Von Pieter Cleppe.
Die sogenannte „Kohlekommission“, der Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Umwelt angehören, hat dem Land nach langer Debatte empfohlen, die Nutzung der Kohleenergie bis 2038 einzustellen. Dies muss noch von vier betroffenen Bundesländern sowie von der Bundesregierung genehmigt werden, obwohl Bundeskanzlerin Angela Merkel bereits ihre Unterstützung bekundet hat. Da es noch Fragen gibt, die das ganze Unternehmen betreffen, gibt es hier einen Überblick über die fünf wichtigsten Debatten.
1. Was wird der Ausstieg kosten?
Die Kohlekommission schlägt vor, mindestens 40 Milliarden Euro zur Unterstützung der von der schrittweisen Einstellung betroffenen Kohlebergbauländer auszugeben und zusätzlich mindestens 2 Milliarden Euro pro Jahr, um den Anstieg der Stromrechnungen der Verbraucher zu begrenzen – die jetzt schon die höchsten in Europa sind. 5.000 staatliche Arbeitsplätze würden in die betroffenen Regionen verlagert, was ebenfalls Kosten verursacht.
Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) schätzt die realen Kosten auf knapp 170 Milliarden Euro unter Berücksichtigung der Auswirkungen auf die Energiepreise, möglicher Schäden und der Kosten für zusätzliche Investitionen in alternative Energiequellen wie Erdgasanlagen. Er warnt vor Preiserhöhungen, da deutsche Unternehmen bereits jetzt mit den höchsten Stromrechnungen in der Europäischen Union konfrontiert sind. Diese Kosten kommen zu den Kosten des gesamten Energiewende-Plans noch hinzu, der darauf abzielt, bis 2050 fast vollständig von fossilen Brennstoffen auf erneuerbare Energien umzusteigen zu geschätzten Kosten von 1,1 Billionen Euro.
Ein Großteil des potenziellen wirtschaftlichen Schadens wird von der zweiten großen Frage abhängen: der Energiesicherheit.
2. Gefährdet der Ausstiegsplan die Energiesicherheit?
Ohne die Entscheidung von Angela Merkel, nach Fukushima aus der Kernenergie auszusteigen, wäre die Herausforderung viel weniger groß. Stein- und Braunkohle erzeugen nach Angaben der Internationalen Energieagentur inzwischen mehr als 42 Prozent des deutschen Stroms. Dieser Anteil ist seit der Entscheidung zum Nuklearausstieg gestiegen. Ein Resultat davon ist, dass Deutschland zugeben musste, auf dem Weg zur Verfehlung der CO2-Emissionsziele für 2020 zu sein.
Viele in Deutschland wollen auf zwei Hochzeiten tanzen – die Atomkraft loswerden und gleichzeitig auf die Kohle verzichten. Die Kohlekommission will die Kohlekapazität von 42 Gigawatt auf 30 Gigawatt bis Ende 2022 und 17 Gigawatt bis Ende 2030 reduzieren. Die deutsche Industrie befürchtet Energieausfälle. Denn Deutschland ist stärker von Kohle abhängig als Großbritannien oder Kanada, die beschlossen haben, die Kohle auslaufen zu lassen. Kaum ein anderes Land hat versucht, gleichzeitig sowohl Atomkraft als auch Kohle auslaufen zu lassen. So hat beispielsweise Schweden seinen Beschluss zum Ausstieg aus der Kernenergie im Jahr 2009 wieder rückgängig gemacht.
Eine Studie behauptet, dass erneuerbare Energieträger 2018 erstmals die Kohle als Hauptstromquelle Deutschlands überholt haben, aber das ist nicht die ganze Geschichte. Wie Rolf Schmitz, Leiter des führenden Energieunternehmens RWE, betont: „Es gibt Tage, an denen erneuerbare Energien 70 Prozent oder mehr des Energiebedarfs decken, aber es gibt auch Tage, an denen dieser Anteil nur 5 Prozent beträgt, an denen der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint“. Siehe auch Rüdiger Stobbes wöchentliche Achgut.com-Kolumne: "Woher kommt der Strom?"
Eine weitere Herausforderung, die von der Kohlekommission selbst anerkannt wurde, besteht darin, dass große Investitionen in die deutsche Energietransport- und Speicherinfrastruktur erforderlich sind, um die offshore in der Nordsee erzeugte Windenergie in den Süden des Landes zu transportieren und die Speicherkapazität zu verbessern.
Gerade aus diesem Grund warnte Ralph Brinkhaus, der Fraktionsvorsitzende der CDU im Bundestag, davor, dass sich der Kohleausstieg über 2038 hinaus verzögern könnte, wenn die gesetzte Ausstiegsfrist zu Problemen bei der Stromversorgung führen sollte: „Die Sicherheit der Energieversorgung muss gewährleistet sein ... wenn sie gefährdet ist, sollten wir die Freiheit haben, eine weitere Runde zu machen und uns damit zu befassen, ohne den von uns gewählten Weg aufzugeben. Es gibt keinen Grund, dogmatisch zu sein.“
3. Ist Gas als Lückenfüller besser als Kohle?
Die Journalistin Brigitte Fehrle argumentierte in einem Kommentar im deutschen öffentlich-rechtlichen Radio: „Es wäre fatal für die Glaubwürdigkeit der gesamten Initiative, wenn anstelle von Energie aus deutschen Braunkohlekraftwerken Braunkohle aus Polen oder der Tschechischen Republik importiert werden müsste.“ Merkel selbst hat bereits bemerkt: „Wir wollen 2038 ohne Kohle sein. Dann brauchen wir mehr Gas.“
Gas ist jedoch kein Allheilmittel zur Vermeidung von Kohlenstoffemissionen. Christian Lindner von der FDP, der die Empfehlungen der Kohlekommission als „reine Ideologie“ abgetan hat, prognostizierte, dass „im Jahr 2030 das gleiche Spiel mit dem Energieträger Gas wiederholt werden wird“.
Die niederländische Regierung wurde in ähnlicher Weise kritisiert für ihre Einstellung der Gasförderung, wobei die Gegner darauf hinwiesen, dass dies die Tür zu mehr Gasimporten aus Russland öffnen könnte. Der Verzicht auf Kohle kann auch in Deutschland dazu führen, dass das Land stärker von russischem Gas abhängig wird. Merkel steht jetzt bereits unter Beschuss, weil sie „Nord Stream 2“ erlaubt hat.
4. Wie umweltfreundlich sind alternative Energiequellen?
Gefährliche Materialien sind notwendig, um Solarmodule herzustellen, und Windkraftanlagen haben ihre eigenen ökologischen Nachteile. Aber lohnen sich diese Nachteile am Ende doch, wenn erneuerbare Energien jede andere Energiequelle ersetzen werden?
Das ist fragwürdig. Auf globaler Ebene ist die Rolle der Wind- und Solarenergie bestenfalls bescheiden. Laut den Key Renewables Trends 2016 der Internationalen Energieagentur trugen im Jahr 2014 Wind 0,46 Prozent und Solar und Gezeiten zusammen 0,35 Prozent zum globalen Energieverbrauch bei, das heißt zum Gesamtenergieverbrauch, nicht nur zum Stromverbrauch, der weniger als ein Fünftel der gesamten Endenergie ausmacht.
14 Prozent der weltweiten Energie gelten als „erneuerbar“, davon sind drei Viertel Biomasse. Professor John Beddington, ein ehemaliger wissenschaftlicher Chefberater der britischen Regierung, argumentiert, dass die Holzverbrennung nicht der richtige Weg sein sollte, um die Ziele für erneuerbare Energien zu erreichen; andernfalls müsste Europa bald eine Menge Holz – größer als seine gesamte Holzernte – verbrennen, was nicht gerade im Einklang mit grünen Grundüberzeugungen steht.
5. Gibt es keine Verbesserung bei der kohlebasierten Energiegewinnung?
Während die Fortschritte bei den erneuerbaren Energien für Schlagzeilen sorgen, haben sich auch die fossilen Brennstoffe durch die Entwicklung von „sauberen Kohletechnologien“ verbessert. Der hysterische Ansatz der aktuellen Debatte ignoriert die Tatsache, dass bis 2040 immer noch 60 Prozent der Primärenergie aus fossilen Brennstoffen stammen werden, gegenüber den heutigen 81 Prozent.
Wenn man sich um die Reduktion der CO2-Emissionen sorgt, ist der vollständige Ausstieg aus der Kohle nicht nur teuer, sondern ignoriert auch die Rolle des technologischen Fortschritts bei der Verbesserung einer unverzichtbaren Energiequelle.
Der Titel dieses Beitrages wurde Bertholt Brechts Ballade von der Unzulänglichkeit menschlichen Handelns entlehnt:
Ja, mach nur einen Plan!
Sei nur ein großes Licht!
Und mach dann noch’nen zweiten Plan
Gehn tun sie beide nicht.
Pieter Cleppe leitet das Brüsseler Büro des Think Tanks Open Europe. Der Artikel erschien zuerst auf euractiv.com.
Lesen Sie morgen: Atomausstieg 2022: Die linke Kernphobie