Henryk M. Broder / 28.01.2016 / 18:14 / 9 / Seite ausdrucken

Köln war ein Pogrom

Wie es sich für ein Pogrom gehört, gab es Täter, Opfer und Zuschauer. Die Täter waren rücksichtslos, die Opfer hilflos und die Zuschauer haben zugeschaut. Es ist irrelevant, ob es echte Vergewaltigungen oder "nur" sexuelle Nötigungen im Sinne des § 177 StGB waren. Ein Mensch, der Spießrutenlaufen muss, dabei angefasst, bedrängt, geschlagen und verhöhnt wird, erlebt eine Vergewaltigung. Man muss nicht Historiker oder Antisemitismus-Experte sein, um Parallelen zu den antijüdischen Pogromen aus der Zeit vor dem Holocaust zu erkennen.

Nun sind Frauen, anders als die Juden, keine Minderheit. Und niemand bereitet die "Endlösung der Frauenfrage" vor. Aber der Hass auf Juden und der Hass auf Frauen sind nahe Verwandte. (Wer es genauer wissen möchte, sollte "Geschlecht und Charakter" von Otto Weininger lesen.) Altes Kulturerbe, das nachwirkt, allen Erfolgen der Emanzipation und den Bemühungen der Gleichstellungsbeauftragten zum Trotz.

Dass der ewig wandernde Jude inzwischen in Israel sesshaft geworden ist und so manches Land und manche Institution von Frauen regiert wird, hat weder an dem einen noch dem anderen Ressentiment etwas geändert. Sowohl Frauen- wie Judenhasser fühlen sich von den Objekten ihrer Wut herausgefordert, provoziert. Kein Antisemit, der nicht "dem Juden" die Schuld dafür geben würde, was er ihm antun musste; und kein Vergewaltiger, der die Frau, die er vergewaltigt hat, nicht dafür verantwortlich machen würde, was ihr zugestoßen ist. Mehr

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Leserpost

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lisa himmelsbach / 30.01.2016

Herr Walter, geht mir genauso. Er ist einer der ganz Wenigen ist, der diese unsäglichen Runden mit seinen Gaben aufmischen könnte und ich frage mich schon länger, warum er nicht mehr zu sehen/hören ist. Mich würde interessieren, ob er selber keine Lust mehr drauf hat oder nicht mehr eingeladen wird.Letzteres wäre für mich sehr plausibel und ich könnte mir nach den jüngsten Versuchen, in die Besetzung von Gästelisten einzugreifen, durchaus vorstellen, dass das hier auch der Fall sein könnte. Wahrscheinlich fürchtet man sich regelrecht vor ihm, weil er die anderen Dampfplauderer und Dummschwätzer rhetorisch und argumentativ hinwegfegen und deren hohles Geschwätz als solches entlarven kann.

Wolfgang Richter / 29.01.2016

Die relativierenden Denkmuster zu den Silvester-Ereignissen könnten vermutlich am ehesten mit dem “Stockholm-Syndrom” verglichen werden. Vom nach der unseligen Zeit des 1000jährigen Reiches anerzogenen Helfersyndrom in Richtung aller möglicherweise Verfolgten der Welt bis zu den vor allem von jungen Frauen geworfenen Teddybären war man sich hinsichtlich der Gutheit der schutzwürdigen in weiten Teilen der Gesellschaft einig. Dieses Bild gilt es auf jeden Fall und um jeden Preis trotz der vor allem gegen Frauen gerichteten Handlungen zu erhalten, da ansonsten das gesamte eigene Weltbild infrage gestellt werden müßte. Und dazu ist man, in dem Falle vor allem frau,  halt nicht bereit, auch nicht um den Preis, damit die eigenen Geschlechtsge-nossinnen medial noch einmal den Peinigern auszuliefern. Dabei wäre es so einfach, sich in Koran und darauf aufbauenden Schriften zur Stellung der Frau im Islam “schlau” zu machen. Aber auch dort würde man nur erfahren, daß das eigene Weltbild diesbezüglich auch nicht ansatzweise der Realität entspricht, also Denk- u. Verhaltensmuster wie vor.

Margot Winkler / 29.01.2016

Das ist auch das erste, was ich gedacht habe zu der Silvesternacht in Köln, Hamburg und anderen Städten: Das es eine andere Art von Terroranschlag ist. Auch der Mord an der 20j. Studentin, die im U-Bahnhof Ernst-Reuter-Platz vor kurzem von einem Iraner ohne festen Wohnsitz vor die U-Bahn gestoßen wurde und tödlich verunglückte, ist für mich nicht nur die Tat eines Verrückten, wie es in der Presse dargestellt wird, die schon nach kurzer Zeit die Herkunft des Täters verschwieg und nur von einem “Obdachlosen” und “Hamburger” sprach, weil ja nicht sein kann, was nicht sein darf. Hätte der Mann auch einen Mann auf die Gleise gestoßen, hatte er Haß auf Frauen? Danach wird nicht gefragt. In anderen Fällen, wenn ein Migrant betroffen ist, dann wird sofort die Rassismus-Frage gestellt. Bei Frauen fast nie, obwohl Frauenhass auch eine Art Rassismus ist.

Andreas Mertens / 29.01.2016

Im Umgang mit agressiven bzw devianten Kindern und Jugendlichen spricht die Konfrontative Pädagogik von der sogenannten Neutralisierunsgtechnik der Täter. Sie besteht aus den Komponenten: 1) Umdeuten 2) Verharmlosen 3) Verdrängen In dem Licht müssen sich viele (die meisten) Politiker und Medienschaffenden den Vorwurf gefallen lassen zumindest Mittäter zu sein. Denn das Licht des Tages war am 1 Januar kaum über den Horizot gekrochen da begann schon das Umdeuten, Verharmlosen und Verdrängen. 1) Das waren nicht muslimische Nordafrikaner, das waren Männer sondern Arschlöcher 2) Sowas passiert auf dem Oktoberfest auch. 3) In China ist ein Sack Reis umgefallen

Gerald Radek / 29.01.2016

Sehr geehrter Herr Broder! Auf den Punkt getroffen. Köln könnte eines der seltenen Pogrome in Europa nach 1945 gewesen sein. Auch ander Fragen stellen sich mir jedenfalls. Der von der Kölner Polizei gefundene Zettel mit den praktischen Übersetzungsbeipielen Deutsch-Arabisch zB. Von wem stammen die? Grammatikalisch fällt das “ß” bei “große Brüste” auf. Dieses Zeichen kennt keine andere Sprache. War hier ein muttersprachlich Deutscher behilflich?

Astrid Schleicher / 29.01.2016

“... kein Vergewaltiger, der die Frau, die er vergewaltigt hat, nicht dafür verantwortlich machen würde, was ihr zugestoßen ist.” Mit Verlaub, Herr Broder, das mag zwar für viele der Domplatten-Knallköpfe zutreffen, ist in dieser Verallgemeinerung aber sicher falsch. Im Grunde ist es kindisch: “Der Nachbar ist selbst schuld, wenn er den Baum so nah an die Grenze pfanzt!”, wenn man beim Äpfelklauen erwischt wird. Man muß aber nicht kindisch sein, um böse sein zu können, das wäre absurd. Häufig(er?) ist es schlichtes Risiko- und Bedürfnismangement bei gleichzeitigem Herunterspielen der möglichen Folgen für das Opfer, wenn es es um Vergewaltigung oder Raub geht. (Ist nicht so schlimm, kann man doch wegstecken. Zur Not wird sich der andere robuster gemalt, als er eigentlich ist.) Emotionales und Moralisches wird ausgeblendet. Das gilt nicht für Verbrechen mit hoher emotionaler Komponente, aus einem Racheimpuls oder gar mit Vernichtungsabsicht. Da muß das Opfer schuld sein, um das eigene Selbstbild zu retten. Oder, wenn die Rache aus tiefen Seelenschichten stammt, eigentlich der eigenen Mutter gilt und eher zufällig am bedauernswerten Opfer ausgelebt wird, dann findet der Täter den Grund oft gar nicht, er war “einfach nicht er selbst”. Da wird dann ebenfalls nicht das Opfer verantwortlich gemacht, sondern in einem möglichen Therapieprozeß eben zunächst die Mutter, bis im Idealfall Heilung durch Verantwortungsübernahme möglich wäre. Bei der Judenvernichtung wird es allerdings noch komplexer. Damals gab es zum einen diesen seltsamen Volk-ohne-Raum-Gedanken, der so zum Bedürfnis- und Riskomangement, also zur kriminell-unrechtmäßigen Besetzung und Enteignung von Menschen führen konnte, aber aus sich allein nicht zum Völkermord auch an den eigenen Mitbürgern. Also kommt die kollektive, historische Projektion “der Jude ist an allem schuld” hinzu. Eine fatale Gleichläufigkeit von gedanklicher Kühle und Emotion. Das scheint das zu sein, was den Sadisten auszeichnet. (Mein momentaner Gedanke, ich kann mich nicht wirklich in Sadisten hineinversetzen.) Vielleicht gab es so unfaßbar viele Mitläufer, die mehr wußten, als sie später zugeben wollten, weil das in erlebter Gegenwart die Erfassungsmöglichkeiten des seelisch Gesunden wie auch des “normal Gestörten” weit übertrifft und sich deshalb nur in der Rückschau erschließen läßt? Wie soll man handeln, wenn geschieht, was man nicht denken kann, was man “im Kopf nicht aushält”?

Ella Kowalski / 28.01.2016

Danke, Danke, Danke für diesen Artikel, ich bin so froh, das zu lesen; ich habe wirklich schon an meinem Verstand gezweifelt ob diverser verharmlossender Interpretaionen des Geschehenen; jetzt weiß ich, daß ich doch noch bei Sinnen bin.

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