 Metern in Berlin-Spandau in die Havel. Spreewasser kommt also aus dem Mitteldeutschen und Lausitzer Braunkohlerevier, das in Richtung polnischer Grenze rund um Cottbus liegt.

Seit mehr als 150 Jahren wird dort Braunkohle gefördert. Bereits nach der Wende 1990 wurde der Betrieb in einigen der Tagebaue eingestellt. Mit dem von der ehemaligen Regierung beschlossenen Kohleausstieg soll bis spätestens zum Jahr 2038 kein Strom mehr aus Kohle gewonnen werden, und auch der Braunkohletagebau muss bis dahin vollständig eingestellt werden – mit Auswirkungen auf die Wassermenge in der Spree und somit auf die Trinkwasserversorgung der Berliner. Wie hängt das zusammen?

Um die Braunkohle an der Erdoberfläche – über Tage – abbauen zu können, wird großflächig Grundwasser abgepumpt. Kohleflöze, die bis in 100 Metern Tiefe liegen, müssen über den Grundwasserspiegel gebracht, sprich trockengelegt werden. In diesem Fall wurde ein riesiger Absenktrichter geschaffen: eine durch Abpumpen des Grundwassers künstliche, trichterförmige Absenkung des Grundwasserspiegels, dessen Umfang aktuell auf ein Volumen von vier Milliarden Kubikmeter Wasser geschätzt wird.

Derzeit, solange der Bergbaubetrieb besteht, werden der Spree im Durchschnitt sieben Kubikmeter Wasser pro Sekunde hinzugefügt. Es handelt sich um das dem Bergbaugebiet künstlich entzogene Wasser. Solange dies so bleibt, wird für Berlin genügend Trinkwasser gewonnen werden können. Nach dem Kohleausstieg 2038 wird diese Menge in der Spree aber fehlen. Denn bis es aus dem natürlichen Einzugsgebiet wieder auf normale Weise der Spree zufließt, wird es lange Zeit dauern.

Die Schätzung, bis wann sich das bergbaubedingte Grundwasserdefizit ausgeglichen haben wird, beläuft sich auf das Jahr 2070. Und auch danach würde die Spree in niederschlagsarmen Perioden in ihrem Mittellauf und in höher gelegenen Randlagen streckenweise nur noch wenig Wasser führen und der Spreewald kaum noch durchströmt, wenn nicht rechtzeitig umfassende Eingriffe in den Wasserhaushalt geplant und umgesetzt werden

Im Sommer bis zu 75 Prozent weniger Wasser

Was bedeutet das für Berlin? Laut Energie- und Bergbauunternehmen LEAG könnte die Spree nach dem Kohleausstieg an den Pegeln Cottbus und Spremberg, also nahe an den Braunkohletagebaugebieten, im Sommer bis zu 75 Prozent weniger Wasser führen. In Richtung Berlin folgt allerdings noch ein großer Teil des Einzugsgebietes, das der Spree Wasser zuführt. Derzeit – also inklusive der im Durchschnitt sieben Kubikmetern Wasser pro Sekunde aus dem Bergbaubetrieb – fließen in Berlin durchschnittlich 38 Kubikmeter pro Sekunde Spreewasser in die Havel ab. Nach dem Kohleausstieg wird der fehlende Anteil in Berlin, abhängig von der Niederschlagsmenge, wohl eher bei 25 Prozent liegen (siehe auch 4).

Die Berliner Senatsverwaltung hat zur Lösung der zukünftigen Probleme den Masterplan Wasser ins Leben gerufen. Dafür wurden die Auswirkungen auf Spree und Havel bei Rückgängen der Wasserführung der Spree um 25 Prozent, 50 Prozent und 75 Prozent simuliert. Dabei zeigte sich, dass der Wasserstand in der Spree durch eine veränderte und auf Rückhaltung des Wassers abzielende Bewirtschaftung der Wehre in Trockenperioden vielleicht noch gewährleistet werden könnte.

Aber: In der oberen Havel fließt schon jetzt zeitweise weniger Wasser aus dem Oberlauf und dem Klärwerk Schönerlinde zu, als durch die Wasserwerke Stolpe, Spandau und Tegel entnommen wird. Das bedeutet, dass der Wasserstand in der oberen Havel in Trockenphasen abfällt und somit im Oberlauf niedriger ist als im Unterlauf. Das hat unmittelbare Auswirkungen auf die Schifffahrt. Die Wehre und Schleusen würden dann (Vorsicht Ironie!) bestenfalls noch in umgekehrter Richtung funktionieren (siehe auch 4).

In mehreren Studien und Projekten werden derzeit verschiedene Möglichkeiten untersucht, wie der steigende Trinkwasserbedarf der Metropolregion Berlin-Brandenburg in Zukunft trotz des fehlenden Wassers in der Spree nach dem Kohleausstieg sichergestellt werden könnte. Die Diskussion reicht vom Einsatz von Grundwasseranreicherung durch zwischengespeichertes Regenwasser und den Einsatz von Umkehrosmoseanlagen zur besseren Reinigung von Abwasser über das Anlegen von großen Laubmischwäldern anstatt der vorhandenen Kieferbestände, um die Grundwasserneubildung zu erhöhen (siehe auch hier), bis hin zu Rohrsystemen, die Wasser aus benachbarten Flussgebieten, beispielsweise der Elbe, in die Spree transportieren (siehe auch hier).

Deadline wider die Realität

Gemeinsam ist all diesen Vorschlägen, dass der strukturelle Umbau der Berliner Trinkwasserversorgung sehr viel Geld kosten wird. Und nichts davon kann aus heutiger Sicht rechtzeitig fertig werden.

Mit einer Deadline wider die Realität wurde der Kohleausstieg beschlossen und willkürlich das Jahr 2038 als Enddatum festgelegt. Die weitreichenden Folgen eines solchen Eingriffs in die Wirtschaft, vor allem die benötigte Vorlaufzeit, um die damit zusammenhängenden Systeme reibungslos umzustellen, wurden in die Überlegungen nicht mit einbezogen. Wie beim Verbrenner-Aus und wie beim Heizungsgesetz und wie beim Atomausstieg.

Zur generellen Wassersituation in Deutschland siehe meinen Artikel „In Deutschland herrscht kein Wassermangel“.

 

Uta Böttcher ist Diplom-Geologin, mit dem Fachbereich angewandte Geologie, speziell Hydrogeologie. 

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Leserpost

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Klaus Dieter / 07.09.2024

Um die Wassermenge in der Spree mache ich mir keine Sorgen. Es gibt jetzt schon genügend Speicherkapazität in den gefluteten Alttagebauen. Sorgen sollte man sich um die Wasserqualität. Durch die Pyritverwitterung ist viel Schwefelsäure in den Kippen, die langsam ausgewaschen wird und in der Spree landet. Der Kohleausstieg 2038 ist eine Illusion, wo soll der Strom dann herkommen?

Michael Woelki / 07.09.2024

Werte @ Frau Lehmann, genau das wird passieren. Geld spielt dann kein Rolle, der Strom für die Pumpen kommt ja aus der Steckdose und erzeugt daher auch kein CO2. Ist alles durchgerechnet….

Wolfgang Richter / 07.09.2024

Wenn politideologische Ideen umzusetzen sind, haben Naturgesetze sich halt anzupassen, meinen jedenfalls bildungsferne Entscheider. Von denen scheinen viele bei Sturm unter Dächern gestanden zu haben, den ollen Newton ignorierend, wenn ihnen die Dachziegel aufs Haupt fielen.

Daniel Rödding / 07.09.2024

Aus Sicht eines im “bürgerlichen” Südwestens von Berlin lebenden Menschen kann ich nur sagen: Lass’ es doch zu Knappheiten und Rationierungen kommen. Diejenigen, für die das dann ggf. im Zweifelsfall die größten Störungen im Alltag bedeuten wird, sind gleichzeitig auch diejenigen Leute, die bisher auch am stärksten gegen politische Veränderung agititiert haben. Das Grundproblem mit der Wasserversorgung Berlins ist seit Jahren bekannt. Man wird da aber auch nur Lösungen implementieren können, wenn es einen fundamentalen Politikwechsel gibt. Bis dahin kann man nur auf “mitigation” setzen, wie es im angloamerikanischen Raum heißt. Also “sich mit der Situation arrangieren”. Und, naja, eben halt bei den nächsten Wahlen genau überlegen, wem man seine Kreuzchen halt gibt.

Ralf Ehrhardt / 07.09.2024

Potz Blitz, ...da haben sich die Berliner Frösche doch wahrhaftig ihren eigenen Sumpf trocken gelegt !  Welch geniale Leistung.

A. Ostrovsky / 07.09.2024

@Peter Hermann : >>Sehr guter Beitrag. Wir werden leider von Leuten regiert, die keinerlei technischen oder naturwissenschaftlichen Sachverstand haben.<<  ## Es fehlt scheinbar nicht nur der naturwissenschaftliche Sachverstand, obwohl es einen wissenschaftlichen Dienst des Bundestages und zahlreiche Berater gibt. Der Bundestag (nicht die Regierung!) beschließt Gesetze. Die Abgeordneten des Bundestages sind offensichtlich nicht in der Lage, die richtigen Fragen zu stellen und die Auswirkungen ihrer auf ein Enddatum terminierten Entscheidungen wissenschaftlich aufbereiten zu lassen. Das bedeutet, sie entscheiden ohne die nötige Sorgfalt. Die müssen das ja gar nicht alleine wissen, sie müssen aber so viel Verantwortung haben, dass sie nicht weitestreichende planwirtschaftliche Entscheidungen OHNE PRÜFUNG DER AUSWIRKUNGEN abnicken. Da die Regierung nur aus Abgeordneten von Parteien gebildet wird (Ich gehe davon aus, dass noch kein Parteiloser jemals Kanzler oder Minister geworden ist) wäre das, falls die Gesetze nicht aus der Luft gegriffen werden, sondern aus der Interessenlage der Parteien als Vorlage erarbeitet werden, ein gravierender Mangel der Parteien! Nochmals: Sie heben Berater und Wissenschaftler zur Verfügung. Sie müssen die nur VERANTWORTUNGVOLL beauftragen. Das scheinen sie aber nicht zu können, sondern nur ihr Parteiengezänk und ihre Machtoptionen.

Andreas Mertens / 07.09.2024

Gut.  Lasst den Sumpf austrocknen ... den Reichstagssumpf und die ganze linke Berliner Gesellschaft gleich dazu. Von mir aus weiden demnächst Kamele vor dem Reichstag. Dazu singt dann der Muezzin vom Minarett der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Moschee

Baron Fred / 07.09.2024

Wenn man sucht nach “Spree fließt rückwärts” bekommt man “Ungefähr 97.400 Ergebnisse”! Ist also nicht neu. Neu ist mir, das Wuhle und Panke Flüsse wären. Wie das? Vergessen wurde jedoch die Fabrik von Musk, also Tesla mitten im Wald mit einem horrenden Wasserverbrauch, das dem Osten Berlins das Wasser abgräbt! Noch dazu um “Autos” zu bauen, die dann auf einem alten Flugplatz verrotten. Aber dafür gibt es für Tesla ein Haufen Geld vom Steuerzahler. Nennt sich wohl COzwei-Zertifikate. Was für ein Irrsinn….

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